Das Telefon klingelt, eine unfreundliche Stimme fragt, ob @deuxcvsix zu sprechen sei. Ich sage „Nein, sie ist nicht da“. Nach kurzem Schweigen dann die Frage, wer ich denn sei. Wahrheitsgemäß kommt meine Antwort: „Ich bin ihre Firewall.“ Es macht „Klick“.
Seitdem meine Frau zum Vorstand in Oberbayern gehört, erlebe ich lustige Situationen.
Lustig war auch die Fahrt zum Bundesparteitag in Offenbach. Ich, der Fahrer, zähle mal durch und komme auf vier Vorstände aus Bayern und Oberbayern im Fond – und drei Nicht-Vorständen. Kurz darauf waren wir in einer lustigen, aber wirklich nicht ernst gemeinten Diskussion, ob überhaupt so viele Vorstände im selben Wagen fahren dürfen. Nicht, weil keiner ein Protokoll schreibt, sondern weil die Queen und der Herr Charles ja auch nicht im selben Flieger sitzen dürfen. Hinten entwickeln sich unterschiedliche Ansichten über die Landesgeschäftsstelle in München. Der Streit verstummt augenblicklich, als ich drohe: „Sobald das Wort Landesgeschäftsstelle noch einmal fällt, lasse ich alle Fenster runter“. Jaja, bei uns haben die Basispiraten die Macht!
Besondere Erlebnisse der einen oder anderen Art habe ich an den Stammtischen, zu denen wir gemeinsam fahren. Einer war in der bayrischen Provinz. Der Stammtisch findet an der Bar eines Hotels statt. Zwei Tische sind reserviert. An einem Tisch viele unbekannte Gesichter. Am anderen Tisch sind noch zwei Stühle frei. Gerade als ich mich setzen will, kommt Protest vom vollen Tisch auf: Der ist nur für Vorstände! Ich setze mich trotzdem. Der Hinweis, dass ich immerhin der Pressevertreter der Flaschenpost sei, verfängt. Ich lasse die Lokalität auf mich wirken. Die Musik der 80er Jahre erinnert mich an meine Tanzschulzeit, das Klingeln der Nokia-Telefone an die Zeit, zu der ich mir noch kein Mobiltelefon leisten konnte. Der Stammtisch-Älteste begrüßt die Angereisten, auch ich werde namentlich erwähnt. Die Tanzschulmusik wird leiser, andere Gespräche verstummen und nur das Klappern eines Teelöffels im Glas ist noch zu hören. Am Vorstandstisch werden Reden gehalten, und die Bar besteht zu diesem Zeitpunkt nur noch aus Piratenanhängern. An anderen Tischen wird andächtig gelauscht. Man spricht von „Transparenz“ und „Mitspracherecht“. Vom Landesverband, der der größte in Deutschland sei und den nicht eingelösten Versprechen der großen Politik. An den anderen Tischen mag niemand etwas sagen. Dafür fällt die zweite Tischgruppe langsam in den Murmelkanon an der Bar ein. Für einen Cocktail geht Eis durch den Crusher. Langsam lockert sich so manche Verkrampfung, es kommen sogar Gespräche auf! Wir sollen mal bei Volksmusikern fragen, ob sie unseren Wahlkampf unterstützen. Respekt verdienen wir uns, als die Blutspendeaktion „Mein Blut für die Piraten“ zur Sprache kommt. Das allgemeine Murmeln setzt sofort aus, als jemand sagt, „Uns auf das Internet zu reduzieren, ist wie die Grünen auf das Dosenpfand zu reduzieren“. Wir reden viel über das Urheberrecht und ACTA. Und über das Verhältnis vom zwar gewählten, aber schwachen EU-Parlament zur starken, aber demokratisch nicht legitimierten EU-Kommision.
Fahrstuhlmusik setzt ein, die Spielautomaten blinken, ein Neupirat wippt mit dem Kopf. Er freut sich zu hören, dass wir keine Abnickparteitage veranstalten. Einer kennt ganz ohne Schulden-App die aktuellen Staatsschulden. Ein anderer bezweifelt, dass ein Staat überhaupt Schulden haben kann. Irgendwann setzt die Fahrstuhlmusik wieder ein. Als wir gehen, steht die Bardame am Ausgang und schüttelt jedem von uns die Hand. Wir sollen doch bald wieder kommen. Ein schöner Abend!
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.