Seit den Kommunalwahlen am 11. September 2011 stellt die Piratenpartei Niedersachsen innerhalb der Piratenpartei Deutschland die meisten Mandatsträger in den Volksvertretungen. Die Wähler haben beauftragt, die Piraten liefern. Wir haben einige Beispiele für euch zusammen getragen.
Stadtrat Braunschweig: Jens-Wolfhard Schicke-Uffmann gewinnt Transparenzklage gegen Oberbürgermeister
In Braunschweig wurde der Piratenfraktion im Stadtrat der Einblick in Verträge zwischen der Stadt und einer ortsansässigen Stiftung durch den Oberbürgermeister Gert Hoffmann verweigert. Hoffmann begründete dies damit, dass nach Par. 58 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes (NKomVG) eine Akteneinsicht nur gewährt werden muss, wenn sie der Kontrolle der Umsetzung von Ratsbeschlüssen oder organisatorischen Rahmenbedingungen der Verwaltungsarbeit dient
Die Piratenfraktion schaltete zur Klärung die Kommunalaufsicht beim Niedersächsischen Innenministerium ein, welche die Rechtsauffassung Hoffmanns bestätigte. Der Fraktionsvorsitzende Jens-Wolfhard Schicke-Uffmann stellte daraufhin eine schriftliche Anfrage zum Wortlaut der Verträge. Nach Par. 56 NKomVG war Hoffmann damit zu einer Auskunft verpflichtet, auch ohne dass seine Antwort dazu dienen sollte, die Umsetzung von Ratsbeschlüssen zu kontrollieren. Oberbürgermeister Hoffmann verweigerte aber auch auf die schriftliche Anfrage hin die Auskunft.
Da es für dieses Zurückhalten von Informationen gegenüber der Piratenfraktion keinerlei rechtliche Grundlage gab, reichte Schicke-Uffmann Klage vor dem Braunschweiger Verwaltungsgericht ein. Das Verwaltungsgericht bestätigte die Rechtsauffassung der Piraten und verurteilte Hoffmann dazu, dem Fraktionsvorsitzenden der Piraten den angefragten Wortlaut der Verträge mitzuteilen. Das Gericht betonte, dass jedes einzelne Mitglied der Kommunalvertretung umfangreiche, persönliche Informationsrechte gegenüber der Verwaltung hat.
Das Urteil ist über die Vorgänge in Braunschweig hinaus ein großer Erfolg für die Piratenpartei Niedersachsen, weil es Rechtssicherheit und Zugang zu bisher geheimen Verträgen für alle niedersächsischen Kommunalpolitiker schafft. »Sobald das Urteil rechtskräftig ist, weiß jedes niedersächsische Ratsmitglied, wie es an alle Informationen kommen kann, die es für seine Arbeit benötigt. Die Einsicht in Verwaltungsunterlagen muss unabhängig sein von Mehrheiten, Fraktionen oder gar dem guten Willen des Hauptverwaltungsbeamten«, erklärt Schicke-Uffmann, der die Landesliste der niedersächsischen Piraten für den Bundestag anführt. »Es ist bedauerlich, dass die Rechte eines demokratisch gewählten Rates gegenüber einem Verwaltungsbeamten erst vor Gericht durchgesetzt werden mussten.«
Autor: Susann Flegel @flegels
Stadtrat Osnabrück: Ralf ter Veer erwirkt transparenten Haushalt durch OpenSpending
Öffentliche Haushalte zu verstehen und zu überblicken ist eine Sisyphusarbeit – nicht nur für die Kämmerer, sondern auch für die darüber beschließenden Mitglieder der Gremien, für Journalisten und vor allem für die Bürger. Allein der etwa 400 Mio. Euro umfassende Jahreshaushalt der Stadt Osnabrück umfaßt 2 Bände, als PDF jeweils 8 MB groß. Der interessierte Bürger den es betrifft, hat kaum eine Chance, diese Zahlenkolonnen schnell zu überblicken. Die Plattform openspending.org setzt in dieser Frage neue Maßstäbe. Nicht nur Landes- oder Kommunalhaushalte, sondern auch der um ein Vielfaches größere Bundeshaushalt wird dort jedem Interessierten übersichtlich dargestellt, und erlaubt mit nur wenigen Mausklicks auch Einblick in die einzelnen Ressorts mitsamt Änderungen gegenüber den Vorjahren. Die meisten Nutzer erleben diese Darstellung als einen richtigen Aha-Effekt.
Um die Haushalte derart übersichtlich zu präsentieren, werden die Daten in maschinenlesbarem Format benötigt. Die bereits veröffentlichten PDF-Dateien lassen sich zu diesem Zweck nicht ohne weiteres verwenden, aber die Verwaltung kann sie aus ihrer Software etwa als CSV exportieren und verfügbar machen. Genau das hat der Pirat Ralf ter Veer im Osnabrücker Stadtrat beantragt und einen einstimmigen Beschluß erwirkt. Die Verwaltung wurde somit beauftragt, die beschlossenen Haushaltspläne sowie -entwürfe zur freien Nutzung auf einer Plattform wie offenerhaushalt.de zu publizieren.
Durch dieses Leuchtturm-Projekt will die Piratenpartei Osnabrück mit gutem Beispiel vorangehen und alle öffentlichen Stellen anregen, ihre Haushaltspläne für jedermann nachvollziehbar zu präsentieren. Zwar ist die Veröffentlichung der nackten Zahlen wichtig, aber die politische Teilhabe für jedermann kann nur durch eine angemessene Präsentationsform der Daten erreicht werden. Die Kernforderung der Piraten, das Staatswesen transparent zu gestalten und Teilhabe zu ermöglichen, nimmt hiermit greifbar Gestalt an. Genau so wollen Piraten auf allen Ebenen die Demokratie stärken, indem sie die Hürden absenken und öffentliche Belange für jedermann nachvollziehbar präsentieren.
Autor: Kevin Price @mister_burns, Lizenz: CC-BY 2.0
Braunschweig: Stadt muß langfristige Nachteile der Privatisierung einräumen
Dass Privatisierung dazu geeignet ist, kurzfristig mehr Geld in die Stadtkasse zu spülen und Kreditaufnahmen aufzuschieben ist bekannt. Sinnvoll kann sie wenn überhaupt aber nur sein, wenn auch langfristig finanzielle Vorteile zu erwarten sind.
Die unter Federführung des Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmens KPMG erfolgte Privatisierung von Dreivierteln der Braunschweiger Stadtwerke im Jahr 2002 galt trotz einiger kritischer Stimmen aus der Kommunalpolitik bislang als Musterbeispiel einer gelungenen Privatisierung. Als Beweis galt der Stadtverwaltung ein im Jahr 2010 veröffentlichtes Gutachten, das ebenfalls von KPMG erstellt wurde. Darin wird eine ansonsten in der Finanzwelt unbekannte Kennzahl, der „kalkulatorische Gesamtverschuldungsstand“ berechnet und ein Vorteil von etwa 240 Mio. EUR für die Privatisierung errechnet. Von verschiedenen Seiten wurden Fragen zur Methode des Gutachtens und der genaueren Bedeutung dieser Kennzahl aufgeworfen, jedoch von der Stadtverwaltung lange Zeit ausweichend beantwortet.
Anstatt sich weiter mit der Auseinandersetzung um die genaue Interpretation einer ohnehin fragwürdigen Kennzahl zu beschäftigen, stellte Ratsherr Jens-Wolfhard Schicke-Uffmann von den Piraten konkrete Fragen zur langfristigen Schuldenentwicklung der Stadt unter den beiden von KPMG betrachteten Szenarien. In der Ratssitzung musste die Verwaltung dann einräumen: Durch die Privatisierung wird der Schuldenstand in hundert Jahren doppelt so hoch sein, wie er ohne Privatisierung gewesen wäre. Ohne die Privatisiering wäre die Stadt heute um 130 Mio. Euro reicher.