Mehr und mehr Menschen fordern, das Kopieren von Wissen und Kultur für private Zwecke zu erlauben oder zumindest straffrei zu stellen. Hier gibt es massiven Widerstand von Seiten der Verwertungsindustrie, die nach immer härteren Strafen ruft und immer mehr Überwachung fordert, um ihre vermeintlichen Rechte durchzusetzen. Vorratsdatenspeicherung und Three-Strikes-Modelle sollen dabei helfen, darbenden Künstlern das Überleben zu sichern.
Ein Höhepunkt war hier ein Brief an Frau Merkel, den bekanntermaßen am Hungertuch nagende Menschen wie Grönemeyer, Mittermeier, Atze Schröder (der unter anderem Wikipedia bereits verklagte, weil dort sein Realname veröffentlicht wurde…) und viele andere unterzeichneten. Kurz zusammengefasst: Ohne staatliche Protektion wird Deutschland kulturell verarmen. Und in 20 Jahren wird immer noch die gleiche Musik wie heute laufen, da niemand mehr Musik erstellen wird.
Es sah so aus, als würde die Kampagne zumindest teilweise Erfolg haben: Am 16.7.2008 hatte die EU-Kommission beschlossen, den Schutz von Tonaufnahmen von 50 auf 95 (!) Jahre zu verlängern. Die Begründung dafür mutet reichlich abenteuerlich an: “Eine 95-jährige Schutzdauer würde verhindern, dass ausübende Künstler, die im Alter von 20 Jahren Platten aufgenommen haben, bei Erreichen ihres 70. Lebensjahres einem plötzlichen Einkommensausfall gegenüberstehen.” Wie man bei einer 50-jährigen Vorlaufzeit von einem plötzlichen Verdienstausfall sprechen kann ist mehr als rätselhaft. Weiterhin steht es ja jedem Künstler frei, in diesen 50 Jahren auch weiterhin zu arbeiten, wie es die Mehrheit der Erwerbstätigen auch tut.
Aufgrund heftigen Widerstands wurde als Kompromiss die Verlängerung auf 70 Jahre ausgehandelt. Allerdings wurde auch dieser von einer Sperrminorität im Europarat blockiert, die nun aber zu bröckeln beginnt. Im Schnellverfahren wurde der Punkt auf die Tagesordnung der COREPER-Sitzung am 7.9. gesetzt – und dort erwartungsgemäß abgenickt. Was dort entschieden wird, wird üblicherweise von den Ministern selber später einfach übernommen diese Entscheidung wird am 12.9. fallen. Immerhin gab es noch eine kosmetische Änderung: Künstler, die ihre Rechte verkauft haben, sollen ab dem 50. Jahr 20 Prozent der Einnahmen aus dem Verkauf der Tonträger erhalten.
Ob wirklich die Allgemeinheit von einer Verlängerung dieses künstlichen Monopols profitiert ist fraglich. Das Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht kommt jedenfalls zu der Erkenntnis, dass eine Verlängerung den Künstlern “wenn überhaupt marginale Vorteile bringen. Tatsächlich erkennt auch die Kommission zutreffend, dass das Problem ausübender Künstler primär in ihrer fehlenden Verhandlungsmacht den Tonträgerherstellern gegenüber liegt.”
Weiter heißt es “Mit der stattdessen vorgeschlagenen Schutzfristenverlängerung bleiben alle Unzulänglichkeiten des heutigen Systems unberührt. Dabei lehnen sich die vorgeschlagenen 95 Jahre blindlings an das – allerdings falsch verstandene, mit dem europäischen Recht so auch nicht vergleichbare – US-amerikanische Copyright System an. Ignoriert wird damit, dass der weit überwiegende Anteil der vorgeschlagenen Schutzfrist ohnehin nicht mehr dazu dienen könnte, die wirtschaftliche Situation lebender Künstler zu verbessern. Wenn überhaupt, profitierten also lediglich die Tonträgerhersteller davon – oder Erben der Künstler, wobei deren Schutz nicht das Anliegen der Kommission zu sein scheint; jedenfalls finden sie nirgends Erwähnung.”
Es lohnt sich, die Stellungnahme vollständig zu lesen. Es wird dort detailliert auf die Argumente der EU-Komission eingegangen und so ziemlich jedes widerlegt. So wundert es auch nicht, dass das erste Ergebnis besagt: “Die vorstehende Analyse des Vorschlags der Kommission zeigt, dass die Schutzfristverlängerung unter keinem Gesichtspunkt zu rechtfertigen ist. Sie begünstigte die vorgeschobenen ausübenden Künstler – wenn überhaupt – nur marginal; den weitaus größten Anteil aus der Schutzfristverlängerung würden sie gar nicht mehr erleben.” Weiter heisst es, dass von einer Schutzfristverlängerung vor allem die Tonträgerindustrie profitieren würde, dieser gewährte Nutzen aber nicht zu rechtfertigen sei, da entsprechende Investitionen schon lange amortisiert seien. Die volkswirtschaftlichen Mehrkosten würden dies ebenfalls nicht rechtfertigen.
Ganz abgesehen davon stellt sich die Frage, ob es notwendig ist, die Musikindustrie mit einer Rechteverlängerung zu subventionieren in der Hoffnung, dass sie dann der Allgemeinheit mehr Nachwuchskünstler präsentieren wird. Die Produktionskosten für Musik sind in den letzten Jahrzehnten enorm gefallen, so dass auch unbekannte Bands qualitativ hochwertige Aufnahmen ihrer kreativen Werke anfertigen können. Über das Internet können sie diese dann einem weltweiten Publikum zugänglich machen. Das Creative Commons-Portal Jamendo listet alleine 50.867 Alben auf, die von den Künstler kostenlos bezogen werden können. Bei einer angenommenen durchschnittlichen Länge von 30 Minuten pro Album, ergibt dies 25.433,5 Stunden Musik. Umgerechnet entspricht dies über 23 Jahren Spieldauer, sofern man als Hörer jeden Tag acht Stunden Zeit investiert.
Natürlich wird nicht jede Minute dieser 23 Jahre ein Genuss sein, denn die Bandbreite sowohl in stilistischer als auch in qualitativer Hinsicht ist ausgesprochen breit. Glücklicherweise gibt es aber noch zahllose andere Quellen im Internet, die den geneigten Hörer mit Musik versorgen und dabei eine Vorselektion vornehmen; die Rede ist hierbei von Netlabels. Viele von ihnen haben sich auf einzelne Genres spezialisiert und bietet ihren Besuchern den gesamten Katalog zum Download an. Andere wie Magnatune haben verschiedene Genres im Katalog, erlauben nur das kostenlose Streamen und bieten dafür Abomodelle und den Kauf einzelner Alben an. Das Free Music Archive bietet von verschiedenen Kuratoren ausgesuchte freie Musikwerke an. Die Darkerradio Free Music Charts stellen zusammen mit Hörern einmal im Monat eine Auswahl Creative Commons-Musiktitel bereit – und zwar nicht nur von der “dunklen Seite” der Musik. Und dies sind nur einige wenige Angebote aus den Weiten des Internets.
Es steht ohne Zweifel fest, dass die überwältigende Mehrheit dieser Kreativen niemals nennenswerte Beträge für ihre Werke erhalten wird, denn das Angebot ist schlicht und ergreifend viel zu groß. Darin unterscheiden sie sich aber auch nicht von Künstlern, die “klassische” Verträge mit Labels eingehen. Aber Creative Commons-Künstler jammern nicht rum und fordern vom Staat, er möge ihnen funktionierende Geschäftsmodelle schaffen und schützen. Sie bewegen sich innerhalb der vom Urheberrecht bereits heute geschützten Räume und versuchen Fans zu finden und zu binden. Einigen gelingt dies, wie z.B. dem sozial sehr engagierten Gitarristen und Sänger David Rovics. Um von seiner Musik leben zu können, tourt er mehrmals im Jahr durch die USA und auch durch Europa. Die Auftritte werden von Fans organisiert und beworben, und er spielt dort vor einem Dutzend oder auch hunderten von Zuhörern.
Wenn die Vertreter der Musikindustrie nun also behaupten, sie bräuchten längere Schutzfristen, um neuen Künstlern einen Auftritt am Markt zu ermöglichen, so ist das schlicht und ergreifend gelogen. Das Urheberrecht sorgt weder dafür, dass aus erfolglosen Musikern erfolgreiche werden, noch garantiert es irgendwelche Einkommen oder Aufmerksamkeit durch potentielle Kunden. Es ist in weiten Teilen eine künstliche Verknappung des Kulturguts Musik zum Vorteil einer weniger, die sich nicht mal zu schade sind Fans zu verklagen, die ihren Idolen zu mehr Reichweite verhelfen wollen und dafür Fanvideos erstellen oder Werke in Tauschbörsen anbieten. Auf der anderen Seite ist auch bei der Musikindustrie längst bekannt, dass als “Piraten” verunglimpfte Fans zu den besten Kunden gehören. Unlängst gab sogar ein ehemaliger EMI-Manager zu, dass dies durch interne Studien belegt sei.
Der Autor Christian Hufgard veröffentlichte diesen Beitrag zuerst in seinem Blog http://musik.klarmachen-zum-aendern.de