Wer kennt sie nicht, die Steinigungsszene aus Monty Python’s Meisterwerk “Das Leben des Brain”? Der arme Matthias, Sohn des Dagronominus Gasa, soll gesteinigt werden. da er den Namen des allmächtigen Herrn schmähte. Das ist allerdings lange her – 33 n. Chr. Samstag Nachmittag, kurz vor der Sportschau. Doch bekanntlich findet Geschichte zwei Mal statt. Das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. 2.000 Jahre nachdem Matthias Gott auf unglaublich infame Weise lästerte, huldigen wir heute ganz anderen Götzen. Das ist der Fortschritt, auf den wir 2.000 Jahre nach Herrschaft der Römer stolz sein sollen.
Angenommen Matthias, Sohn des Dagronominus Gasa, wäre der Steinigung entkommen: wie wollte ich ihm die strengen Gesetze des Urheberrechtes erklären? Denn die Hohenpriester dieses modernen Götzen schaffen ihre eigenen Gesetze und setzen diese in der ganzen bekannten Welt durch – dass würde er verstehen, es war zu seiner Zeit nicht anders.
Die Weltmacht unserer Tage – sie gab uns die englische Sprache, das Fastfood, die internationalen Finanzstürme, das Internet, den Superbowl und bestimmt auch schöne Straßen. Und sie pflanzte ein Copyright in die Welt, das unser Leben mit Abgaben und zunehmend auch mit Tabus belegt. Mit dem “Stop Online Piracy Act” (SOPA) wird ein weitetes Gebot geboren. Das Gesetz hat zum Ziel, den in den USA vorhandenen Regeln zum Copyright in allen Provinzen und in den besetzten Gebieten Geltung zu verschaffen. Die technischen Möglichkeiten sind duchaus vorhanden, denn das US-Handelsministerium hat die alleinige Macht darüber zu entscheiden, welcher Server im Internet benutzbar ist oder eben nicht. Mit SOPA spielt es keine Rolle mehr, ob ein Rechner in den USA, Teheran oder Castrop-Rauxel steht: verweigert der Nameserver in den USA eine Namensauflösung, ist das, als streiche man eine Nummer aus dem Telefonbuch. Verbietet SOPA den Kreditkartenanbietern die Weiterleitung von Rechungsbeträgen oder Spenden, gehen im Internet partiell schnell die Lichter aus.
Sollte ich Matthias den “Stop Online Piracy Act” erklären, ginge das in etwa so: alle Schiffe werden nach Schriftrollen durchsucht und nichts erreicht ohne Kontrolle den anderen Hafen. Finden die Kontrolleure Verbotenes, wird das Schiff unter Quarantäne gestellt. Niemand darf an Bord, niemand darf an Land. Außerdem wird die Heuer eingezogen, sodass niemand an Bord für seine Arbeit mehr Geld bekommt. Genau genommen reicht schon der Verdacht oder die Behauptung, dass sich etwas verbotenes in den Laderäumen befindet um die Strafe zu verhängen. Unter das Tabu etwas kostenlos zu verbreiten, kann eine Formel fallen, eine Melodie, ein Wort (Rübennase?) oder ein Bild – alles, womit jemand glaubt, Geld verdienen zu können, kann für andere zur verbotenen Botschaft erklärt werden.
Wikipedia gilt heute als die umfassenste frei verfügbare Wissenssammlung. Weshalb die Betreiber der Wikipedia auf die Gefahr für die freie Bibliothek mit einer Protestaktion aufmerksam machen wollen. Die Hoffnung damit etwas bewegen zu können, ist durchaus begründet. Denn als die Regierung Berlusconi (Rom!) ein ähnliches Gesetz plante, machte die Abschaltung der italienischen Wikipedia für nur 24 Stunden einen derart großen Eindruck, dass das Gesetz nicht verabschiedet wurde. Aber da 33 nach Christi an Wikipedia noch nicht zu denken war, würde ich Matthias erzählen, dass der oberste Bibliothekar in Alexandria droht die Pforten zu schließen, sollten die Herrschenden versuchen bestehendes Wissen unerreichbar zu machen.
Details zum diabolischen Charakter des Stop Online Piracy Act findet sich (noch) auf Wikipedia. Vor der Initiative gegen den SOPA wird hier auch geschrieben. Die Piratenpartei an sich fordert ein reformiertes Urheberrecht, das die Benutzer nicht kriminalisiert und das kein Überwachungsregime zur Durchsetzung erfordert.
Mit Blick auf SOPA hätte ich es heute schwer Matthias, dem Sohn des Dagronominus Gasa, zu erklären, was sich in den letzten 2.000 Jahre alles besserte. Falscher Götzenglaube jedenfalls wird uns auch heute noch verordnet. Und der Götze Urheberrecht bringt vielen Kosten, Aufwand und Nichtwissen, einigen wenigen jedoch Reichtum und Macht.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.