Einst lief Oberst Oberflächlich durch den Wald. Er blieb vor einem Waldameisenhaufen stehen und kniete vor ihm nieder. Er bewunderte die Waldameisenarbeiterinnen wegen ihrer Waldameisenarbeitsleistung, die Waldameisenspäher für ihren selbstlosen Waldameiseneinsatz und die Waldameisenkrieger dafür, dass sie furchtlos den Waldameisenschutzwall bilden. Plötzlich hob inmitten der stolzen Waldameisengemeinschaft eine Waldameise ihren Waldameisenhintern, zielte und schoss magdalenaneunerlike einen Waldameisensäurestrahl genau in Oberflächlichs rechtes Auge. Oberst Oberflächlich kniff das schmerzende Auge zusammen und ihn durchzuckte mit dem Schmerz ein Geistesblitz: Waldameisen sind scheiße!
Dieses Waldameisenprinzip funktioniert, seit der Mensch zu werten begann. Emotion verstärkt es noch. Was denken Sie, wenn ich Ihnen sage, dass der Bacardi-Feeling-Clip auf Haiti gedreht wurde? Toll dort! Hat’s da ‘nen Robinson-Club?
Ich zum Beispiel denke mit meinen 43 Jahren noch immer dann an die Situation im Kreißsaal des Nürnberger Süd-Klinikums und daran, wie man mir das erste Mal meinen in ein weißes Handtuch gewickelten Sohn auf den Arm gelegt hat, wenn ein Storch mein Dasein kreuzt. Unterbewusst stelle ich sogar die Seriösität einer Tierfilmlegende in Frage, wenn der alte Grzimek in ZDF-neo einen Storch auf sein Tischchen stellt, der kein geknotetes weißes Babytuch im Schnabel trägt. Waldameisenprinzip!
Egal ob Werbung, Märchen oder Kohl: was herausragt, bestimmt die Wahrnehmung des großen Ganzen. Darauf ist Verlass.
Einst ragte die Netzsperrendebatte, dann ACTA, der Berliner Senat und Marina. Jetzt ragt ismus, ismus und ismus. Die Piraten haben Glück, dass noch nichts dominant geragt hat. Das Bild “Piratenpartei” ist noch undeutlich. Es ist noch im Malen begriffen. Und auf das nur schemenhaft Vorhandene werden beständig Riesenlupen gehalten – Presselupen, Parteibrillen und – auch aus den eigenen Reihen – Piratenmonokel. Alles wird bestimmt von der Suche nach einfacher Klarheit. Hierbei gilt gefundenes Fressen dann als gefunden, wenn es nach etwas schmeckt. Am besten nach etwas, was man schon kennt, wofür jeder schon ein Schublädchen zur persönlichen Zuordnung bereitstellen kann. Säurestrahl – Auge – Aua!
Da liefern die Piraten derzeit ab. Klar hat Lessmann (Politischer Geschäftsführer der Piratenpartei Bayern) recht, wenn er sagt, dass die Zahl rechter Idioten sich “im Promillebereich” bewegt. Doch derzeit ist es genau dieser Promillebereich, der wahrgenommen wird. Nicht, weil er als solcher aus der Menge ragt, sondern weil die Menge selbst sich an ihm schmerzvoll reibt. Aua!
Dieses laute Intervenieren der Basis ist grundsätzlich wertvoll. Auch hier ist es nicht die Intervention, die das Bild prägt, sondern deren emotionaler Grund. Mit der Wahrnehmung der Piratenpartei ist 2012 Auflage zu machen, Quote zu erzielen – sie kann Wähler beeinflussen. Die Piraten sind da, damit wird ihre Wahrnehmung zum Geschäft. Kein Wunder also, dass Journalistenhaudegen wie Becker und Rosenbach (Spiegel) einen 27-jährigen Piraten in einem Berliner Cafe solange bauchpinseln, bis dieser Wahrnehmung abliefert, die sich in einem Satz hinschreiben lässt und dabei Geschmack erzeugt. Natürlich sind beide Spiegelredakteure intellektuell in der Lage, ein Meinungsbild anhand des gesamten Gesprächs mit Martin Delius zu zeichnen. Doch eine Schmerz-Headline liest sich schnell, erklärt sich selbst und verkauft sich teuer. Säurestrahl – Auge – Aua!
Natürlich verlieren so auch 2.500 Contra-Tweets gegen den einen headlinefähigen Titten-Tweet. Das jedoch nicht nur bei der externen Presse, denn die würde einzelne Zweizeiler wohl gar nicht selbst filtern. Ebenso wenig der politische Gegner – zumal man dort unter “Tweets” meist noch Schmerzlaute versteht, die als hörbare Timeline dann entstehen, wenn weiße Mäuschen ein Frauenuniontreffen unterwandern.
Nein – hier prägt das Waldameisenprinzip das eigene Kommunikationswesen. Säurestrahl – Auge – Aua! Mülltweet – Timeline – offener Brief! Schon schließt sich der Kreis. Obwohl der offene Brief an sich ein tolles Mittel zur gezielten Auseinandersetzung ist, wird er durch die Presse zur allgemeinen Wahrnehmung verwurstet und verliert so auch innerhalb der Partei seine eigentliche Dimension. Einzelfälle werden zum Grundproblem – hier passt der Vergleich ebenfalls: es reicht, wenn sich ein einzelner Arsch erhebt.
Konstantin Weckers Willy-Textzeile “alle schaden sie, die alten wie die jungen Deppen…” trifft auf jeden “Ismus-Fall” zu. Menschenverachtendes darf niemals unkommentiert bleiben, darf sich niemals ausbreiten und muss in transparenter Weise klar verurteilt werden. Hier geht es nicht darum, dass diese Verurteilung seitens der Parteispitze betrieben wird, bei den Piraten ist es stets die Basis selbst, die als Filter unpiratigen Verhaltens die eigene Philosophie schützt – zeitnah, laut und öffentlich. Fakten müssen Fakten schaffen. Hass funktioniert nicht gegen Hass, ebenso wie Krieg nicht gegen Krieg funktioniert. Das Wertekonstrukt der breiten Piraten-Basis basiert auf diesem Grundsatz.
Schwarmintelligenz sorgt dafür, dass Waldameisen Großes leisten. Das Waldameisenprinzip hingegen wirkt von und nach außen. Das werden auch die Piraten nicht verhindern können. Was sie ändern können, ist ihr Vertrauen in die Menschen und darauf, dass sich langfristig nicht das Bild der säurespritzenden Waldameise durchsetzt, sondern das der gemeinschaftlichen Werte und die Idee von der Stärke einer selbstbestimmenten Basis.
Noch können die Piraten ihr eigenes Bild scharf werden lassen. Ob diese Bild dann das gewünschte ist, liegt nur daran, ob sich an die gemeinsame Wertevorlage gehalten wird oder ob man sich durch Begehrlichkeiten zum Klecksen verführen lässt. Hierzu gehört auch, dass Probleme nicht wegen der öffentlichen Wahrnehmung gelöst werden, sondern schlicht weil sie da sind. Nicht jeder Pressevertreter muss bedient werden – und nein, zu Friedmann muss man nicht gehen.
Die Piraten können Politik verändern, wenn sie der Idee der Offenheit treu bleiben und nicht der medialen Nutzung von Öffentlichkeit erliegen. Wenn sie den langen Atem beweisen, der für Veränderung nötig ist – und, wenn sie es schaffen, durch die eigenen Wurzeln getrieben erwachsen zu werden.
Säurestrahl – Auge – Aua!
Gerne, wenn es die richtigen Zeichen setzt!