Die Flaschenpost interviewt alle Spitzenkandidaten der einzelnen Bundesländer für die Bundestagswahl 2013. Wir fragen genauer nach, was ihre Ziele für Deutschland sind und wie man sie im Wahlkampf unterstützen kann.
Heute: Heiko K. L. Schulze
Name | Heiko K. L. Schulze |
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Alter | 59 |
Wohnhaft in | Kiel |
Beruf | Denkmalpfleger, Kunsthistoriker |
Spitzenkandidat in | Schleswig-Holstein |
Direktkandidatin für Wahlkreis | 15 – Güstrow I |
heiko.schulze@piratenpartei-sh.de |
Flaschenpost: Warum bist Du der Piratenpartei beigetreten? Was macht für Dich die (Politik der) Piratenpartei aus?
Heiko: Ich wurde gezwungen! – Nein, im Ernst: Irgendwann war der Punkt erreicht, wo ich spürte, es reicht! Immer nur meckern über die da oben hilft nicht, alle vier-fünf Jahre ein Kreuz machen hilft auch nicht, nichts tun erst recht nicht. Wenn man was erreichen will, muss man mitmachen. Und hier war einfach das Angebot der Piratenpartei als “Mitmachpartei” passgenau da in meiner damaligen Situation im Herbst 2009. Piraten hatte ich mir bis dahin immer als blasse, in dunklen Kellerräumen hausende Jünglinge vorgestellt, die – kaum 5 Minuten von ihrem heißgeliebten Laptop getrennt – Pusteln und Ausschlag bekommen. Was für eine Überraschung, hier ganz tollen, aktiven, aufgeschlossenen Menschen zu begegnen. Ich habe es keinen Tag bereut.
Wir leben in einer Zeit, in der Politik völlig anders definiert und mit Leben gefüllt werden kann, wo andere, neue Strukturen aufzubauen möglich ist, in phantastischen Rahmenbedingungen nahezu unbegrenzter kommunikativer Möglichkeiten, die kaum eine andere Generation vor uns so hatte. Die Piratenpartei hat die Möglichkeit, genau in dieser gesellschaftlichen Umbruchsituation mit völlig neuer Politik aktiv zu werden. Nutzen wir diese Chance!
Flaschenpost: Was hat Dich motiviert, für den Bundestag zu kandidieren? Was war Dein erster Gedanke, als Du das Listen-Wahlergebnis gesehen hast?
Heiko: Wir hatten gerade 2012 in Schleswig-Holstein einen erfolgreichen Landtagswahlkampf hinter uns. Die Erfahrung als Direktkandidat auf Infoständen, Podiumsdiskussionen, Veranstaltungen und Gesprächen war: die Menschen nehmen uns ernst, wir haben etwas zu bieten. Klar, waren wir auch als Spaßpartei ohne Programm verschrien. Aber man hörte uns zu. Und dass ich aus dem Stand über 10% in meinem Wahlkreis geholt habe, war ein grandioses Gefühl. Und dann kam der Kommunalwahlkampf in diesem Frühjahr. Hier war die Erfahrung eine andere. Für Vieles, was die Menschen auf lokaler Ebene bewegt, werden die Rahmenbedingungen im fernen Berlin festgelegt. Gefühlt irgendwo auf einem anderen Planeten. Wer also lokal was ändern will, muss auch dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Mich dafür einzusetzen, das habe ich mir vorgenommen.
Bevor ich kandidiert habe, habe ich natürlich mit vielen Piraten und Freunden darüber gesprochen, so ganz von außen kam ich nach zwei Jahren Generalsekretär im Landesvorstand ja nicht. Das Feedback war überwältigend positiv, so dass ich – mit 58 Jahren als ältester Kandidat – angetreten bin. Dass ich aber im ersten Wahlgang nicht nur als einziger von 16 die Quote erreicht habe, sondern auch mit einem tollen Ergebnis, das hat mich wirklich umgehauen. Und auf die anderen Plätze sind auch tolle Piraten aus allen Teilen des Landes gewählt worden, so dass wir ein gutes Team aufbauen können. Erst Stunden später habe ich, glaube ich, begriffen, dass es nun ernst wird…
Flaschenpost: Wie möchtest Du unsere Politik und unser Programm den Wählern näher bringen?
Heiko: Nichts ersetzt ein persönliches Gespräch. Natürlich kann man auf diese Weise nicht alle erreichen, aber der Weitererzähl- und Erlebniseffekt dürfen nicht unterschätzt werden. Ich gehe davon aus, dass ich auf vielen Veranstaltungen “herumgereicht” werde, und will die Chance nutzen, unsere Politik zu erklären. Zahlreiche Möglichkeiten werden an uns herangetragen: Wahlprüfsteine, konkrete Fragen, Angebote des Kennenlernens, Podiumsdiskussionen usw. Das will ich sehr ernst nehmen, denn hier wird ein Interesse an uns (und vielleicht an mir und den anderen Kandidaten) deutlich. Man will nicht nur unser Programm, sondern auch uns als Menschen kennenlernen. Deutlich zu machen, dass hinter unserer Politik auch ganz normale, engagierte Menschen und keine aalglatten Politikermaschinen stehen, ist unglaublich wichtig. Ihr seht schon, ich bin mehr der analog denkende Mensch.
Flaschenpost: Was möchtest Du im Wahlkampf machen und wie kann man Dich dabei konkret unterstützen?
Heiko: Ich habe mir aktiv vorgenommen, zahlreiche Orte aufzusuchen, wo Menschen leben und arbeiten, um dort mit ihnen in Kontakt zu kommen. Dabei bin ich natürlich auf die Hilfe ganz vieler Piraten vor Ort angewiesen. Dass daneben natürlich die üblichen Veranstaltungen wie Infostände usw. laufen, ist selbstverständlich. In Schleswig-Holstein mussten wir nach der anstrengenden Kommunalwahl erst einmal durchpusten, so dass viele Aktionen derzeit (Mai) noch gar nicht so konkret geplant sind.
Flaschenpost: Was ist dein thematischer Schwerpunkt?
Heiko: Natürlich bestimmt mein beruflicher Hintergrund weitgehend auch meine Themen: Bauen, Verkehr, Infrastruktur und die damit zusammenhängenden Planungsgrundlagen, ich habe u.a. Städtebau und Raumplanung (als Nebenfach) studiert. Dazu gehören vor allem die Raumordnungs- und Baugesetze und die damit einhergehenden Beteiligungsmöglichkeiten für die Bürger, die frühzeitiger und umfassender einsetzen müssen als bisher. Bereits in sehr frühen Planungsphasen sollte es daher möglich sein, Bürgerbefragungen oder -begehren durchzuführen. Gerade die Großprojekte im Bau- und Verkehrsbereich, in denen Milliarden investiert werden, zeigen, dass es hier mehr Möglichkeit der frühzeitigen Mitwirkung geben muss. Nutzen wir hier auch die neuen Medien.
Maßstab und Orientierung bei allem Handeln müssen dabei der Mensch und seine Lebensbedingungen bleiben. Meine Stichworte wären hier: Erhalt und Entwicklung von Siedlungsstrukturen, bezahlbaren Wohnraum schaffen, Nachhaltigkeit in der Siedlungs- und Gewerbeplanung sowie beim Umgang mit Altbausubstanz, altersgerechtes Bauen, Entwicklungen vorantreiben (generationsübergreifendes Wohnen und Arbeiten, Förderung innerstädtischen Wohnens) und vieles mehr.
Daneben arbeite ich mich in den Bereich Lobbyismus ein. Parteienfinanzierung muss klar und nachvollziehbar sein, ein Lobbyregister, das seinen Namen auch wirklich verdient, ist dringend notwendig, Karenzzeiten für Regierungsmitglieder und Abgeordnete, klare Offenlegung von Nebeneinkünften. Ganz wichtig ist eine vollständige Transparenz im Gesetzgebungsverfahren: wer ist wann an welchen Entwürfen und Entscheidungen beteiligt gewesen, wessen Beratung und Einfluss wird im Gesetzentwurf deutlich usw.
Religionsfragen werden sicher ein weiteres Thema sein, das gleichwertige Miteinander der Religionen zu fördern, freie Religionsausübung zu garantieren. Das bedeutet aber auch, dass wir uns dafür einsetzen müssen, dass Religionsausübung etwa im öffentlichen Raum auch dann möglich sein muss, wenn es andere Menschen berührt oder in ihren Entfaltungsmöglichkeiten sogar einschränkt. Das ist für mich ein Gradmesser für Toleranz und Förderung individuellen Lebens, das wir so verteidigen. Dass die Piraten eine strikte Trennung von Staat und Kirche fordern bedeutet auch, sich ernsthaft mit der Historie und Entwicklung dieses Verhältnisses auseinandersetzen zu müssen, um die aktuelle Situation und Bedeutung der Kirchen für unser Gesellschaftssystem verstehen zu können. Erst dann werden unsere Forderungen auf Akzeptanz stoßen.
Kunst und Kultur zu fördern, soweit dies als Bundesaufgabe möglich ist. Die Kulturhoheit der Länder treibt allzu viele seltsame Blüten, hier im Bereich von Verbesserungen der Rahmenbedingungen zu arbeiten, reizt mich.
Flaschenpost: Wofür möchtest Du Dich im Bundestag einsetzen, welches Ressort / welche Ausschüsse möchtest Du besetzen?
Heiko: Das Fell des Bären sollte man nicht vor der Erlegung verteilen. Wir wissen doch überhaupt noch nicht, welche Ausschüsse – neben wenigen gesetzten – es geben wird. Also kann ich diese Frage nicht beantworten. Ich denke, hier wird eine gut aufgestellte Fraktion als Minischwarm intelligente Lösungen für alle finden. Als Abgeordneter sollte man sich auch in mehr als sein Schwerpunktthema einarbeiten können. Aber aus meinen Bereichen wird sich sicher etwas ergeben. – Ach ja, Arbeit in und für die Fraktion ist wichtig.
Trennung von Mandat und politischem Amt (also Respektierung und damit Stärkung von Legislative und Exekutive), fraktionsübergreifendes Arbeiten (kein Fraktionszwang) – das wären zwei wichtige parlamentarische Punkte. Daneben wäre der Bereich der Gesetzesreduzierung und -vereinfachung zu nennen. Die Menschen müssen Gesetze wieder verstehen können. In diesem Zusammenhang wäre auch die Förderung der Leichten Sprache zu nennen.
Flaschenpost: Wenn Du eine Sache in Deutschlands Politik ändern könntest – was wäre das?
Heiko: Ich wünschte mir einen respektvolleren Umgang der Politiker untereinander, aber der auch der Medien mit Politikern und umgekehrt. Wir haben ein Stück weit die Kultur des echten politischen Streits verloren. “Politiker sind auch nur Menschen” ist kein leerer Spruch, sondern sollte genau als das so akzeptiert werden. Es sind keine funktionierenden Maschinen, die auf alles eine Antwort haben (müssen).
Flaschenpost: Danke für das nachdenkliche Gespräch!
Das nächste Spitzenkandidateninterview gibts in einer Woche. Dann im Gespräch: Vincent Thenhart, der für die Piraten Rheinland-Pfalz in den Bundestag möchte.