Der Großteil der heutigen Spitzenpolitiker wurde in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts geboren. Der Großteil gehört zur Gruppe der “Babyboomer”, also jenen geburtenstarken Jahrgängen, die sich seit Geburt einer großen Zahl Gleichaltriger gegenüber sah.
In den Jugendjahren dieser Generation gab es zwei Gewissheiten:
1.) Wir im Westen gehören zu den Guten und 2.) die Zukunft wird besser werden.
Aus dieser Überzeugung heraus wurde gegen die UdSSR gerüstet, denn der Osten war das Reich des Bösen. Es herrschte der feste Glaube daran, dass nach seinem Ende friedensreiche Zeiten anbrechen. Beim Ausscheiden aus dem Amt 1961 warnte Präsident Eisenhower zwar vor dem Politisch-Industriellen Komplex, aber die Rüstung brachte viele auch in Lohn und Brot. Nicht nur in den USA, sondern auch hier in Deutschland, wo es sich eine ganze Generation im kalten Krieg sehr bequem machte. Die Soldaten der Bundeswehr und der alliierten Truppen sowie die, die von dem Geld lebten, das diese Soldaten und ihre Familien ausgaben. Sehr komfortabel richteten sich auch die Rüstungsbetriebe und deren Angestellten ein. Denn Geld für die Rüstung war genug da. Für die Verteidigung gegen die rote Gefahr wurde jeder Preis gezahlt. Das änderte sich erst 1981. In diesem Jahr wurde Ronald Reagan Präsident der USA. Er rief das Ziel aus den Ostblock kaputt zu rüsten – was 1989 gelang.
Denn zwischenzeitlich kam Michail Gorbatschow in der im ruinösen Wettkampf unterlegenen UdSSR an die Macht und schlug aus der Not heraus vor, dass sich alle zur Abwechslung mal vertragen. Das war das Ende des Ostblocks, aber auch das Ende einer westdeutschen Positionsbestimmung. Die Rüstungsaufträge fielen weg und viele die sich mit dem bösen Russen als Feindbild arangiert hatten, mussten umdenken. Neu erfinden musste sich nach dieser Zeitenwende auch so mancher Politiker, dessen einzige Qualifikation ein starker Antikommunismus war.
Als die Mauer fiel war ich Zivildienstleistender, wir alle glaubten, dass der gesparte Verteidigungsetat jetzt in den Bau von Krankenhäusern und Rettungswagen fliesst. Wir täuschten uns, wir waren naiv. Und doch: durch Rüstungsaufträge konnten nicht mehr so viele Lohntüten gefüllt werden wie das vor dem Fall der Mauer war. Mein damaliger Arbeitgeber versuchte die zivile Transformation und scheiterte fulminant. Das Unternehmen, das seit Kaisers Zeiten marktführend im Bereich der Funkkommunikation zu Wasser, zu Lande und in der Luft war, existiert heute nur noch als Schatten seiner selbst.
Heute wie damals sind die Autohersteller wichtigster Arbeitgeber im Land. Nachdem die Verteidigung gegen den Bolschewismus keine Arbeitsplätze mehr gebiert, entwickelte sich eine andere Branche, die Sicherheit und Arbeitsplätze verspricht: der Cyber-Industrielle Komplex. Doch was soll das Ziel des stattfindenden Überwachungswettlaufs sein? Ich wage mir nicht vorzustellen wie Deutschland aussieht, wenn der Cyber-Industrielle Komplex seine Gegner in die Knie zwingt! Allerdings wage ich mir auch nicht vorzustellen wie Deutschland sich weiter entwickelt, wenn dieser innere kalte Krieg nicht gewonnen werden will, sondern immer weiter köcheln soll und so seiner Aufgabe ständig neue Arbeitsplätze zu schaffen gerecht wird. Mit ständiger Nachrüstung und nie versiegenden Geldtöpfen.
Wann immer zu Zeiten Joseph Stalins oder Leonid Breschnews eine Initiative aus Moskau kam, wurde eine Teufelei dahinter vermutet – wohl zu Recht. In Zeiten der inneren Überwachung geht die Angst der Herrschenden vor Teufeleien des Bürgers inzwischen so weit, dass der Staatsanwalt wegen subversiver Umtriebe ermittelt wenn nur 100 Leute mittem im weihnachtlichen Einkaufstrubel mal schnell für 10 Minuten unbeweglich an Ort und Stelle verharren!
Nun könnte man, wenn schon jedes Vertrauen in die Parteien der Regierung verloren ging, noch an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe glauben. Doch wenn der Verfassungsschutz schon die Abgeordneten im Auge hat, die den Überwachungsgesetzen widersprechen … wie umfassend wird dieser Verfassungsschutz jene aushorchen, die solche Gesetze als verfassungswidrig einkassieren? Der Gedanke ist nicht so abwegig, wie er im ersten Augeblick erscheint – zugegeben wird in Überwacherkreisen ohnehin nur das, was nicht mehr zu leugnen ist. Allein 134.700 stille SMS im Hamburg des Jahres 2010 zeigen deutlich wie tief die Hemmschwelle zur Totalüberwachung inzwischen sank. Ganz zu schweigen von den 1.000.000 Verbindungsdaten, die bei den Teilnehmern einer Anti-Nazi-Demonstration in Dresden an einem einzigen Tag abgefischt wurden.
Das klassische militärische Gewicht wird sich in nächster Zeit weiter verschieben. Weg von Europa, hin in den asiatischen Raum. Die Frage ob die Rüstung nach Innen deswegen panisch erhöht wird, kann erst in 10 oder 20 Jahren beantwortet werden. Falls die Erörterung solcher Fragen dann nicht wieder unter einen Radikalenerlass fällt.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.