Leipzig – Raus aus dem Stimmungstief – .NEUSTART – rein in den Bundestag mit mindestens 6,5 Prozent? Auf Schloss Knauthain in Leipzig diskutierten 75 PIRATEN aus dem gesamten Bundesgebiet Strategien für den Bundestagwahlkampf. Angelegt als zweitägiges Barcamp gestalteten sie Inhalte und Ablauf der offenen Tagung weitgehend selbst. Mittels Großgruppenmoderation sollten allerdings auch konkret umsetzbare Ziele erarbeitet werden. Die Diskussionen zeigten dann streckenweise erneut die unterschiedlichen, teils konträren Ansichten zu Profil und Positionierung der Piratenpartei. Entsprechend uneinheitlich sind im Nachgang die Wertungen. Im Allgemeinen scheint die Grundstimmung aber positiv zu sein.
„Wir haben uns nach vorne bewegt“, erklärte etwa Bernd Schlömer beim Abschluss der Flaschenpost. Der Bundesvorstand habe einen klaren Auftrag erhalten und die Umsetzung werde umgehend erfolgen. Sebastian Nerz brachte die Ergebnisse des Barcamps „Strategie Bundestagswahl 2013“ gegenüber der Flaschenpost auf den Punkt: „Viele Arbeitsaufträge für die Vernetzungsarbeit, eine Vorstellung, wie eine Bundestagskampagne aussehen kann, eine grundsätzliche Einigung auf vereinigende Elemente sowie Themenschwerpunkte, die wir nach außen kommunizieren können.“ Davon solle „so viel wie möglich so schnell wie möglich“ umgesetzt werden.
Bereits im Vorfeld hatte Nerz erklärt, das Barcamp diene dazu, Herausforderungen und Chancen der Piratenpartei zu identifizieren und Vorschläge für eine Wahlkampfstrategie zu erarbeiten. Weder Inhalte noch Medienstrategien oder gar Plakatdesigns stünden im Fokus. Wenngleich solche Aspekte gelegentlich doch erörtert wurden, so fassten die PIRATEN die offene Tagung dennoch thematisch eng. Die Schwerpunkte wurden der jeweiligen Gesprächssituation angepasst und abwechselnd in großer Runde und in drei parallel stattfindenden Arbeitssessions erarbeitet und diskutiert. Zwar erwies sich manches zeitliche Korsett als zu eng, etwa beim SWOT-Brainstorming (Jan Hemme, Harry Schwan), doch die PIRATEN schafften es, sich eingehend mit vielen Dimensionen des Wahlkampfes zu beschäftigen: von der öffentlichen Meinung und den Massenmedien (Roman Ladig) sowie den PR-Basics beim Agenda-Setting (Radbert Grimmig; Daniel Domscheit-Berg) über die Alleinstellungsmerkmale und Zielgruppe(n) (Fabricio do Canto, Robert Stein-Holzheim, Roman Ladig, Bernd Schreiner, Manfred Schubert, Britta Werner, „SG Medien“) sowie der datengetriebenen Strategiefindung (@isopropanol, @solsken, „SG Statistik“) bis hin zu den Wahlprüfsteinen und der Basiseinbindung (Martin Delius), der Kandidatenvorbereitung (Fredo Mazzaro, Michael Röhrig) sowie den Wahlkampferfahrungen (Christopher Lauer, Matthias Schrade, Till Zimmermann).
Besondere Aufmerksamkeit weckten der Gedankenaustausch zu den Kampagnenmöglichkeiten (Nerz), die Vorstellung des Wahlkampfbegriffs „.NEUSTART“ durch die „SG Wahlsieg Berlin“ (Katja Dathe, fRED, Alf Frommer, Christopher Lauer) und die konkrete Zielvorgabe von 6,5 Prozent für die Bundestagswahl (Schlömer).
Nerz sprach über Selbstbildnis, Alleinstellungsmerkmal und Perspektiven der Piratenpartei. Indem er das Menschen- und Staatsverständnis der Piratenpartei destillierte und mit jenen von CDU/CSU, FDP, SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN und der Partei DIE LINKE verglich, eröffnete er die Möglichkeit, aus einer philosophischen Denkrichtung heraus mit „Claims“ wie „Freiheit“ und „Mündigkeit“ der Bürger politische Fragen beantworten und schließlich Kampagnen ableiten und glaubhaft vermitteln zu können. In diesem Zusammenhang betonte er die Verbindung von Struktur und Programm und erklärte den Einzug in den Bundestag zum Ziel der Piratenpartei. Prinzipiell zustimmend ergänzte das Plenum noch den Claim „Mitbestimmung“.
Schlömer: „Wir müssen jetzt nach vorne gehen.“
„Wir brauchen einen Bundestagswahlkampf, der polarisiert, und die Leute dazu bringt, PIRATEN zu wählen“, unterstrich Christopher Lauer gegenüber der Flaschenpost. In großer Runde hatte er darauf bestanden: „Eine Kampagne, die wir geil finden, andere aber nicht, ist nicht geil.“ Insofern wirke der Slogan .NEUSTART laut Alf Frommer sowohl nach innen als auch nach außen, sei für positive wie für negative Wahlkampf-Aussagen einsetzbar. .NEUSTART signalisiere „Aufbruch und den Beginn einer (politischen) Veränderung“. Schließlich bräuchten die PIRATEN eine klare Kommunikation ihrer Positionen, die die Inhalte transportiere und erkläre, warum die Piratenpartei gewählt werden solle. Der positiven Resonanz zufolge sah dies die überwiegende Mehrheit der anwesenden PIRATEN genauso.
Einen weiteren Impuls setzte Schlömer mit seiner Vision von bundesweit 6,5 Prozent der Wählerstimmen für die Piratenpartei. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten mit Blick auf die sehr limitierten finanziellen und personellen Ressourcen Prioritäten gesetzt werden. Dies bedeute etwa eine Konzentration auf jene Direktkandidaten, „die eine realistische Chance haben, in den Bundestag einzuziehen“.
In großer Runde arbeiteten Schlömer und Jens Seipenbusch zudem heraus, wofür die Piratenpartei inhaltlich stünde – etwa Bürgerrechte, Transparenz, Informationsfreiheit, Soziales –, auch personell, organisatorisch und in positiver Abgrenzung nach außen. Hier forderte Seipenbusch, Ziel müsse jetzt sein, die Bundestagswahl zu gewinnen, nicht, die Partei fortzuentwickeln. Dabei seien die Themen „vom Wähler aus“ zu denken. Entschieden werde auch nur noch, was entschieden werden müsse.
Gegenüber der Flaschenpost stellte Johannes Ponader jedoch heraus, dass das Barcamp keine Entscheidungen liefern, sondern nur Anstöße geben sollte, damit sich die Gesamtpartei dazu positionieren könne. Alles, was zur Motivation beitrage, sei die richtige Strategie: „Wenn wir Mitglieder haben, die keine Lust haben, an den Infostand zu gehen, sondern lieber baden gehen, dann werden wir auch in der Wahl baden gehen.“ Gewonnen werde die Wahl in den acht Wochen vor der Bundestagswahl. „Einen Druck jetzt aufzubauen – keine Selbstbeschäftigung mehr, keine Debatten über unser Selbstverständnis mehr –, das halte ich für einen fatalen Weg, denn wenn wir ohne klare Identität in die Wahl gehen, dann wird es uns zerlegen.“
Je nach dem, mit welcher Erwartungshaltung dieses Barcamp betrachtet wird, fallen die Bewertungen unterschiedlich aus. Martin Delius etwa war ohne Erwartungen angereist. Sein Wahlkampf werde ohnehin darin bestehen, seine Arbeit zu „multiplizieren, indem ich meine Arbeit als Mandatsträger gut mache“. Das Barcamp habe aber „klare strategische Vorgaben“ für den Bundesvorstand geliefert. Schlömer selbst sieht nach dem Barcamp „eine positive Grundstimmung“. Die meisten wollten jetzt arbeiten und seien motiviert, warteten nur noch auf die Entscheidung des Bundesvorstandes. Nerz wiederum hofft, dass die Ergebnisse auch vor Ort kommuniziert werden. Außerdem suche die „Projektgruppe Bundestagswahl“ des Bundesvorstandes noch Verstärkung.