Der Erfolg von PEGIDA und der AfD ist nicht allein auf Angst vor einer anderen Religion, wirtschaftlichen Unsicherheiten, Zweifeln an der Rente und den aus den vielen Krisengebieten flüchtenden Menschen zurück zu führen. Auch Merkels Projekt, aus der CDU eine Partei der modernen Mitte zu machen, trägt einen Anteil daran. Denn je weiter die CDU in den fast 15 Jahren ihrer Vorstandsschaft in die Mitte rückte desto mehr bekamen Einstellungen am rechten Rand keinen Platz mehr in ihrer Partei. Revisionisten, Islamophobiker, EU-Gegner und Antisemiten traten aus und suchten gemeinsam mit Verlierern der Deutschen Vereinigung, mit sozial Abgehängten und denen, die kruden Verschwörungstheorien wie Chemtrails und der Klimaskepsis anhängen oder jenen, die wir “Reichsbürger” nennen, nach einem neuen politischen Betätigungsfeld. Angela Merkel steht nun vor der Wahl: Macht sie dieser Wählergruppe Avancen oder wird die CDU auch in Zukunft bunter, weiblicher, jünger, wie Peter Tauber es formulierte?
In den 90-er Jahren erstarkten schon einmal rechte Parteien. Damals bekämpfte die CDU die NPD und Republikaner mit einem deutlichen Ruck nach rechts. Dieser Trick wird heute nicht mehr funktionieren. Denn eine weitere Einschränkung des Grundrechts auf Asyl über das “sichere Herkunfts- oder Drittland” hinaus ist mit dem Bundesverfassungsgericht wohl nicht machbar. Gegen 200 Mio Klimaflüchtlinge, von denen Entwicklungshilfeminister Gerd Müller für die Zukunft ausgeht, sind verschärfte Einreisebedingungen ohnehin unwirksam. Dazu kommt eine weitere für Merkel unangenehme Wahrheit: Bei den heutigen Protesten schwingt eine ordentliche Portion Antiamerikanismus mit viel Bewunderung für Putin mit. Eine Öffnung der Partei für bekennende Gegner der Westbindung wäre für die CDU eine Zerreißprobe deren Ausgang ungewiss ist. Wolfgang Schäuble zeigte einen anderen Weg auf, als er eine Erhöhung des Kindergeldes in Aussicht stellte. Für einen Finanzminister, der seine Aufgabe darin sieht, die Staatsgelder zusammen zu halten, ein erstaunlicher Vorschlag, der letztlich aber eine sozial ausgewogenere Politik zum Ziel hat.
Sollte Merkel versuchen, PEGIDA mit Hilfe einer sozialeren Politik das Wasser abzugraben, braucht sie dafür Verbündetete. Da sind zuerst die Industrie- und Arbeitgeberverbände zu nennen. Sie beziehen ohnehin schon klare Positionen gegen PEGIDA und sprechen sich für mehr Einwanderung aus. Für die Arbeitgeber steht dabei jedoch die Arbeitskraft, nicht der Mensch und Flüchtling im Vordergrund. Das Kalkül hinter den Forderungen von BDI, BDA und ZDA ist klar: durch billige Arbeitskräfte aus dem Ausland den Lohndruck im mittleren und unteren Lohnsegment aufrecht zu erhalten oder das Lohnniveau gar noch weiter zu senken. Diese Taktik, von Merkel bisher mitgetragen, ist mit eines der ursächlichen Beweggründe für den Rechtsruck der Straße. Die Arbeitgeber werden den Arbeitern und Angestellten in Gehaltsfragen entgegen kommen müssen, um zu verhindern, dass sie von einer Politik der geschlossenen Schlagbäume vom Nachschub an ausländischen Arbeitskräften abgeschnitten werden.
Ein unsicherer Verbündeter ist die CSU unter Seehofer. Aus Angst vor dem Bedeutungsverlust in einem weltoffenen Deutschland macht sich die kleine CDU-Schwester konservativer als sie es bisher war. CSU-Minister flirten offen mit denen, die rechts von ihr stehen. Mit der “Maut für Ausländer” und dem Bild der Ehefrau und Mutter als Heimchen am Herd wird versucht, konservative Wählerschichten zu binden. In England, der Schweiz und den Niederlanden scheiterten konservative Parteien mit dieser Strategie. Mit jeder rechten Position, die übernommen wurde, erstarkten die rechten Parteien noch mehr. In England wurde dem Druck von rechts inzwischen soweit nachgegeben, dass der Verbleib in der EU unsicher wurde. In der Schweiz eilen rechte Initiativen seit dem Verbot von Minaretten von Erfolg zu Erfolg: Die Ausschaffungsinitiative verschärfte die Abschiebedingungen und eine weitere Initiative begrenzte die Einwanderung, indem Aufenthaltsbewilligungen nur noch nach Kontingenten vergeben werden.
Eine unrühmliche Rolle bei der Angst vor Einwanderern und Moslems spielen auch die Boulevardmedien. Vom Fokus über den Spiegel bis hin zur BILD wird kritisch bis ablehnend über PEGIDA berichtet – was dort mit dem Geschrei über die “Lügenpresse” beantwortet wird. Vor nicht allzulanger Zeit waren es aber genau diese Blätter, die mit Schlagzeiten wie “Gefährlich fremd” und “Wie gefährlich ist der Islam” Auflage machten. Es wäre tatsächlich eine zu begrüßende Folge von PEGIDA, wenn in den Redaktionen auch über die mögliche Wirkung eines Artikels nachgedacht wird bevor ein Artikel mit der Angst des Lesers spielt.
In der CDU selbst gibt es unterschiedlichste Einstellungen zu PEGIDA. Merkel wird es nicht aussitzen können, bis entweder die PEGIDA-Versteher wie Volker Kauder und Heiner Geißler oder die erklärten Gegner wie Wolfgang Bosbach und Markus Ulbig die Richtung vorgeben. Ähnlich wie beim beschleunigten Atomausstieg nach Fukushima muss PEGIDA zur Chefsache werden. Mit einer Rolle rückwärts zurück zur Sündenbock-Gesetzgebung würden die letzten 15 Jahre CDU-Politik abgewickelt, Merkels Kurs der Mitte bliebe eine Randnotiz in den Geschichtsbüchern. Geht sie den eingeschlagenen Weg jedoche weiter, wird sie soziale Ungerechtigkeiten beseitigen müssen. Dafür gab ihr Wolfgang Schäuble einen guten Rat: “Eine moderne, freiheitliche Gesellschaft hängt davon ab, dass die Menschen das Gefühl haben, es geht in ihr fair zu”. Das lässt die Revisionisten, Islamophobiker, EU-Gegner und Antisemiten zwar nicht verschwinden, macht die Bevölkerung aber immun gegen deren Hassbotschaften.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.