Ein Gastbeitrag von Andreas Popp
Wir Piraten spielen gerne mit Klischees. Wenn es auf den Parteimedien zu ruppigen Auseinandersetzungen kommt, dann schieben wir es gerne darauf, dass wir Nerds sind und es uns einfach an Sozialkompetenz mangelt. Vielleicht ist da auch etwas dran, aber meist ist die Lösung viel einfacher:
Auf Mailinglisten und in Foren wird ausschließlich verbal – also nur mit Worten – kommuniziert. Doch nur 8% der menschlichen Kommunikation findet verbal statt, der Rest ist Tonfall und Körpersprache. Ein mit einem verschmitzten Lächeln ruhig gesprochenes “Du Depp”, wird wohl – passender Kontext vorausgesetzt – eher als freundschaftliches Necken interpretiert. Die gleiche Phrase mit zusammengekniffenen Augen und brüllendem Tonfall ist eine klare Anfeindung.
Im Gegensatz zum klassischen Brief, schreiben wir in Diskussionsforen nicht im formalen Stil, sondern eher so wie wir auch sprechen würden. Das es hier also zu Missverständnissen kommt, die eine Eskalation der Diskussion auf ein persönliches Niveau auslösen, ist beinahe vorprogrammiert. Hier hilft nur, sowohl beim Schreiben als auch beim Lesen, sich alle möglichen Interpretation bewusst zu machen und besonders beim Lesen am Besten immer anzunehmen, dass der Gegenüber es so freundlich gemeint hat, wie man es interpretieren kann.
Doch Missverständnisse sind nicht der einzige Grund für Flames und Shitstorms. Denn die gibt es zum Beispiel auch gegenüber dem Bundesvorstand, dessen Erörterungen man dank Telefonkonferenz (Telko) zumindest akustisch nachvollziehen kann. Hier liegt das Kernproblem in der Streitkultur. Aus diesem Grund wollen wir uns mit dem Sinn und Unsinn des Streitens noch einmal auseinander setzen.
Die konstruktive Diskussion
Voraussetzungen für den Streit ist, dass mindestens zwei Personen mit unterschiedlichen und unvereinbaren Standpunkten aufeinander treffen. Bei der grundsätzlichen Zielsetzung sehe ich aber zwei Varianten. Entweder man versucht den Streitpartner zu überzeugen (konstruktive Diskussion), oder einen unbeteiligten Dritten (konkurrierende Diskussion). Betrachten wir zuerst die erste Variante.
Nach dem französischen Philosophen Jean-François Lyotard gibt es dabei zwei Archetypen von Streit. Zum einen ist da der Rechtsstreit, bei dem sich die Meinungen der Diskussionspartner auf die selben Voraussetzungen stützen. Hier kann dann maximal einer der beiden Diskussionspartner Recht behalten. Das Ziel der Diskussion ist also tatsächlich herauszufinden, wer Recht hat.
Ein reiner Rechtsstreit ist ziemlich selten und eigentlich ausschließlich in logischen System wie etwa der Mathematik möglich. Viel häufiger kommt es zu einem sog. Widerstreit. Hier stützen sich die Meinungen auf unterschiedliche Voraussetzungen. Ziel eines Widerstreits ist es zuerst, die Unterschiede in den Voraussetzungen zu erkennen. Danach ist es möglich, entweder die eigenen Voraussetzungen in Frage zu stellen oder die Argumente, die unter den eigenen Voraussetzungen passen, in den eigenen Standpunkt mit aufzunehmen.
Ein häufiger Fehler beim Führen eines konstruktiven Streits, ist, dass man sich zum Ziel setzt, Recht zu behalten. Dies ist nicht möglich, da wir nie einen reinen Rechtsstreit führen. Statt dessen sollten wir uns immer wieder klar machen, dass das ultimative Ziel ist, die eigene Meinung durch die Argumente und Blickwinkel des Gegenübers zu bereichern und dem Gegenüber durch die saubere Darstellung der eigenen Argumente das selbe zu ermöglichen.
Wichtig ist dabei, dass es sich um einen Selbstaneignungsprozess handelt. Wenn der Gegenüber also sagt “Da könnte was dran sein, da muss ich nochmal drüber nachdenken” ist es das Ende dieses Diskussionsstrangs. Und damit hat er die Debatte nicht verloren, sondern Erkenntnis gewonnen. In einer Partei sollten konstruktive Diskussion den Hauptteil des innerparteilichen Streits ausmachen. Denn nur so können wir unsere Positionen kontinuierlich verbessern.
Die konkurrierende Diskussion
Bei der konkurrierenden Diskussion ist die Sache anders gelagert. Hier gibt es am Ende tatsächlich einen Gewinner, nämlich den, dessen Meinung von Außenstehenden am ehesten übernommen wird. Dies schlägt sich bei uns als Partei in der Außendiskussion in den Wahlergebnissen nieder.
Die konkurrierende Diskussion hat die wesentlichen Elemente der konstruktiven Diskussion (These, Argumente, Beispiel,…) und dazu ein paar weitere (z.B. Polemik). Denn während ich bei der konstruktiven Diskussion verhindern möchte, dass mein Gegenüber die Diskussion abbricht, nehme ich das bei der konkurrierenden Diskussion teilweise in Kauf. Auf der höchstens Eskalationsstufe, ist dies sogar das explizite Ziel. Hier geht es tatsächlich darum “recht zu behalten”.
Wir Piraten sind in unserer Außenkommunikation häufig auf der obersten Eskalationsstufe. Bei Zensursula oder Hans-Peter Uhl benutzen wir Flames und Polemik um Leute auf unsere Sache aufmerksam zu machen und die eigenen Reihen zu motivieren. Hier geht es darum Linien in den Boden zu ziehen: Wir gegen die.
Während wir innerhalb der Partei naturgemäß auch konkurrierende Diskussion haben – zum Beispiel um den Parteitag von unserem Antrag zu überzeugen – spiegeln wir viel zu häufig unser Außenverhalten nach innen. Wir machen konstruktive Diskussionen zu Konkurrenzdiskussionen und setzen letztere auch immer gleich auf die maximale Eskalationsstufe.
Dies führt dann auch dazu, dass viele sachliche Diskussionen sehr schnell persönlich werden. Wenn man in einem Streit erst mal die Linie in den Sand gezogen hat, dann spiegelt sich das auch in anderen Bereichen wieder. Das können wir uns aber als Partei nicht leisten. Wir sind pluralistisch und nicht immer einer Meinung, das ist nichts schlechtes. Wenn wir aber Flames einsetzen, dann spalten wir uns auf einer persönlichen Ebene und das ist nicht gut.
Wir müssen also in konkurrierenden Diskussion – zumindest nach innen – die persönliche Ebene von der sachlichen so gut wie möglich trennen. Wenn ein Vorstand mal eine Entscheidung trifft, die ich nicht gut finde, ist das noch kein Grund ihn persönlich anzugehen. Wenn ich einen Piraten als Person nicht leiden kann, so sollte ich trotzdem versuchen seine Kompetenzen anzuerkennen und auf sachlicher Ebene mit ihm zu arbeiten. Und wenn ich die Meinung einer Person nicht teile, kann ich auch mal eine konstruktive Diskussion führen statt zu flamen.
Was können wir besser machen?
Was können wir also tun um die Kommunikation in der Partei zu verbessern? Oder besser gefragt: Wer kann etwas verbessern? Aus einer persönlichen Sicht wird jeder das Kommunikationsproblem erst mal beim anderen sehen (“So habe ich das doch gar nicht gesagt. Der will mich nur falsch verstehen.”). Tatsächlich trägt aber wohl jeder so seinen Teil zu Eskalationen bei. Die einzig sinnvolle Lösung, etwas verbessern zu wollen, ist bei sich selbst anzufangen.
Fassen wir also abschließend noch einmal zusammen, was wir uns alle vornehmen sollten:
- In Foren und auf Mailinglisten versuchen wir in den Aussagen des Gegenübers immer auf die freundlichst mögliche Weise zu interpretieren.
- In einer konstruktiven Diskussion geht es nicht darum recht zu behalten, sondern die eigene Position zu bereichern und den Gegenüber so gut wie möglich dabei zu unterstützen, seine Position ebenfalls zu bereichern.
- Eine Meinung, die von der eigenen abweicht, ist erst einmal eine Bereicherung der Debatte.
- Nach innen soweit möglich einen konstruktiven Diskussionsstil pflegen.
- Konkurrenzdiskussionen nach innen nicht eskalieren, persönliche und sachliche Ebene trennen