Dieses Jahr ist Bundestagswahl und wie überall sonst auch laufen in der Piratenpartei die Vorbereitungen dafür auf Hochtouren. Wir haben mit dem zuständigen Bundesvorstandsmitglied, dem stellvertretenden Vorsitzenden Sebastian Nerz, und mit Wahlkampfkoordinator Matthias Schrade über die Pläne der Piratenpartei im Wahlkampfjahr 2013 gesprochen.
Flaschenpost: Was ist der größte Unterschied zwischen den Bundestagswahlkämpfen 2009 und 2013?
Matthias: Dass wir inzwischen viel Erfahrung haben. Damals sind tausende größtenteils gerade neu eingetretene Mitglieder losgestürmt und haben – oft mit spontan selbst produziertem Material – einfach irgendetwas gemacht, ohne groß auf Effektivität zu achten und ohne strategische Grundlage. Im Prinzip lief alles über Begeisterung und Engagement, eine wirkliche Planung gab es nicht, Geld hatten wir auch keines, niemand kannte uns.
Begeisterung und Engagement haben wir immer noch. Zusätzlich haben wir jetzt zumindest ein bisschen Geld, wenngleich immer noch viel viel weniger als alle anderen Parteien. Außerdem ist Wahlkampf für viele Piraten inzwischen fast schon Routine. Und diesmal können wir den Bundestagswahlkampf in Ruhe vorbereiten. Die Planungen sind ja schon jetzt über ein halbes Jahr im Gange. Von der Orga-Seite her sind wir daher bestens für 5 Prozent plus X gerüstet.
Sebastian: Wir stehen auch in einer anderen Situation. Bei den Wahlen 2009 bis 2011 wurden wir unterschätzt, niemand hat auf uns geachtet. 2012 hatten wir einen Lauf. Dieses Mal werden wir angegriffen, der „Reiz des Neuen“ ist zumindest teilweise verflogen und wir befinden uns insgesamt in einer schwierigeren Situation. Aber genau deshalb haben wir ja das Mehr an Planung und Vorbereitung – das erlaubt uns dann, die Kreativität und Spontaneität tatsächlich für Aktionen zu nutzen und nicht für die Hauptorga.
Flaschenpost: Welche Bedeutung haben die zwei Landtagswahlen, insbesondere die in Bayern, die nur eine Woche vor der Bundestagswahl stattfindet?
Matthias: Die sind sehr wichtig! – Da Hessen zeitgleich mit der Bundestagswahl am 22.9. stattfindet, werden wir dort von bundesweiten Aktionen und Presseberichten profitieren. Das Gleiche gilt auch für Bayern. Und wenn wir dort ein gutes Ergebnis einfahren, bringt das enormen Rückenwind für den Bund. Allerdings gilt das natürlich auch in die umgekehrte Richtung, daher müssen wir die bayerischen Piraten besonders aktiv unterstützen.
Sebastian: Man kann das noch härter formulieren – wenn wir in Bayern ein schlechtes Ergebnis kriegen, wird es im Bund wirklich schwierig. Ein gutes Ergebnis gibt uns dagegen Auftrieb. Deshalb haben wir zwei Wahlkampfhöhepunkte.
Flaschenpost: Welche Schwerpunkte werden thematisch gesetzt und wie wurde das entschieden?
Matthias: Der Bundesvorstand hat eine LimeSurvey-Umfrage an alle Mitglieder verschickt. Daran haben sich über 5.000 Piraten beteiligt, jeder konnte bis zu drei Themen nennen. Die Ergebnisse wurden im Vorstandsportal veröffentlicht. Ganz klare Top-Themen mit 2.369 Nennungen sind Freiheit und Grundrechte sowie Demokratie-Reform und Mitbestimmung (2165 Stimmen). Als drittes Hauptthema des Wahlkampfes votierte die Basis für Informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz (1367), gefolgt von Netzpolitik (1149), Bildung (1062) sowie Arbeit und Soziales (943). Der Fokus wird im Wahlkampf damit auf den „klassischen“ Piratenthemen liegen.
Flaschenpost: Wen wollen wir mit unserem Wahlkampf ansprechen, haben wir eine bestimmte Zielgruppe?
Sebastian: Zielgruppenfragen sind nie einfach zu beantworten. Vor allem bei der Piratenpartei ist das schwierig – wir haben von allen Parteien die heterogenste Wählerschaft. Unsere bisherigen Wahlergebnisse zeigen allerdings, dass wir größtenteils junge Wähler haben. Und wir haben viele Wähler, die mit der Politik ihrer bisherigen Partei unzufrieden sind. Das betrifft dann auch insbesondere die ehemaligen Regierungswähler. Klar, eine Oppositionspartei kann weniger falsch machen und die Enttäuschten wechseln dann eher ins Regierungslager.
Wer aber primär einen Politikwandel erreichen will, der will seine Stimme nicht „verschenken“. Wichtig ist also, dass wir in den Umfragen kurz vor der Wahl bei oder über 5 Prozent stehen. Wähler müssen daran glauben, dass wir auch in den Bundestag kommen. Unsere Zielgruppe sind dann also Unentschlossene und Nichtwähler. Eine sekundäre Zielgruppe sind diejenigen, die mit ihrer letzten Wahl unzufrieden waren und sich nach einem Wandel sehnen. Wir dürfen uns darauf aber nicht zu eng fokussieren.
Flaschenpost: Wie wollen wir die Zielgruppen explizit ansprechen?
Sebastian: Wir müssen uns auf einen Lagerwahlkampf einstellen. Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb – auch wenn beide Lager wissen, dass es vermutlich anders kommen wird. In einem Lagerwahlkampf kann man sich einer Seite zuordnen – oder sich ganz bewusst abseits stellen und darstellen, dass dieses Lagerdenken Unsinn ist. Genau das sollten wir meiner Meinung nach auch machen. Wir wollen thematisch-sachlich arbeiten und nicht nach Nasenfarbe entscheiden!
Um das machen zu können, müssen wir unser Programm aber auch tagesaktuell anwenden. Wir müssen also schauen, welche Fragen wir beantworten können und das tatsächlich machen. Vor allem müssen wir dabei eigene Vorschläge einbringen und nicht nur schimpfen. Und wir müssen darstellen, was die große Idee hinter unserem Programm ist: Wie stellen wir uns den Staat vor, was für ein Menschenbild haben wir?
Matthias: Uns wird ja vorgeworfen, unser Programm sei ein Flickwerk. Wir haben aber eine konkrete Vision von einem transparenten Staat mit vielen Möglichkeiten, sich demokratisch einzubringen und von einem selbstbestimmten mündigen Bürger. Alle unsere Ideen und Forderungen lassen sich auf dieses Menschen- und Staatsbild zurückführen. Indem wir das darstellen, beweisen wir, dass unser Programm ein großes Ganzes ist.
Für den Wahlkampf bedeutet dies: Sachliches Auftreten, das übliche Politbashing vermeiden, abseits der Lager stehen und unser Programm tagesaktuell und selbstbewusst darstellen. Wenn wir das richtig machen, stehen wir auch für einen echten Politikwandel.
Flaschenpost: Was wird das „Motto“ des Wahlkampfes, wie wollen die Piraten auftreten?
Sebastian: Das ist eine ganz schwierige Frage. Wir sind eine Partei, die nicht einheitlich auftreten will und das ist auch gut so. Entsprechend müssen wir zulassen, dass wir auch im Wahlkampf mit mehreren Zungen sprechen können. Wir haben uns deshalb überlegt, dass wir im Bund eine vereinigende Kampagne entwerfen. Das heißt, es gibt ein paar vorgegebene Themen, Termine und so weiter. Aber die Tonalität, in der diese Themen dann rüber gebracht werden, bleibt den Landesverbänden und Kandidaten überlassen.
Dafür haben wir drei Leitlinien entworfen. Die erste ist Meuterei: Fordernd, unbequem, rauh, kämpferisch, wilder Protest gegen den Unsinn, der bisher die Politik lähmt. Die zweite ist die humanistische Tonalität: Wir sind die mit den Fragen, stehen für Transparenz und Aufklärung, ganz im humanistischen Ideal auf der Suche nach dem mündigen, selbstbestimmten Menschen. Der dritte Anklang ist die Kurskorrektur: Nicht so wild wie die Meuterei, aber mit dem klaren Ziel, die Gesellschaft zu verändern, der Steuermann zu sein.
Ich glaube, dass sich jeder irgendwo bei diesen drei Strömungen einordnen kann. Vor allem sind das aber auch nur grobe Richtlinien. Im Rahmen der großen Kampagne kann das jeder selbst mit Leben füllen. Auf dass wir eine Partei sind – mit vielen Stimmen.
Flaschenpost: Wie können wir uns den Wahlkampf dieses Jahr vorstellen? Was für Aktionen sind geplant?
Sebastian: Wir wollen mehrere Aktionstage bis zur Wahl machen. An jedem dieser Aktionstage soll es möglichst überall große Aktionen geben – das können Demonstrationen sein, Flashmobs, aber auch Social Media Initiativen oder Massenbriefe an Abgeordnete. Was immer eben den Piraten vor Ort da einfällt.
Bei manchen der Aktionen wird es einen äußeren Anlass geben – internationale Verhandlungen über Handelsabkommen beispielsweise. Dann sollten wir idealerweise überall die gleiche Aktion haben. Bei anderen wollen wir eigene Themen setzen – oder auch jedem Land oder Kreis selbst überlassen, was sie tun. Hauptsache ist, dass etwas stattfindet. Für die Zeit direkt vor der Wahl wollen wir dann eine „7 Tage, 7 Aktionen“-Woche machen. Jeden Tag eine schöne, bildgewaltige und inhaltsstarke Aktion, mit der wir von uns reden machen.
Matthias: Wir haben schon einige spektakuläre Aktionen im Köcher, aber was genau, wollen wir der politischen Konkurrenz jetzt noch nicht verraten (lacht). Weitere Ideen für die heiße Phase werden bereits fleißig gesammelt, sind aber auch jederzeit später willkommen. Das Tolle ist ja, dass sich viele erfolgreiche Aktionen aus Landtagswahlkämpfen problemlos aufgreifen und deutschlandweit kopieren lassen. Das sollten wir meiner Ansicht nach einfach konsequent tun. Warum das Rad jedes Mal neu erfinden? Wir sind schließlich Piraten und stehen für freies Kopieren von guten Ideen.
Ansonsten müssen wir einfach versuchen, unsere Themen immer und immer wieder in die Debatte zu bringen. Wir dürfen uns nicht mehr von anderen treiben lassen, sondern müssen selbstbewusst unseren eigenen Weg verfolgen.
Flaschenpost: Wie viel wird zentral vorgegeben, und welche Freiheiten haben Piraten vor Ort? Wie werden zentrale Vorgaben unterstützt bzw. umgesetzt?
Sebastian: Es wird natürlich alle Freiheiten geben. Man kann sich das wie einen Baukasten vorstellen – wir haben eine Reihe von Themen und Kampagnen, ein paar Termine und Designs. Aus denen können die Verbände sich bedienen. Und auch wenn jeder Verband dann seine eigene Kampagne hat, passen sie doch zusammen.
Am Beispiel der Plakate lässt sich das vielleicht am besten erklären. Hier gibt es eine im Bund entworfene Kampagne. Ideal wäre, wenn sich alle LVs daran orientieren, denn dann würden die Plakate überall wiedererkannt. Aber wir wissen, dass nicht jeder die gleichen Plakate gut findet. Deshalb wird es mehr Plakatmotive geben als wir brauchen – und somit für jeden LV eine größere Auswahl. Wenn aber auch das nicht genügt, dann gibt es noch die Möglichkeit, eigene Motive zu organisieren. Der PShop bietet dafür die Logistik. Jeder LV hat also völlig freie Hand, der Bund macht hier nur ein Angebot.
So ist es ja auch bei den Themen und Tonalitäten. Wir entwerfen einen Kampagnenvorschlag und nicht jeder LV wird alle Themen behandeln wollen, manche LVs haben eigene Schwerpunkte, wollen sich beispielsweise beim Umweltschutz stärker engagieren. Das wollen wir auch ganz explizit fördern! Die Piratenpartei war schon immer eine sehr heterogene Partei – das ist eine unserer größten Stärken.
Vielen Dank, Sebastian und Matthias, dass ihr euch die Zeit für dieses Interview genommen habt!