Neulich im Auto
Eine reale Begebenheit, die mir Mahnung und Ansporn ist. Ich hole mein Kind von der Schule ab und voller Begeisterung zeigt er mir ein kleines Heft von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegeben: „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“. Auf dem Nachhauseweg stehen wir im Stau und er zitiert begeistert den einen oder anderen Paragraphen.
Ich will ihn nicht anlügen, aber ihm zu sagen, dass diese Broschüre zunehmend einem Prospekt voller wolkiger Werbeaussagen entspricht, bringe ich auch nicht übers Herz. Stolz, ja genau, stolz auf ein Land zu sein, das dieses Grundgesetz als höchste Rechtsnorm sein eigen nennt, genau dieser Stolz verbietet es mir, über dieses kleine Heft zu spotten. Ich kann nicht die vielen Schicksale auf dem Weg zu diesem Gesetz ignorieren, es abwerten, es nicht ernst nehmen oder es als „unverbindlichen Leitfaden“ hinstellen.
Aber ich will nicht von meiner Linie abweichen, dem Kind ein ehrlicher und aufrechter Partner auf seinem Weg ins Leben zu sein.
Was ist aus der BRD geworden?
Die BRD hat in ihrer jungen Geschichte so manchen Fusstritt ausgehalten. Angefangen von der Augstein-Affäre (1962), dem Radikalenerlass (1972) bis hin zu den Zensurversuchen von Ursula von der Leyen und Brigitte Zypries (2009) blieb dieser Staat ein Rechtsstaat. Jetzt, im Jahr 2013, können wir aufgrund täglich neuer Hiobsbotschaften feststellen, dass der Überwachungsstaat DDR mit seinen Staatssicherheitsorganen dagegen eher ein amateurhafter Spitzelclub war.
Sicherheitsjunkies erheben sich über Bürgerrechte und Grundgesetz, in England bedroht der Staatsapparat die Presse, in den USA gibt es passend zu Geheimgerichten outgesourcte Foltergefängnisse und die BRD ist ertappt, den Bürger unter Generalverdacht zu stellen indem keine Kommunikation mehr vertraulich ist. In den Datenbanken von Stasi-2.0 schlummern 82 Millionen Dossiers, preußisch korrekt nach IdNr geordnet und jederzeit abrufbar.
In den ehemaligen Hochburgen freiheitlicher Demokratie haben sich die Apparate der Staatssicherheit verselbständigt, ja sogar über den Staat gestellt. Soweit erhoben, dass die etablierten Parteien sich darauf beschränken, einem Sand in die Augen zu streuen.
Egal, wer aus dem Politapparat Berlin auftritt, es klingt alles so, als würde ich meinen Arzt fragen, ob ich Lungenkrebs habe und er mir antwortet, dass meine Ohren in Ordnung sind. Atemlos können wir uns nicht mal die Zeit nehmen, eine Lüge zu verdauen, da ist schon die nächste da. Bis endlich Herr Pofalla die Affäre für beendet erklärt. Unterschiede zwischen Regierung und Opposition sind für mich nicht auszumachen – zumal die alte Tante SPD gezeigt hat, dass sie für noch stärkere Überwachung ist bei weiterer Einschränkung von Grundrechten.
Wie sag ich’s meinem Kinde?
Womit ich wieder bei meinem persönlichen Debakel bin: Wie sag ich’s meinem Kinde?
Wie erkläre ich dem Kind, dass unsere Regierung diese Grundrechte ebenso willkürlich gewährt wie auch umgeht. Dass der Machtapparat sich in den Selbsterhaltungsmodus geschaltet hat und Demonstrationsrechte selbstherrlich mit den Füssen tritt.
Ich erkläre es meinem Kind. Und ich erkläre, warum ich trotz vieler innerparteilicher Querelen bei den Piraten bin. Denn es ist die einzige Partei Deutschlands, die sich für die Wahrung der Grundrechte einsetzt. Die das Grundgesetz wieder als höchste Rechtsnorm in der BRD haben will und die Transparenz in Regierung und Verwaltung einfordert. Die für die Freiheit des Menschen eintritt, gegen Generalverdacht und gegen die Willkür, auf den Armen und Nicht-Mainstreamern dieser Gesellschaft herumzutrampeln.
Wir sind nicht länger die versponnen Visionäre. Wir sind dringend nötig, für die Freiheit der Bürger und gegen die Verdrängung des Grundgesetzes einzutreten.
Und ich erkläre meinem Sohn, dass ich am 7. September in Berlin gegen die Überwachung demonstriere, denn ich bin stolz, in einem Land zu leben, das dieses Grundgesetz hat.
Nachwort:
„Die Ärzte“ haben einen Refrain in ihrem Lied „Deine Schuld“:
Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist – Es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt