Enno Lenze im Gespräch mit Verleger Wolfgang Ferchl, Knaus Verlag
Vor Kurzem erschien Julia Schramms Buch „Klick mich“ im Knaus Verlag, welcher zu Random House gehört. Julia Schramm ist Beisitzerin im Bundesvorstand der Piratenpartei, welche unter anderem für ein liberaleres Urheberrecht und die Legalisierung nicht-kommerzieller Kopien urheberrechtlich geschützter Werke eintritt.
Nachdem das Buch zum kostenlosen Download auf einer Internetplattform auftauchte, sandte der Verlag eine take-down-notice an den Betreiber, woraufhin die Datei gelöscht wurde. Danach entbrannte im Internet ein „Shitstorm“ gegen Julia Schramm. Es wurde ihr von einigen Piraten nicht weniger als der Verrat der Ideale der Partei sowie Bigotterie vorgeworfen.
Ich suchte den Kontakt zu ihrem Verleger Wolfgang Ferchl, um mit ihm über das Buch und die Vorfälle der letzten Tage zu sprechen. Er ist Jahrgang 1955, studierte Literatur, Geschichte und Philosophie und übernahm 2009 die Leitung des Knaus Verlages.
Enno Lenze: Warum wurden Sie Verleger?
Wolfgang Ferchl: Ich war immer ein begeisterter Leser, umgeben von Büchern. Daraus muss sich die Idee, Lektor zu werden, gespeist haben. Das mit der Verlegerei hat sich dann später ergeben.
Enno Lenze: Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Julia Schramm?
Wolfgang Ferchl: Vor rund einem Jahr hat die FAZ an einem Samstag das Feuilleton mit einem Essay von Julia Schramm aufgemacht. Wie einige andere Verlage sind wir so auf sie aufmerksam geworden.
Enno Lenze: Böse Zungen behaupten, Random House habe einen Vorschuss von 100.000 €
bezahlt, um Julia Schramm zu “kaufen”, und damit diese Situation forciert, was meinen Sie dazu?
Wolfgang Ferchl: Erst einmal: Knaus ist zwar Teil der Verlagsgruppe Random House, wir sind aber in unseren Programmentscheidungen autonom. Ich glaube, eine Story wird einfach würziger, wenn solche Beträge als Vermutung in den Raum gestellt werden. Grundsätzlich wird von keinem der Beteiligten je über Vertragskonditionen gesprochen.
Enno Lenze: Der Verlag versandte eine take-down-notice wegen des kostenlosen Downloads an Dropbox, woraufhin der “Shitstorm” entbrannte. Warum entschieden Sie sich für die take-down-notice als (rechtliches) Mittel?
Wolfgang Ferchl: Wir mussten gar keine „rechtlichen Mittel“ anwenden, wir haben schlicht Dropbox darauf hingewiesen, dass es sich um eine illegale Aktion handelt. Das hat genügt.
Enno Lenze: Haben Sie mit diesen Reaktionen gerechnet?
Wolfgang Ferchl: In dieser Eindimensionalität nicht. Dass so gut wie niemand die Absicht des Buches, einen Einblick in die Denk- und Lebenswelten der „digitalen Eingeborenen“ zu geben, zur Kenntnis nimmt oder kritisch würdigt, hat mich dann doch überrascht – vor allem nach dem Hype um die „Digitale Demenz“.
Enno Lenze: Gab es in Ihrem Verlag schon mal einen Titel, der ähnliche Reaktionen hervorgerufen hat?
Wolfgang Ferchl: Bücher, die hitzige Debatten nach sich ziehen, hat es immer wieder gegeben – zuletzt Henryk M. Broders „Vergesst Auschwitz“ und „Der Kulturinfarkt“. Dass der Inhalt eines Buches fast komplett hinter der Auseinandersetzung über die politischen Positionen der Autorin bzw. sogar der Partei, der sie angehört, zurücktritt, habe ich so noch nicht erlebt. Auf den gut 200 Seiten des Buches gibt es übrigens weniger als eine Seite zum Thema „geistiges Eigentum“. Noch nicht ein einziger „Kommentator“, von Rezensionen kann man ja in den meisten Fällen nicht sprechen, hat sich darauf bezogen. Übrigens hat Frau Schramm zusammen mit dem Manuskript einen ironischen „Selbstverriss“ abgegeben, auf den wir aber für das Buch verzichtet haben. Das zeigt, wie gut die Autorin ihre Pappenheimer und deren Reflexe kennt.
Enno Lenze: Kann man schon absehen, wie sich die vielen – bislang oft negativen – Stimmen auf den Verkauf auswirken? Gilt der alte Marketingleitsatz “Any PR is good PR” ?
Wolfgang Ferchl: Nein, das kann man noch nicht, denn vom Buch ist ja so gut wie gar nicht die Rede. Bisher ist es nur Anlass, über Julia Schramm und politische Positionen von Frau Schramm und den Piraten zu urteilen. Ich denke, wenn der Sturm sich gelegt hat, werden Menschen das Buch lesen, seine Intention erkennen und möglicherweise andere Schlüsse ziehen. Dann wird die PR, wie Sie sagen, sich auch hoffentlich positiv ausgewirkt haben.
Enno Lenze: Was halten Sie von den Vorschlägen der Piratenpartei zur Überarbeitung des Urheberrechts?
Wolfgang Ferchl: Fraglos muss das Urheberrecht an die digitale Welt angepasst werden. Wie das geschehen soll, darüber muss eine breite gesellschaftliche Debatte geführt werden, was ja auch der Fall ist, spätestens seit die Piraten dieses Thema provokativ besetzt haben. Dabei werden Verlage immer auf Seiten des Autoreninteresses stehen, ohne die Interessen der Leser aus dem Auge zu verlieren. Wenn ich es richtig sehe, sind wir die Ersten, die versuchen, mit unserer Idee der „Gelben Karte“ im Kontext von Julia Schramms Buch auch ein besonderes Zeichen in dieser Hinsicht zu setzen. Konkret sieht das so aus: Wenn wir einen privaten Nutzer dabei ertappen, dass er sich das Buch illegal beschafft hat, weisen wir ihn auf die Illegalität seines Tuns freundlich, aber bestimmt hin. Erst wenn wir im Wiederholungsfall von einem absichtlichen, böswilligen Verhalten ausgehen müssen, gibt´s die „Rote Karte“, nämlich eine kostenpflichtige Unterlassungserklärung.
Enno Lenze: Verlagen wird immer wieder eine Rückständigkeit bei den Verwertungsmodellen vorgeworfen. Haben Sie (bei diesem oder bei anderen Büchern) über alternative Modelle nachgedacht?
Wolfgang Ferchl: Wir denken ständig darüber nach, wie wir unter den sich verändernden Verwertungsbedingungen mit den uns von unseren Autoren übertragenen Nutzungsrechten ihres geistigen Eigentums verantwortungsvoll, was immer auch heißt ökonomisch verantwortungsvoll, umgehen. Das Problem ist genau deswegen so einfach nicht zu lösen: Unsere Autoren und wir leben in der Jetztzeit, die Gesetzeslage ist, wie sie ist, und immer noch dominieren gedruckte Bücher, auch wenn die E-Book-Verkäufe wachsen. Dass wir mehr tun als nur über Alternativen nachdenken, zeigt beispielsweise die „mobile Bibliothek“ Skoobe, die für einen monatlichen Pauschalbetrag eine E-Book-Nutzung ermöglicht.
Enno Lenze: Warum gibt es aber beispielsweise das Buch von Julia Schramm nicht für fünf Euro im Internet?
Wolfgang Ferchl: Die Kernzielgruppe dieses Buches ist, da sind wir uns mit Julia Schramm einig, ja nicht die Netzgemeinde. Für die veröffentlicht Frau Schramm kostenlos in Blogs und Tweets etc. Die Zielgruppe Schramms sind analog sozialisierte Menschen, die sich, wie soll ich sagen, erschreckt von Herrn Spitzers „Digitaler Demenz“ und anderen Stimmen, erzählen lassen wollen, wie so eine „digitale Eingeborene“ wirklich denkt, fühlt, lebt. Diese Zielgruppe liest immer noch mehrheitlich klassische Bücher, und ein Ladenpreis von 16.99 €, im E-Book 13,99 €, ist aus unserer Sicht richtig.
Enno Lenze: Dann ist also die Preisbindung ein Problem?
Wolfgang Ferchl: Ganz im Gegenteil. Schauen wir nach Amerika, wo es keine Preisbindung gibt, wie die dortige Landschaft aussieht: Ein paar sehr große Marktteilnehmer, nur noch wenige unabhängige Buchhändler, extreme Bestsellerorientierung usw.
Ich, der ich nur mit dem Netz lebe, glaube jedenfalls, seit ich Julia Schramms Buch gelesen habe, ein wenig besser Bescheid zu wissen, wie Menschen „im Internet leben“ und was das an neuen Chancen, aber auch gewaltigen Problemen mit sich bringt.