Die Aussage „als Marke habe die FDP momentan generell verschissen“ stammt nicht etwa von einem schadenfreudigen Piraten in Berlin, sondern von FDP-Vorstandsmitglied Wolfgang Kubicki. Seine Beobachtung lässt einige Schlüsse über den Zustand der Liberalen zu. Denn erstens signalisiert das Wort Marke die Überzeugung, dass es es quasi nur ein Akzeptanzproblem ist, mit dem die FDP sich derzeit quält. Doch zweitens, und das ist die eigentliche Erkentnis, versteht sich die FDP anscheinend als Produkt, als Dienstleister, als Ware, deren Kunden – pardon, deren Wähler – dem Qualitätsversprechen FDP nicht mehr glauben und sich der FDP verweigern bzw. bei der Konkurrenz umtun. Doch Kubicki irrt: eine Partei ist keine Marke, das Rühren der Werbetrommel wird der FDP kein besseres Image verpassen. Und auch wenn die Politik der Globalisierung unterworfen ist, sind die Parteien das nicht; das D in nahezu allen Parteinamen macht diesen Umstand deutlich. Aber nichteinmal aus der marktgläubigen FDP wurden Forderungen nach einer Öffnung des abgegrenzten Parteienmarktes bekannt. Die Tatsache, dass die Grünen und die Piraten das D nicht im Namen tragen sagt ebenfalls etwas über politisches Selbstverständnis aus. Ein Selbstverständnis, das nicht alleine auf nationale Interessen beschränkt ist, sondern das grosse Ganze im Blick hat. Für die Grünen war dieser transnationale Kondensationskern die Umwelt, für uns Piraten war es das Internet.
Im Bundeswahlkampf 2009 erweckte der damalige Vorsitzende Guido Westerwelle noch den Eindruck eines Superman 2.0. Doch sprang er als Tiger und landete als Bettvorleger. In nichtmal einem Jahr stufte er das Ansehen des Außenministeriums auf Ramschniveau herunter. Statt einen übertrapazierten Begriff aus der Finanzwelt zu nutzen lässt es sich auch umgangssprachlich ausdrücken: ein Politclown hat deutsche Außenpolitik in die Bedeutungslosigkeit geführt!
Dass Schwarz-Gelb gelegentlich als Wespenkoalition bezeichnet wird kommt nicht von ungefähr. Schnell entstand der Eindruck, die FDP betreibe eiskalte Klientelpolitik. Im Inland wurden die Interessen der Hoteliers und Erben berücksichtigt, im Ausland machte Entwicklungshilfeminister Niebel klar, dass deutsche Entwicklungshilfegelder nur fliessen, wenn davon deutsche Produkte gekauft werden. Die CDU setzte wie schon seit Jahren auf die Entsolidarisierung und Neiddebatten. Dabei ignoriert Frau Dr. Merkel, dass sich die Deutschen als Solidargemeinschaft fühlen. Eine diffuse Erinnerung an zwei Weltkriege, in denen die Bevölkerung von den jeweiligen Regierungen nach Strich und Faden belogen und betrogen wurde. Und während das Volk jeweils darbte und hungerte, lebten Regierungsmitglieder, Militärs, der Adel bzw. Industrielle recht angenehm. Diese Ungerechtigkeit ist mindestens so verinnerlicht wie die Angst vor der Inflation. Noch heute kommt keine Partei an diesem Gerechtigkeitsverlangen vorbei. Versucht sie es denoch, wird sie scheitern. Die FDP wollte es wissen – und hat sich damit selbst abgeschafft. Die CDU ist gerade dabei selbst bei denen, die die christlichen Werte noch hochhalten, den letzten Stammwählerbonus zu verspielen. Und auch die SPD, die verbleibende D-Partei, ist auf dem Weg jedes Restvertrauen zu verspielen. Denn die Bürger haben nicht vergessen, dass die SPD zwar Solidarität predigt, im Bürger aber nur Stimmvieh sieht, das ansonsten stört. Suspekt ist vielen ihre Politik, die gegenüber Unternehmen auf einen Ehrenkodex setzt statt per Gesetz rote Linien zu ziehen. So viel Vertrauen wird der Bevölkerung nicht entgegen gebracht: SPD-Politiker unterstellen jedem Bürger das schlimmste aller anzunehmende Vergehen, weswegen Daten auf Vorrat gespeichert werden und jeder Provider eine Abhörschnittstelle bereit stellen muss. Dank der SPD werden für den Personalausweis Fingerabdrücke genommen. Unisono sehen alle D-Parteien in der Anonymität des Internets mehr Gefahr als Chance. Die Steuer-Identifikationsnummer, das inzwischen gekippte ELENA, der automatisierte Kfz-Kennzeichenabgleich in vielen Bundesländern, die Online-Durchsuchung sowie der Aufbau der Gendatenbank lässt Aussagen darüber zu, was die Regierenden den Regierten zutrauen.
Was bedeutet das für uns Piraten? Wir werden kurzfristig in die Riege der vertrauenswürden Parteien aufsteigen, während andere Parteien an Bedeutung verlieren. Wir gewinnen dieses Vertrauen, jedoch nicht weil wir so integer und frei von Fehlern sind, sondern weil wir bisher nicht in die Verlegenheit kamen politische Fehler zu begehen. Ob wir diese Positionen dann halten werden, hängt davon ab, wie wir in der Verantwortung agieren.
Wir müssen lernen unsere Schwarz-Weiss-Malerei von der anderen Seite aufzugeben und ein differenziertes Weltbild zu entwickeln. Wir müssen dies tun um den Platz zu füllen, den die FDP hinterliess – damit nicht andere Parteien dies tun. Denn profesionalisieren wir uns nicht, wird die Politik der Zukunft von großen Koalitionen geprägt. Das kann, farblich gesprochen, beliebig bunt werden, nimmt der Oposition aber jede Chance darauf wahrgenommen zu werden oder Einfluss auszuüben. Wir müssen preussische Disziplin lernen, fleißig und ehrlich sein. Und wir müssen lernen in öffentlichen Diskussionen gegen druckreife Äußerungen aus anderen Parteien zu bestehen. Wir müssen mit Optimismus in die Zukunft blickend. Wir müssen gestalten, nicht reagieren. Wir müssen mit viel Spaß Politik betreiben, natürlich ohne den Politikbetrieb der Lächerlichkeit preis zu geben. Wir müssen Politik machen, die mindestens so authentisch wie ein Gemälde von Gabriele Münter rüber kommt. Und vor allem dürfen wir die Bürger nicht wie Kunden behandeln, denen wir ein Produkt aufschwatzen wollen. Sondern als Partner in einem Gestaltungsprozess.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.