Deutschland ist ein Überwachungsstaat. Auf Wikipedia liest sich die Definition eines Überwachungsstaateswie ein Situationsbericht aus unserem Land:
Der Begriff Überwachungsstaat beschreibt ein Szenario, in dem ein Staat seine Bürger mit allen zur Verfügung stehenden und staatlich legalisierten Mitteln überwacht. Damit will er seine Bürger von Gesetzesverstößen abhalten und diese, falls sie begangen werden, mit einer hohen Erfolgsquote erkennen und schnell bzw. effizient verfolgen.
Dieser Beschreibung der bundesdeutschen Wirklichkeit widersprachen bis vor kurzem jene, die den ständigen Ausbau der Überwachung fordern, aber die Feststellung „Deutschland befindet sich auf dem Weg in den Überwachungsstaat“ abstrus nannten.
Aber die Zeiten haben sich geändert. Deutschland befand sich tatsächlich lange auf dem Weg in den Überwachungsstaat – und kam dort inzwischen an. Zeitgleich änderten die Befürworter einer umfassenden Überwachung ihr Auftreten. Abgestritten wird nichts mehr, die Verteidigung findet nach vorne statt: „jetzt erst Recht“, „abhören was das Zeug hält“ oder „wir machen nichts Illegales“.
Dieses Unrechtsbewusstsein greift umso mehr um sich, als eine strafende Hand fehlt, welche den Politikern und Beamten an den Überwachungshebeln Grenzen zeigt. Kennzeichenscanns im Straßenverkehr, mitgelesene E-Mails, Kameras in den Innenstädten, abgehörte Telefongespräche, „stille SMSe“ zu Ortung, angezapfte Gespräche und mitgelesene Kurznachrichten am Mobiltelefon u.v.m. gehören heute flächendeckend zur bundesrepublikanischen Wirklichkeit. Ursprünglich wurde versprochen diese Möglichenkeiten als Ultima Ratio, als letztes Mittel, bei Ermittlungen gegen die Schlimmsten der Schlimmsten einzusetzen! Im Jahr 2011 wurden alleine 37 Mio E-Mails, die als „verdächtig“ auffielen, genauer untersucht. Im selben Jahr verschickte der Verfassungsschutz alleine im Stadtgebiet Hamburg 25.658 „stille SMSe“. Seit 2006 waren es im gesamten Bundesgebiet 170 Mio! Vor Jahren hätte man solche Zahlen noch dementiert, heute lässt man Frechheit siegen: Die seit diesem Jahr eingesetzte Software zum Versenden dieser Ortungsimpulse hat keinen Zähler mehr eingebaut. „Durch den Verzicht werden dem Steuerzahler 30.000 Euro gespart“ sagt der Sprecher und wird nichtmal rot. Man möchte ihm die Ohren lang ziehen!
Allerdings sind die Verfechter des lückenlosen Ausspähens keine ungezogenen Kinder, sondern erwachsene Männer. Und eigentlich sollten sie wissen, dass es unanständig ist, was sie treiben, dass es ist falsch ist, im Leben anderer zu schnüffeln. Aber scheinbar haben sie nicht den Hauch einer Ahnung wie unmoralisch es ist, die eigene Nase in die Angelegenheit anderer zu stecken – und dann frech zu behaupten „wir dürfen das“.
Es ist immer schön, wenn eine Aufgabe mit Hingabe wahrgenommen wird. In der Politik ist dies leider keine Selbstverständlichkeit. Schlimm ist es aber, wenn die Aufgabe falsch verstanden wird. Wer glaubt zum Schutz des Landes und seiner Einwohner stets über alle Vorgänge informiert sein zu müssen um notfalls eingreifen zu können, hat unsere Kultur und die Werte, an denen wir uns orientieren, über sein Tun vergessen.
Und wenn das Verfassungsgericht in Karlsruhe, Hüter der von den Gründervatern der Republik geschriebenen Verfassung, gelegentlich sachte zur Zurückhaltung mahnt, poltern die Überwachrungsrüpel trotzig los „man müsse jetzt erst recht möglichst viel spähen“. Diese Einstellung lässt jeden Respekt vor den Gesetzen und den Menschen in diesem Land vermissen. Wie ungezogene Kinder lassen sie jeden Anstand und Werte vermissen. Keine Ermahnung bringt sie zur Vernunft. Und wo die Wahrheit raus ist treiben sie es nur noch doller!
Und die Behörde, deren Aufgabe es wäre die Verfassung zu schützen, schaut weg, wenn Politiker wie Uhl, Bosbach, Friedrich, Herrmann oder Wiefelspütz versuchen Gesetze durchzuboxen, die so eindeutig außerhalb der Verfassung stehen, dass jeder juristische Laie es erkennt. Stattdessen wird die Linkspartei beobachtet. An ihren Zielen ist vieles falsch. Aber die Forderung nach einem anderen Wirtschaftssystem ist nicht illegal – zumal das Wirtschaftssystem im Grundgesetz nicht festgeschrieben ist.
Was die Überwacher derzeit veranstalten, lässt jede Moral vermissen. Im eigentlichen Tun wie bei ihren Rechtfertigungen. Es wird Zeit für einen Reifeprozess. Respekt vor Ratschlägen, wie dem vom Bundesverfassungsgericht zu zeigen, wäre ein erster Schritt dazu. Danach kann ein Erkenntnisprozess einsetzen, der in der Feststellung münden wird, dass das Land nicht im Terror versinkt, wenn wieder mehr Privatsphäre möglich wird.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.