
Haifa Panorama | CC BY 2.0 Joel יוֹאֵל

Die Hamas feuert Raketen auf israelische Städte ab. Israel wehrt sich. Tausende gehen in vielen westlichen Städte auf die Straßen, um ihren Hass auf Israel unter dem Vorwand der Solidarität mit den Palästinensern zu bekunden. Das Bild ist altbekannt, doch im Vergleich zu den vergangenen Jahren ist die Stimmung auf den anti-israelischen Demonstrationen aggressiver geworden und von viel offenerem Antisemitismus geprägt. Es gab offen judenfeindliche Parolen, Übergriffe auf Gegendemonstranten und jüdische Passanten, geplante und durchgeführte Angriffe auf Synagogen. In dieser Atmosphäre hat die jüdische Gemeinde in München, unterstützt von engagierten Bürgern, eine groß angelegte Kundgebung gegen Antizionismus und Antisemitismus organisiert. Als Ort wurde der Platz der Opfer des Nationalsozialismus gewählt, um den Ernst der Lage zu unterstreichen. Über der Veranstaltung hingen drei Fahnen – die israelische, die deutsche und die bayerische – als Zeichen für das Selbstverständnis als Juden, die in Deutschland zuhause sind. Zahlreiche Redner bekundeten ihre Ablehnung jeglicher Form von Antisemitismus und bekannten sich vorbehaltlos zum Existenzrecht Israels, darunter Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt, der bayerische Bildungsminister Dr. Spaenle in Vertretung für Ministerpräsident Seehofer, und weitere Vertreter aus Politik, Kirchen und Gewerkschaften. Die Kundgebung wurde durch eine bewegende Rede von Dr. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und Holocaust-Überlebende, eröffnet und endete mit einer Schweigeminute für die Opfer der NS-Herrschaft sowie für alle unschuldigen Opfer des Nahostkonflikts. Trotz der sehr kurzen Vorbereitungszeit nahmen knapp 1.000 Menschen, sowohl Juden als auch Nicht-Juden, an der Kundgebung teil, was die Erwartungen deutlich übertraf. Die Veranstaltung verlief entgegen der im Vorfeld geäußerten Sicherheitsbedenken friedlich, es gab weder organisierte Gegendemonstrationen noch Störversuche. Auch Trittbrettfahrer von rechts, die, wie beispielsweise die Partei „Die Freiheit“, dafür bekannt sind, pro-israelische Veranstaltungen für die Verbreitung ihrer kruden islamfeindlichen Thesen zu missbrauchen, waren unter den Teilnehmern nicht auszumachen. Insgesamt war die Kundgebung ein Erfolg, indem sie einen sichtbaren Gegenpol zu den anti-israelischen und antisemitischen Auftritten der vergangenen Wochen schaffte. Sie hat auch Signalwirkung gehabt und den Menschen gezeigt, dass es trotz der Welle antisemitischer Gewalt möglich ist, sich öffentlich zur Solidarität mit Israel zu bekennen und dem Antizionismus die Stirn zu bieten – so fanden in Nürnberg und Stuttgart in den darauffolgenden Tagen ähnliche, ebenfalls gut besuchte Veranstaltungen statt.
Dennoch hinterlässt dieser Erfolg gemischte Gefühle. Dass es möglich war, innerhalb kürzester Zeit so viele namhafte Vertreter aus Politik und Gesellschaft als Redner und auch als Gäste zu gewinnen, zeigt, dass der oft zitierte, aber selten unter Beweis gestellte gesellschaftliche Konsens gegen Antisemitismus und für das Existenzrecht Israels tatsächlich vorhanden ist. Angesichts des Zustands in Frankreich und einigen anderen europäischen Ländern, wo sich in den letzten Jahren immer mehr Juden aus Angst um Leib und Leben für die Auswanderung entschieden, kann dieser Konsens nicht oft genug betont werden. Allerdings bedurfte es offen antisemitischer Ausschreitungen, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Problem zu lenken und eine klare Positionierung herbeizuführen. Die anti-israelischen Demonstrationen, welche die Bühne für diese Ausschreitungen boten, sind allerdings nichts Neues, vielmehr finden sie seit Jahren statt. Es ist auch hinlänglich untersucht und belegt, dass „Antizionismus“, also die einseitige und voreingenommene Kritik an Israel, sich klassischer antisemitischer Klischees, Vorurteile und Denkmuster bedient und diese seinerseits nährt. Dennoch wird beständig an der Unterscheidung zwischen „legitimer Israelkritik“ und Antisemitismus festgehalten und ersteres unter Berufung auf die Meinungsfreiheit verteidigt. Hätten die Organisatoren der Demonstrationen in Essen und Berlin die gewaltbereiten Teilnehmer besser unter Kontrolle gehalten und strafrechtlich relevante Parolen unterbunden, wäre die Kundgebung gegen Antisemitismus womöglich gar nicht zustande gekommen oder hätte nur wenig Beachtung gefunden. Wie scheinheilig der Vorwand der „Israelkritik“ ist und um wessen Geistes Kinder es sich in Wirklichkeit handelt, kann anhand einer kurzen Anekdote verdeutlicht werden: als in Berlin auf einer anti-israelischen Demo „Jude, Jude, feiges Schwein“ skandiert wurde, hagelte es Kritik, bis der Slogan schließlich polizeilich untersagt wurde. Schon bei der nächsten Demonstration wurde dieser Slogan mit „Israel, du feiges Schwein“ ersetzt, was die öffentliche Empörung spürbar verringerte, obwohl es mehr als offensichtlich ist, dass die Intention der Demonstrierenden keinerlei Veränderung erfahren hatte. Wie Dr. Charlotte Knobloch in ihrer Rede bemerkte, ist Antisemitismus unter dem Deckmantel des Antizionismus wieder salonfähig, sozial adäquat, Mainstream. Einige linke Intellektuelle und Künstler stimmen sich gerne in den Chorus der „Israelkritiker“ ein und verbreiten deren antisemitisches Gedankengut so unter Menschen, die sich selbst als progressiv und tolerant verstehen. Eine Hasstirade gegen Israel wird, wenn sie aus der Feder eines NPD-Funktionärs stammt, zu Recht als Hirngespinst eines Nazis abgetan; stammt aber derselbe Text von einer Figur wie Günther Grass, fangen endlose Debatten über Meinungsfreiheit an, die meistens in einem „das muss man sagen dürfen!“ münden. Positiv ist, dass dieses Problem von mehreren Rednern auf der Münchner Kundgebung angesprochen wurde. Der ehemalige Münchner Oberbürgermeister Christian Ude benannte deutlich, dass Judenhass nicht nur durch Neonazis geschürt wird, sondern von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen getragen wird und umso gefährlicher ist. Religiös motivierte muslimische Fundamentalisten finden sich genauso darunter wie linke Gruppierungen, die sich durch eine falsch verstandene und von anti-israelischer Propaganda durchtränkte „Friedenspolitik“ gegen Israel wenden und sich dadurch vor den Karren von Antisemiten und Nationalisten spannen lassen. Auch die Medien wurden zurecht für ihre parteiische Berichterstattung zum Nahostkonflikt, die teilweise ungefiltert die Standpunkte der Hamas wiedergibt, kritisiert. Es zeichnet ein trauriges Bild von der Medienlandschaft, wenn die BILD als Maßstab für journalistische Objektivität zitiert werden muss.

Als Fazit bleibt, dass die Kundgebung in München ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung war, der Weg allerdings noch sehr lang ist. Kundgebungen und Beteuerungen alleine reichen nicht aus, wenn das Thema sofort wieder in Vergessenheit gerät, sobald der aktuelle Anlass von der Bildfläche verschwindet. Solange renommierte Medien unreflektiert den Sprachgebrauch der Hamas übernehmen, solange antisemitische Vorurteile ungehindert verbreitet werden dürfen, wenn sie sich auf „Israel“ statt auf „Juden“ beziehen, solange Begriffe wie „Verbrecherstaat“ oder „Apartheid-Regime“ im Bezug auf Israel als „legitime Kritik“ verteidigt werden, besteht in der Gesellschaft ein Klima fort, in dem ein Funke genügt, damit der lodernde Antisemitismus offen zu Tage tritt. Wir alle müssen die Denk- und Verhaltensmuster, die dieses Klima aufrechterhalten, hinterfragen, um den Antisemitismus dauerhaft zu überwinden.