
Demonstration gegen die BÜPF-Revision am 31. Mai 2014 | CC-BY-SA floheinstein

Die Schweiz bekommt ein neues Überwachungsgesetz. Der Bundesrat (die Regierung der Schweiz) will damit sicherstellen, »dass die notwendigen Überwachungen des Post- und Fernmeldeverkehrs weder heute noch in den kommenden Jahren durch die Verwendung neuer Technologien (wie etwa verschlüsselter Internettelefonie) verhindert werden können.« Deshalb schlägt der Bundesrat eine Totalrevision des Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) vor. Gemäß Botschaft sei das Ziel, »nicht mehr, sondern besser« zu überwachen.
Im Überwachungsgesetz BÜPF wird unter anderem geregelt, wer Vorratsdaten sammeln muss und wie diese Daten im Fall eines Strafverfahrens verwendet werden dürfen. Die Totalrevision beinhaltet aber auch Änderungen an der Schweizer Strafprozessordnung. So soll in Zukunft »GovWare« eingesetzt werden. Faktisch handelt es sich hierbei um den Staatstrojaner – also eine Software, die auf Handys und Computer eingeschleust wird, um die Kommunikation zu überwachen.
Lobbyaktion der Piraten im Bundeshaus
Wie in der Schweiz üblich, ist diese Revision bereits seit ein paar Jahren anhängig. Die Vorlage wurde im letzten Frühling vom Ständerat behandelt und praktisch unverändert durchgewunken. Ein zentraler Punkt der Revision ist die Aufbewahrungsdauer von Randdaten (Vorratsdatenspeicherung): sie soll von sechs auf zwölf Monate erhöht werden. Nach einer ausführlichen Diskussion lehnte dies der Ständerat für die klassische Briefpost ab. Beim Fernmeldeverkehr hingegen stimmte er der Erhöhung ohne große Diskussion zu. Außerdem sollen nun auch Anbieter von sogenannten abgeleiteten Diensten (E-Mail, Foren, Webhosting usw.) speicherpflichtig werden; bisher fielen nur Internetzugangsanbieter unter dieses Gesetz. Dem Staatstrojaner hat der Ständerat auch zugestimmt – für die Aufklärung von »besonders schweren Straftaten«.

Die Piraten sind besorgt: »Es ist erschreckend, dass innert weniger Stunden ein solcher Eingriff in die Grundrechte vorgenommen wird – ohne fundierte Grundlagen und basierend auf Behauptungen der Regierung«, sagt Jorgo Ananiadis zur Flaschenpost. Er ist Vizepräsident der Piratenpartei Schweiz und mit der Lobbyarbeit gegen die Ausweitung der Überwachung beauftragt. Er hat gemeinsam mit dem Autor dieses Textes eine Lobby-Aktion in der Wandelhalle organisiert. Die Wandelhalle ist der Raum vor dem Plenarsaal des Nationalrats, also ein Kontaktpunkt zwischen Lobbyisten, Medien und Volksvertretern. Ziel der Aktion war es, die Mitglieder der vorberatenden Kommission von den Anliegen der Piraten zu überzeugen.

In der Schweiz müssen alle Gesetzesänderungen sowohl vom Ständerat (kleine Kammer) als auch vom Nationalrat (große Kammer) angenommen werden. Und bevor eine Vorlage im Plenum behandelt wird, gibt es eine Beratung in der zuständigen Kommission. Da die BÜPF-Revision den Ständerat bereits passiert hat, hängt sie nun in der Rechtskommission des Nationalrats. Diese beschließt Empfehlungen an den Nationalrat und kann Änderungen anbringen. Deshalb haben sich die Piraten mit Mitgliedern dieser Kommission getroffen und ihnen erklärt, warum der Staatstrojaner und die Vorratsdatenspeicherung schlechte Ideen sind. Dies haben sie mit einem Flyer illustriert. Die Piraten sind dabei auf viel Interesse gestossen: »Es ist schön, dass wir offene Ohren gefunden haben«, erklärt Ananiadis. »Die Meinungen schienen bereits gemacht zu sein, aber immerhin konnten wir die Problemfelder aufzeigen. Wir haben Nationalrat Lukas Reimann bei seinen Eingaben für weniger Überwachung beraten und hoffen nun auf eine kritische Auseinandersetzung in der Kommission.«
Der Lobby-Aktion war eine Demonstration auf dem Bundesplatz vorangegangen. Mit Sprüchen wie »Bitte kommunizieren Sie klar und unverschlüsselt!« oder »Privatsphäre retten! BÜPF stoppen!«, haben die Piraten gemeinsam mit Jungparteien von links bis rechts vor ausufernder Überwachung gewarnt. Redner waren unter anderem der grüne Nationalrat Daniel Vischer, Volker Birk vom Chaos Computer Club Schweiz und Jean-Marc Hensch, Geschäftsführer der SWICO.
Durchmischte Meinungen von links bis rechts
Im Oktober hat die Detailberatung zu BÜPF begonnen. Die Rechtskommission ist aber »angesichts der Vielzahl von eingereichten Anträgen« noch nicht weit gekommen – sie hat in einem Kommuniqué mitgeteilt, dass die Beratung auf der nächsten Sitzung am 13. und 14. November 2014 fortgesetzt wird. Allerdings wurde das Geschäft zwischenzeitlich auf den Januar verschoben. Grund dafür sei, dass die Beratung noch viel Zeit in Anspruch nehme und diese aufgrund von anderen Geschäften im November nicht vorhanden sei, wie Kommissionssekretär Pierre Scyboz auf Nachfrage mitgeteilt hat. Die Öffentlichkeit werde detailliert informiert, sobald die Beratung abgeschlossen ist.


Doch schon jetzt gibt es klare Meinungen, die von links bis rechts durchmischt sind. Balthasar Glättli, Präsident der grünen Fraktion im National- und Ständerat, ist alles andere als begeistert: »Statt die Vorratsdatenspeicherung abzuschaffen, soll diese auf zwölf Monate verdoppelt werden. Das bedeutet nichts anderes als Generalverdacht und Überwachung auf Vorrat aller Menschen in der Schweiz.« Das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens werde damit verletzt, ohne dass es dafür einen Anlass gibt. Dazu kommt die Legalisierung des Staatstrojaners, die nicht nur wegen der Verletzung der Privatsphäre problematisch sei: »Auch Sicherheit ist ein Menschenrecht. Mit einem Staatstrojaner öffnet der Bund Kriminellen aber Tür und Tor, auf jedem angezapften Computer Schäden anzurichten.« Mit dem Trojaner werden unter anderem Firewalls und Sicherheitssoftware ausgeschaltet. So entstehen Sicherheitslücken, die der Nutzer nicht bemerkt und die auch nach dem Zugriff nicht rückgängig gemacht werden. Und auch wenn »private Dokumente und Fotos auf dem Computer des Betroffenen gesetzlich nicht angeschaut werden dürfen, so sind Missbräuche kaum zu vermeiden«, schreibt er auf seinem Blog.
Auch Lukas Reimann von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) setzt sich gegen eine ausufernde Überwachung ein. »Die Privatsphäre ist wichtig und ein elementares Freiheitsrecht gegenüber dem Staat«, sagt er zur Flaschenpost und warnt dabei vor der Totalüberwachung aller Bürgerinnen und Bürger als staatliches Machtmittel. Reimann kämpft für einen transparenten Staat und will keine gläsernen, ausspionierten Bürger. Als Mitglied der Rechtskommission hat er entsprechende Änderungsanträge eingereicht und dabei mit den Piraten zusammengearbeitet. In der Revision sieht er sogar eine Chance, wie er kürzlich zur Tageswoche gesagt hat: »Wenn man die Vorratsdatenspeicherung und den Staatstrojaner aus dem Gesetz kippen könnte, würde aus der BÜPF-Revision gar ein Anti-Überwachungsgesetz werden.«


Reimanns Parteikollegin Natalie Rickli sieht das anders. Sie ist auch Mitglied der Rechtskommission und kann die »Hysterie um die Randdatenaufbewahrung von 12 Monaten« nicht nachvollziehen. »Dabei geht es nur darum, wer mit wem, wann, wo und wie lange telefoniert hat«, so Rickli zur Flaschenpost. Zudem seien diese Daten nicht öffentlich, sondern werden wenn, dann im Rahmen eines Strafverfahrens benötigt. Wichtig ist ihr aber, dass der Staat für allfällige Mehrkosten aufkommt, die durch die BÜPF-Revision entstehen: »Die Provider und Fernmeldedienstanbieter sind vom Staat angemessen zu entschädigen.« Zudem sollen die kleinen Provider, Firmennetzwerke oder Hotels durch Verbesserungen an der Vorlage entlastet werden. Jean Christophe Schwaab von der Sozialdemokratischen Partei (SP) ist Vizepräsident der Rechtskommission und ähnlicher Meinung: »Die Kosten der Überwachung müssen mehrheitlich vom Staat getragen werden. Einerseits, weil es ungerecht wäre, sie auf die KonsumentInnen abzuwälzen und andererseits, weil hohe Kosten ein gutes Mittel sind, um die Überwachung zu begrenzen.« Die Maßnahmen kommen auf diese Weise automatisch nur dann zum Einsatz, wenn es sich wirklich um schwere Straftaten handelt.
Vorratsdaten hält Schwaab für ein wichtiges Werkzeug der Ermittler. Der kürzlich gefällte Entscheid des Europäischen Gerichtshofs dürfe nicht überinterpretiert werden: »Die Richter sagen nicht, dass das Speichern von Randdaten auf Vorrat grundsätzlich unzulässig ist. Das neue BÜPF enthält meiner Meinung nach ausreichend grundrechtliche Schranken und Verfahrensgarantien.« Und der Staatstrojaner? Dieser sei laut Schwaab notwendig, weil immer mehr Kommunikation über verschlüsselte Plattformen stattfinde. »Daher sind neue Investigationsmittel wie Trojaner oder IMSI-Catcher notwendig. Sie dürfen aber nur dann zum Einsatz kommen, wenn die Schwere der Tat es rechtfertigt und der Einsatz verhältnismässig ist. Zudem dürfen sie nur für den gesetzlich vorgesehenen Zweck benutzt werden: Festplattendurchsuchungen sind und bleiben verboten.« Dem Einsatz des Staatstrojaners ist auch Rickli nicht abgeneigt: »Die Strafverfolgungsbehörden sollen bei schweren Straftaten GovWare einsetzen können. Die Hürden sind hoch und der Einsatz muss durch ein Zwangsmaßnahmengericht bewilligt werden. Es gibt in der Rechtskommission aber noch offene Fragen zur Sicherheit.«
Das letzte Wort dem Volk?

Kritik an der BÜPF-Revision gibt es auch aus juristischen Kreisen. »Ein liberaler Staat sollte die Überwachung auf ein sachlich gerechtfertigtes Minimum beschränken«, findet Simon Schlauri, Rechtsanwalt für Internetrecht und Politiker der Grünliberalen Partei (glp) in Zürich. Doch das Gegenteil sei der Fall: »Die BÜPF-Revision ist Teil einer ganzen Reihe von Verschärfungen, die die Schweiz in den letzten Jahren erlebt hat.« Das Bundesgericht habe mehrfach neue Überwachungsarten genehmigt, ohne klare gesetzliche Grundlage – wie etwa die Rasterfahndung gestützt auf Standortdaten von Mobiltelefonen. Und vor zwei Jahren trat eine Revision der Verordnung zum BÜPF in Kraft, »die diverse neue Überwachungsarten einführte und den Delegationsrahmen des Gesetzes damit wohl sprengte.« Für den Anwalt ist klar: »Es ist Zeit, diesem ungebremsten Ausbau der Überwachung einen Riegel vorzuschieben.«
Schlauri stört vor allem, dass die Wirksamkeit der Überwachungsmaßnahmen nicht belegt ist. »Die Annahme des Bundesrates, dass mehr Überwachung zu mehr Sicherheit führt, ist willkürlich.« Ein Blick auf Deutschland scheint ihm Recht zu geben, denn eine Studie des Max-Planck-Instituts legt nahe: Die Effizienz der Polizeiarbeit hängt überhaupt nicht in relevanter Weise von der Vorratsdatenspeicherung ab. Und es gibt keine Untersuchungen, wie wirksam diese Überwachungsmaßnahme in der Schweiz ist. Die Vorratsdaten werden außerdem zu Unrecht verharmlost, wie das Newsportal Watson eindrücklich aufzeigt. Nationalrat Glättli ist es gelungen, an seine Handypositionsdaten zu gelangen, die gemäß BÜPF auf Vorrat gespeichert wurden. Watson hat die Daten mit öffentlich zugänglichen Tweets, Facebookupdates und Blogbeiträgen kombiniert und aufbereitet. Dabei wurde unter anderem die geheime Position eines neuen militärischen Rechenzentrums der Schweizer Armee aufgedeckt. Auf einer interaktiven Karte lässt sich außerdem das Leben des Nationalrats während eines halben Jahres bequem mit der Maus verfolgen. Tag für Tag, Stunde für Stunde. Solche Daten sind dem amerikanischen Geheimdienst NSA sogar aussagekräftig genug, um auf ihrer Basis Menschen zu töten (gemäß Aussage eines ehemaligen NSA-Chefs).
Nicht nur bei der Vorratsdatenspeicherung, sondern auch beim Staatstrojaner bleibt der Bundesrat einen Nachweis der Wirksamkeit schuldig. Hier kommen aber noch viele weitere Probleme dazu. Eine unabhängige Kontrolle etwa ist nicht vorgesehen. »Es besteht daher ein reales Missbrauchsrisiko«, findet Schlauri und teilt damit Nationalrat Glättlis Befürchtung. Dazu komme: »Der Staat schafft und pflegt Sicherheitslücken auf Computern und Handys, es gibt keine Anhaltspunkte, wer während der Überwachung vor dem Computer sitzt und die durch einen Staatstrojaner erhobenen Daten sind nicht beweissicher.« Diese Kritikpunkte werden ebenfalls durch Beispiele aus Deutschland bekräftigt. Im Jahr 2011 wurde bekannt, dass die Behörden einen Trojaner eingesetzt haben, womit sie widerrechtlich Festplatten durchsuchten. Die gleiche Software wurde früher auch in der Schweiz eingesetzt; aufgrund einer Harmonisierung der Strafprozessordnung gibt es dazu seit 2010 aber keine rechtliche Grundlage mehr.
Während die parlamentarische Beratung noch in vollem Gange ist, rüsten sich die Piraten bereits für die letzte Möglichkeit, den Ausbau der Überwachung zu stoppen: das Referendum. Hierzu haben sie sich mit Jungparteien sowie Exponenten aus dem ganzen politischen Spektrum zusammengeschlossen. Nach Annahme der Revision hat das Bündnis 100 Tage Zeit, 50.000 beglaubigte Unterschriften zu sammeln. Gelingt es ihnen, hat das Volk bei einer nationalen Abstimmung das letzte Wort – und »die Chance, im Sinne einer freiheitlichen Gesellschaft gegen den Überwachungsstaat zu stimmen«, so Pirat Ananiadis.