Am 5. Dezember gab der Bundesvorstand bekannt, dass der Zeitplan für den 1. Basisentscheid außer Kraft gesetzt wird. Damit sind alle bisher angekündigten Fristen, insbesondere für die Einreichung der Anträge, deren Zulassung zur Abstimmung und die Abstimmung selbst hinfällig. Als Grund dafür wurde eine einstweilige Anordnung des Bundesschiedsgerichts angegeben. Wir wollen Licht in die juristischen Untiefen dieser vertrackten Situation bringen.
Was ist passiert?
Beim Bundesschiedsgericht wurde eine einstweilige Verfügung beantragt, die die Durchführung des Basisentscheids untersagt. Als Begründung wurde auf zwei Probleme hingewiesen: dass nicht teilnahmeberechtigte Personen, zum Beispiel bereits ausgetretene Parteimitglieder, noch einen Teilnahmetoken erhielten und so unberechtigterweise teilnehmen könnten; und dass stimmberechtigte Piraten keinen Token bekamen und von der Teilnahme ausgeschlossen waren. Der Bundesvorstand entgegnete, dass die Teilnehmerlisten regelmäßig bereinigt werden, um nur stimmberechtigten Piraten die Teilnahme zu ermöglichen, und dass eine Teilnahme auch ohne Token möglich sei. Das BSG folgte weitgehend der Argumentation des Bundesvorstands, befand aber, dass die Verifizierung – die sich aus den Vorgaben der Satzung und der BEO-Entscheidsordnung ergibt – dennoch stimmberechtigte Mitglieder von der Teilnahme ausschließt, was in Konflikt mit dem Parteiengesetz steht. Deswegen erließ das BSG die einstweilige Anordnung an den BuVo, die Antragsstellerin ohne Verifizierung am 1. BEO teilnehmen zu lassen. Daraufhin beschloss der Bundesvorstand, bis zu einer endgültigen juristischen Klärung die Durchführung des Basisentscheids einzumotten, und kündigte gleichzeitig einen Widerspruch gegen die BSG-Entscheidung an.
Was sagen die Beteiligten?
Der Bundesvorstand begründet seine Entscheidung über die Aussetzung des 1. BEO mit der Rechtsunsicherheit, die durch die Anordnung entstanden ist. Justiziar Christian Reidel erklärt das Dilemma des Bundesvorstands: “Obwohl die Entscheidung sich auf den Einzelfall beschränkte, ist zu erwarten, dass gleichlautende Anträge von anderen nicht-verifizierten Piraten ebenso erfolgreich wären. Würde der Bundesvorstand die Entscheidung des Schiedsgerichts ignorieren und die Teilnahme weiterhin verifizierten Piraten vorbehalten, wäre das ein klarer Verstoß gegen die Gewaltenteilung. Aber einfach der einstweiligen Anordnung Folge zu leisten und nicht-verifizierte Piraten zur Abstimmung zuzulassen, würde das Problem nicht lösen, denn dadurch würden wir nicht nur gegen Satzung und Entscheidsordnung verstoßen, sondern würden ebenfalls ein Einfallstor für Anfechtungen öffnen. Jeder, dem die Ergebnisse der Abstimmung nicht passen, könnte sie mit der Begründung anzweifeln, es wäre ohne Verifizierung nicht sichergestellt, dass nur stimmberechtigte Parteimitglieder teilgenommen haben. Aus diesem Grund blieb dem Bundesvorstand nichts anderes übrig, als den 1. Basisentscheid auf Eis zu legen.” Insgesamt zeigt er sich enttäuscht über das Bundesschiedsgericht: “Das Bundesschiedsgericht ist aufgrund der Komplexität der Angelegenheit seiner Verantwortung nicht gerecht geworden und hat die grundsätzliche Bedeutung der Entscheidung verkannt.”
Markus Gerstel, Vorsitzender Richter am Bundesschiedsgericht, ist von der Entscheidung des Bundesvorstands, den BEO auszusetzen, überrascht und kann sie nicht nachvollziehen: “Den BEO komplett anzuhalten, um es einem Mitglied vorläufig zu ermöglichen mitzumachen? Das ist doch vollkommen unverhältnismäßig und widersinnig. Deswegen haben wir auch nicht wie beantragt die Durchführung des BEO untersagt, sondern lediglich angeordnet, dass diese konkrete Person zugelassen werden müsste. Es würde dabei auch keine Rechtsunsicherheit entstehen, denn wenn das Bundesschiedsgericht die Teilnahme einer Person an der Abstimmung anordnet, ist diese Teilnahme per Definition nicht unberechtigt. Selbst wenn in der Zukunft festgestellt worden wäre, dass die ursprüngliche Anordnung falsch war, würde das nicht zur Anfechtbarkeit der Ergebnisse des Basisentscheids führen.”
Wie geht es weiter?
Die Entscheidung bezieht sich auf einen Einzelfall und soll nicht als Grundsatzentscheidung gegen die Verifizierung aufgefasst werden, darin sind sich BSG und BuVo einig. Christian Reidel kann der Situation sogar etwas Positives abgewinnen: “Wir können nun eine Grundsatzdebatte über Identifizierbarkeit von Mitgliedern im Rahmen eines Parteiengesetzes, das für die analoge Zeit entwickelt wurde, führen. Diese Debatte ist für uns als Partei der digitalen Demokratie nicht nur organisatorisch, sondern auch politisch von zentraler Bedeutung und könnte uns insgesamt voranbringen.” Markus Gerstel bekräftigt seinerseits, dass das Bundesschiedsgericht mit der einstweiligen Anordnung lediglich Bedenken bezüglich der Vereinbarkeit der jetzigen Regelungen mit dem Parteiengesetz zum Ausdruck brachte, welche im Widerspruch zur einstweiligen Anordnung oder in einem Hauptsacheverfahren ausgeräumt oder aber weiter gefestigt werden können. Aus diesem Grund hat die aktuelle Entscheidung auch keine direkten Auswirkungen auf andere elektronischen Abstimmungssysteme, die in der Partei verwendet werden und eine Verifizierung für die Teilnahme verlangen.
Der Bundesvorstand hat bereits angekündigt, Widerspruch gegen die einstweilige Anordnung einzulegen. Der 1. BEO wird solange ausgesetzt, bis entweder die Anordnung durch das Schiedsgericht aufgehoben oder eine Grundsatzentscheidung getroffen wird. Derweil bleibt das BEO-Portal offen, Anträge können also weiterhin eingereicht, diskutiert und unterstützt werden. Auch die Verifizierung von Mitgliedern, sowohl auf persönlichen Verifizierungstreffen, als auch via Postident-Verfahren über den PShop. Auch wenn die Umstände alles andere als optimal sind, bedeutet all das auf praktischer Ebene lediglich, dass mehr Zeit zur Verfügung steht, um Anträge für den Basisentscheid zu stellen, zu bewerben und sie über das benötigte Quorum zu hieven. Lasst uns diese Gelegenheit nutzen!