Thilo W. erinnert sich an eine Aktion, die er gemeinsam mit anderen Studenten an der Technischen Hochschule Dresden gegen Ende der 50er Jahre unternahm. 45 Monate war er in politischer Haft, einen Teil davon in Isolationshaft. Auslöser war ursprünglich der Wunsch nach Meinungs- und Reisefreiheit. Einige seiner Erinnerungen hat er der Flaschenpost mitgeteilt.
Gestandene Freundschaft gab es nicht zwischen uns. Wir wollten irgendetwas machen, um nicht bloß noch zu allem Ja zu sagen. Dazu brauchten wir eine Möglichkeit, um unsere Gedanken und Vorstellungen kundzutun und zu verbreiten.
Aber zum damaligen Zeitpunkt gab es noch keine Wiedergabe von Literatur wie heute. Du hattest eventuell eine Schreibmaschine und eine Wachsfolie. Damit konntest du Vervielfältigungen machen. Das waren Wachsbögen, in die du mit der Schreibmaschine den Wachs reingeschlagen hast: An den Stellen, wo die Buchstaben auf den Wachs geschlagen haben, fehlte das Wachs, und über ein blaues Farbband gelangte Farbe auf das Papier. Und selbst das gab es nicht. Außerdem war es streng verboten, irgendwelche Vervielfältigungen herzustellen. Das durftest du nur mit einer Genehmigungsnummer.
Um an so ein Gerät zu kommen, sind drei von uns nach Berlin gefahren. Dort gab es ein Lemmer-Ministerium. Lemmer war ein Minister in der westlichen, damals noch Bundesrepublik. Das Ministerium hatte seinen Sitz in Berlin. Die Drei haben dort vorgesprochen, ob sie so etwas kriegen könnten. Die Leute dort sagten: „Jungs, überlegt euch, was ihr hier macht. Das ist ganz gefährlich. Kommt in vierzehn Tagen wieder und schlaft erst mal drüber, ob ihr euch darauf überhaupt einlasst.“
Es war nicht so, wie das gern hingestellt wurde. Die wurden nicht abgeworben und bezahlt, damit sie gegen die DDR arbeiten. Am Ende haben wir doch das Gerät gekriegt und test-weise auf der TH einen Aufruf zu einer Protestkundgebung zehnmal abgezogen, weil die Regelungen zu den West-Reisen gelockert werden sollten, und sie auf den TH-Toiletten verteilt. Dem Aufruf folgten erstaunlich viele Studenten.
Ich war lediglich ein Helfer. Die ganz Großen haben am Ende auch bis zu zehn Jahre Gefängnis bekommen. Die große Resonanz wurde uns 1959, als wir alle in einer Nacht verhaftet worden sind, auf der Bautzener Straße kundgetan. Die wussten alles, denn es gab einen bei uns in der Gruppe, dem das zu heiß wurde und der aufhören wollte.
Eine der Grundregeln war: Wer bei uns in der DDR organisiert ist und aufhören will, muss in den Westen gehen, damit hier in der DDR kein Gefahren-Potenzial dafür besteht, dass die engsten Verwandten etwas erfahren. Der hatte aber auch nicht den Trieb rüber zu gehen und sofort weiter zu studieren, sondern hat sich seinem Vater offenbart. Der wiederum hatte aber nichts weiter im Sinn, als mit seinem Sohn auf die Bautzener Straße zu fahren.
Dort ist der DDR Recht zu geben: Er konnte als Kronzeuge im Folgejahr sofort weiterstudieren, die haben ihn nicht Hals über Kopf als Gegner vernichtet, weil er irgendwann mal gegen sie stand. Ich habe vieles an dem Staatssicherheitsdienst, an dem U-Haft-Wachleuten zu schätzen gelernt, die versuchten, dir eine kleine Menschlichkeit anzutun.
Eigentlich müsste ich dem Staatssicherheitsdienst sogar dankbar sein, dass die dort am 29. Februar 1959 zugeschlagen haben und uns alle geholt haben. Denn ich habe mir im Nachhinein durch den Kopf gehen lassen, dass unsere dann auf 13 Mann erweiterte Gruppe in der Gefahr stand, in Terrorismus auszuufern. Denn dort entstanden Gedanken, wie man Abtrünnige beseitigen kann. Am Ende wäre ich da auch nicht mehr aus diesem Dilemma herausgekommen. Wenn das damals nicht aufgeflogen wäre, wäre das in die Spalte geraten, was heute Terrorismus ausmacht. Ich muss sagen, alles, was mit Unmenschlichkeit zu tun hat, ist auch nie meine Sache gewesen.