
Bundesamt für Verfassungsschutz | Quelle: Bundesamt für Verfassungsschutz
Ein Gastbeitrag von Wilm Schumacher.

Eine der bemerkenswertesten Figuren der US-amerikanischen Geschichte ist ein Mann namens Harry S. Truman. Truman, der von 1945 bis 1953 Präsident der USA war, vereint in sich alle Widersprüche seiner Zeit. Er war der Oberbefehlshaber, der die Atombomben auf Japan werfen ließ, aber auch der Präsident, der standhielt, als die amerikanischen Militärs Atombomben auf Korea werfen wollten. Er war der Präsident, der den Kalten Krieg begann und einer der Unterzeichner der UNO-Gründungsurkunde. Vor allem war er aber der Präsident, der durch eine einzige Direktive die NSA (National Security Agency) gegründet hat, ganz ohne parlamentarische Kontrolle oder Kontrolle über das Budget. Er war aber auch der Mann, der dem Parlamentarischen Rat der westdeutschen Besatzungszonen den sogenannten Polizeibrief zukommen ließ.
Dieser Polizeibrief ist ein interessantes Dokument deutscher Geschichte, in dem unter anderem die Befugnisse der Bundesbehörden festgelegt werden. Außerdem wird in diesem Dokument die Trennung von Nachrichten- und Polizeidiensten festgelegt, die in der Folge von der Bundesrepublik übernommen wurde. Auch wenn die meisten Innenpolitiker der Unionsparteien mir hier widersprechen, so halte ich diese Trennung doch bis heute für einen ziemlich guten Plan. Truman war es im Übrigen auch, der dem deutschen Parlamentarischen Rat die Trennung der nachrichtendienstlichen Tätigkeit in drei Geheimdienste vorgeschlagen hat: den Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Amt für den Militärischen Abschirmdienst. Und diese Trennung der Nachrichtendienste gilt bis heute. Der Bundesnachrichtendienst ist dabei nach außen, der Verfassungsschutz nach innen gerichtet, und der Militärische Abschirmdienst soll für die Sicherheit der Bundeswehr sorgen.
Und da nun das Bundesamt für Verfassungsschutz für die „innere Sicherheit“ zuständig ist, ein Begriff so dehnbar wie Gummi, sind die Aufgaben dieser Behörde sehr vielfältig, über Links- wie Rechtsextremismus, der finanziellen Unterstützung der NPD, der Abwehr des „internationalen Terrorismus“ und natürlich Scientology. Es gibt aber noch vier weitere Aufgaben, für die sich der Verfassungsschutz verantwortlich zeigt. Und auf diese möchte ich mich hier eingehen.
1) Spionage- und Proliferationsabwehr
Eine Aufgabe ist die sogenannte Spionageabwehr, d.h. die Verhinderung der nachrichtendienstlichen Tätigkeit anderer Staaten, die gegen die Vertreter des deutschen Staates gerichtet sind. Dem Abhören von Bundeskanzlern z.B. Oder aber das Abhören von Diplomaten oder Parlamentariern in Brüssel. Weiterhin soll der Verfassungsschutz dafür sorgen, dass Staaten die keine Massenvernichtungswaffen haben, nicht die Fähigkeit erlangen diese herzustellen (Proliferation).
2) Geheim- und Sabotageschutz
Neben der Spionageabwehr soll der Verfassungsschutz auch Geheimnisse bewahren, deren Bekanntwerden den Bestand der Bundesrepublik gefährden. Zusätzlich soll dieser Dienst, und ich schwöre: Ich denke mir das nicht aus, lebenswichtige Einrichtungen schützen, deren Zerstörung große Teile der Bevölkerung gefährden würde.
3) Wirtschaftsschutz
Eine der Aufgaben des Verfassungsschutzes ist auch der sogenannte Wirtschaftsschutz. D. h. die Abwehr von staatlich gelenkter Sabotage oder Spionage, die sich nicht gegen den deutschen Staat, sondern gegen deutsche Unternehmen richtet. D. h. vor allem: Wirtschaftsspionage!
4) Abwehr von elektronischen Angriffen
In der vernetzen Welt wird die Abwehr von elektronischen Angriffen immer wichtiger. Und diese Aufgabe befindet sich heute in den Händen des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Damit sind Angriffe gegen die IT des deutschen Staates, aber auch gegen nicht staatliche lebenswichtige Einrichtungen gemeint.
Über die Erledigung dieser Aufgaben legt das Bundesamt für Verfassungsschutz jedes Jahr auch einen Bericht ab. Dies geschieht traditionell um den 1.7. des Folgejahres herum. Dann erscheint der sogenannte Verfassungsschutzbericht, den jeder Bürger auf Wunsch kostenfrei zugeschickt bekommt. Ich halte diesen Bericht, ganz ohne Häme oder Ironie, für ein wichtiges Element des Rechtsstaates. Der Souverän – die Bürger dieses Landes – stattet diesen Dienst mit Mitteln aus, um Informationen zu sammeln und Gefahren einschätzen zu können. Also müssen die Ergebnisse diesen Bürgern auch zugänglich gemacht werden. Zusätzlich sind Geheimdienste mit Befugnissen ausgestattet, die in die Rechte eben dieser Bürger eingreifen. Und darüber muss ein Dienst Auskunft geben und sollte sich daher rechtfertigen.
Vor allem aber geben uns diese Berichte die Möglichkeit die Effizienz dieses Nachrichtendienstes zu beurteilen. Und die ist leider vernichtend. Dafür möchte ich ein spezielles Beispiel wählen: Echelon.
Echelon ist ein Netzwerk von „Antennen“ in Europa, welches von der NSA betrieben wird und vermutlich seit den frühen 70ern existiert. Dabei lag die Haupttätigkeit in der Spionage gegen die Staaten des Warschauer Pakts. Vermutlich wurden dafür Funknachrichten abgefangen, entschlüsselt und ausgewertet. Welche Daten aber erfasst werden, welche Technik eingesetzt wird und vor allem mit welchem Ziel all dies erfolgt, ist leider nicht wirklich bekannt. Einige Fakten sind aber bekannt.
a) Die Direktive
Als 1990/1991 der Hauptfeind der US-amerikanischen Geheimdienste die Waffen streckte, wurde die Haupttätigkeit von der „klassischen“ Spionage auf die Wirtschaftsspionage gegen die europäischen Verbündeten verlegt. Die Direktive dazu gab George Bush sen. 1992 heraus. 1994 wurde die NSA dann tatsächlich beschuldigt, Verhandlungen zwischen deutschen und saudischen Unternehmen via Echelon abgehört zu haben und dem amerikanischen Mitbewerber übermittelt zu haben. Es handelt sich also um einen klassischen Fall von Wirtschaftsspionage, die direkt von einem Land ausgeht. Die Frage ist nun, wie der Verfassungsschutz die Lage eingeschätzt hat. Das Amt konzentrierte laut Verfassungsschutzbericht in diesem Jahr seine Spionageabwehr vor allem auf die Nachrichtendienste der GUS-Länder, also den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Weiterhin wurde die Aufarbeitung der Stasi vorangetrieben und die Nachrichtendienste des Nahen und Mittleren Ostens ins Visier genommen. In allen Fällen konstatiert der Nachrichtendienst vor allem das wirtschaftliche Interesse der Dienste, also Wirtschaftsspionage statt „normaler“ Spionage.
Nun stellt sich die Frage, warum keine Untersuchungen bezüglich der Spionagetätigkeit der westlichen Länder, allen voran der USA unternommen wurden. Nehmen wir also für den Moment an, dass das alles nur Panikmache ist und der Verfassungsschutz nur auf echte Bedrohungen reagiert, und nicht auf irgendwelche Anschuldigungen irgendwelcher Journalisten.
b) Das Eingeständnis
Im Jahre 2000 hat der ehemalige CIA-Direktor James Woolsey die Wirtschaftsspionage via Echelon zugegeben. Er argumentierte, dass die europäischen Produkte gegenüber den US-amerikanischen Erzeugnissen und Technologien so schlecht seien, dass sich die europäischen Firmen nur über Bestechung am Markt halten können. Dies untersuche die NSA eben um „wirtschaftliche Waffengleichheit“ herzustellen, wenn man so will. Unabhängig von dieser Argumentation wäre es aber die Aufgabe des Verfassungsschutzes, diese Wirtschaftsspionage zu unterbinden. Sei sie nun gerechtfertigt oder nicht. Das Eingeständnis nahm das europäische Parlament zum Anlass einen Untersuchungsausschuss zu gründen, der die Aufklärung rund um Echelon zum Ziel hatte. 2001 gab der Ausschuss dann einen fast 200 Seiten starken Bericht heraus in dem der Ausschuss die Existenz von Echelon als gesichert konstatierte und vor allem die Wirtschaftsspionage als Ziel nannte.
Im Verfassungsschutzbericht von 2001 findet sich zu der Spionagetätigkeit der NSA … nichts. Im Bericht wird die Tätigkeit der Nachrichtendienste der Russischen Föderation und der anderen Länder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten besonders ausgeführt. Die ehemalige Sowjetunion (lies: „der Russe!“) war also auch im Jahre 2001 noch als Hauptfeind anvisiert. An zweiter Stelle wird der Nahe und Mittlere Osten genannt (immerhin ergänzt um Nordafrika). An dritter Stelle folgt der Bericht zur Spionagetätigkeit Chinas und Nordkoreas. Weder wird die Spionagetätigkeit der USA erwähnt, noch die Untersuchung durch den parlamentarischen Ausschuss aufgeführt, noch das Eingeständnis in irgendeiner Form im Bericht bemerkt. Die Wirtschaftsspionage durch die USA existiert für den Verfassungsschutz offenbar nicht.
c) Der Umbau
2004 bezog die NSA den sogenannten Dagger-Komplex, was die Spionagetätigkeit der NSA in Deutschland deutlich verstärkte. Der Verfassungsschutz konzentrierte seine Ressourcen aber auf die Spionageabwehr gegen die Dienste der Russischen Föderation, der Gemeinschaft unabhängiger Staaten, den Nachrichtendiensten aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie Ostafrika und natürlich China und Nordkorea.
d) Die Zukunft
2008 wurden die technischen Anlagen des Dagger-Komplexes wieder abgebaut. Die Gebäude werden aber immer noch genutzt. Was aber genau dort passiert, weiß niemand (also wer 2 und 2 zusammenzählt, kann es sich denken, aber wissen tun wir es leider nicht). Grund genug in den Verfassungsschutzbericht von 2008 zu schauen, um die Überlegungen unseres heimischen Nachrichtendienstes dazu zu lesen. Leider gibt es kein Kapitel zur Spionagetätigkeit der USA, da der Verfassungsschutz sich mit der Russischen Föderation, der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, China (ist diesmal aufgerückt!), dem Nahen und Mittleren Osten, dem Sudan und Nordkorea beschäftigen musste.
e) Aktuelle Einschätzung
Der aktuelle Bericht stammt aus 2012. Auch hier findet sich leider nichts zur Spionagetätigkeit der NSA. Stattdessen wird der Schwerpunkt der Spionageabwehr auf die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten gelegt. Gefolgt von China, dem Nahen und Mittleren Osten sowie Nordkorea.
Die Enthüllungen von Edward Snowden im Jahre 2013 können aus mehreren Perspektiven gesehen werden. Sie können auf diplomatischer Ebene diskutiert werden, völkerrechtlich oder im Kontext des Abbaus unserer Bürgerrechte. Es sollte sicher auch rechtlich aufgearbeitet werden und ganze Heerscharen von Staatsanwälten sollten sich damit beschäftigen.
Vor allem sollte uns aber klar sein, dass einer der Hauptgründe für die umfassenden Tätigkeiten der NSA im Bereich der Wirtschaftsspionage liegen. Und dies schadet uns allen, selbst wenn man glaubt nichts zu verbergen zu haben.
Im 21. Jahrhundert sollte das Hauptaugenmerk eines funktionierenden Inlandsnachrichtendienstes nicht auf der Abwehr der „roten Gefahr“, sondern in der Abwehr von staatlich gelenkter Wirtschaftsspionage liegen. Dieser Einschätzung folgt übrigens interessanterweise auch der Verfassungsschutz selbst, der dies in seinen Berichten immer wieder betont. In diesem Kontext ist die USA offensichtlich einer der aktivsten Staaten. Leider tritt dies in den Berichten des Dienstes nie auf. Dies kann 2 Ursachen haben: Entweder die Beamten vertreten ein Weltbild, was 1982 das letzte Mal aktuell war (das würde die Auswahl der Schwerpunkte der Spionageabwehr erklären). Oder der Bericht ist nicht vollständig und Informationen über die Spionagetätigkeit der USA werden verheimlicht (von Großbritannien, Australien, Kanada etc. ganz abgesehen).
Egal wie und egal warum, auf diesem Auge ist der Verfassungsschutz offensichtlich blind.
Was bleibt ist die Frage, ob es den Beamten des Amtes für Verfassungsschutz auch 2014 gelingt, die Wirtschaftsspionage der USA zu ignorieren. Ich für meinen Teil freue mich aber erst einmal von der Russischen Föderation, der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, China, dem Nahen und Mittleren Osten sowie Nordkorea zu lesen. Alles muss seine Ordnung haben!