Kriegerische Auseinandersetzungen waren, aus Europa betrachtet, für mehr als 25 Jahren weit entfernt. Mit dem Krieg in der Ukraine und dem islamistischen Terror, der auch in europäischen Städten Opfer fordert, rückt das Thema Verteidigungspolitik für Politiker und Militärs bei der Münchner Sicherheitskonferenz wieder nach vorne. Wie aktuell die Frage nach der Verteidigungsfähigkeit Europas ist, zeigt ein Denial-of- Service-Angriff, der die Webseite der Veranstaltung lahm legte. Unser Flaschenpostchefredakteur Michael Renner verfolgte die Podiumsdiskussion zum Thema: Defence Matters to Europe, really? vor Ort.
Zum Thema „Defence Matters to Europe, really?“ diskutierten hochkarätige Teilnehmer aus Politik und
Wirtschaft. Anwesend waren Frank Mattern (McKinsey), Jean-Yves Le Drian (franz. Verteidigungsminister), Dr. Thomas Enders (Airbus), John Harris (RaytheonInternational) und Michael Fallon (Verteidigungsminister des Vereinigten Königreiches). Constanze Stelzenmüller moderierte die Podiumsdiskussion.
Vor zwei Jahren beherrschte smart Defence als das große Thema die Münchner Sicherheitskonferenz. Mit weniger finanziellem Aufwand mehr erreichen, war die grundsätzliche Ausrichtung der Verteidigungspolitik. Letztes Jahr war das schon kein großes Thema mehr. Heute einigten sich alle Experten darauf, dass mehr, nicht weniger sondern mehr Geld für die Verteidigung ausgegeben werden muss.
Jean-Yves Le Drian, der französische Verteidigungsminister, fragte gleich zu Beginn der Diskussionsrunde nach dem tragischen Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hepdo, der die ganze Welt erschütterte, kritisch, ob innere Sicherheit noch von der äußeren Sicherheit zu trennen wäre. Er vertrat die Position, dass die Terroranschlägemit militärischer Präzision ausgeführt worden waren. Dies ließe die Frage nach dem Zusammenhang und dem Zustand der äußeren und inneren Sicherheit Europas in neuem Licht erscheinen, erklärte er.
Thomas Enders von Airbus zeichnete nach dem Statement des französischen Außenministers zwei mögliche Zukunftsszenarien. Das Erste skizzierte die aus seiner Sicht positive Situation, die eintritt, wenn sich in der Sicherheitspolitiknichts ändert, also die Verteidigungsausgaben auf heutigem Niveau bleiben.Dies würde ermöglichen, dass die Europäer weiterhin gemeinsam an Sicherheitsthemen forschen. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt aber -so Thomas Enders- dass die Ausgaben für Verteidigung seit 2008 sehr gefallen sind. Demzufolge befürchtete er, dass daszweite, negative Szenario eintrifft, nämlich dass die Ausgaben weiter sinken – auf weniger als die vereinbarten 2% des BIP als definierte Untergrenze.
An dieser Stelle meldete sich Jo Harris von Raytheon International zu Wort und umriss die Situation des Rüstungsmarkts in Europa aus seiner wirtschaftlichen Sicht. Er gehe nicht davon aus, dass etwas,was in den USA funktioniere auch in Europa klappen könnte. In Europasieht er deutlich mehr Unsicherheiten, was die Ausgaben für die Verteidigung betrifft im Vergleich zu den USA. Man sollte bereit sein, schwierige Entscheidungen zu treffen, weiter zusammen zu arbeiten und sicher stellen, dass es einen offenen Wettbewerb geben kann, betonte er weiterhin.
Michael Fellen, der Verteidigungsinister des Vereinten Königreichs erklärte kämpferisch, der Wille, Europa zu verteidigen, sei vorhanden. Er problematisierte die Politik Russlands, das aus seiner Sicht versucht, das soziale Gefüge Europas auf den Kopf zu stellen. Zu den positivenAspekten gehört seiner Meinung nach die Zusammenarbeit der Europäer. Als Beispiel nennt er die „Air Police“, die den Luftraum über den Baltischen Staaten beobachtet. Weiterhin führte er aus, dassdie schwierigen Jahre nach der Wirtschaftskrise zur Drosselung der Ausgaben für die Verteidigung führten.Mittlerweile gebe es Staaten, die weniger als diese 2% für Verteidigung ausgeben würden. Die Engländer hätten beschlossen 20% des Verteidigungshaushaltes für Investitionen zu reservieren.
Danach umriss er die Entwicklung der Transatlantischen Beziehungen.Diese änderten sich seit dem Lybieneinsatz. Michael Felten skizzierte,dass die USA nicht mehr ganz vorne stehen wollen und sie so den Europäern die Führung überlassen würden. Doch die Europäer hätten nicht genug Waffengerät und waren dann doch wieder auf US-Hilfe angewiesen. Er schloss sein Statment mit einem Appell: Alle Länder stünden unter finanziellem Druck.Aber auch die USA hätte den selben finanziellen Druck durch ihren Haushalt. Die europäischen Mitglieder der NATO würden anerkennen, dass sie einen größeren Anteil tragen müssen. Zum Schluss erinnerte er an die Bedrohung durch IS, auch an Boko Haram und die Krise in der Ukraine.
Jean -Yves Le Drian, der französische Außenminister äußerte sich besorgt. Er sieht das Risiko für die Sicherheit Europas durch das Entstehen eines Terrorismusbogens vom Noden von Mali bis an die Grenze Afganistans. Dazu könnte, seiner Meinung nach auch Boko Haram stoßen. Dann sei nicht nur Europa gefährdet sondern die ganze Welt. Frankreich und die NATO engagierten sich deshalb in der Allianz. Das habe nichts mit einem „Europa der Verteidigung“ zu tun, sondern damit, dass sie Verantwortung übernehmen würden. Abschließend appelliert er, dass es gravierende Probleme zur Folge hätte, wenn keine reichtzeitigeIntervention erfolge. Deutschand habe eine neue Haltung eingenommen, was äußere und innerer Sicherheit beträfe. Der Gefahr sei sich Frankreich bewusst und das sei die gute Nachricht, schloß er seine Rede.
Der französische Außenminister forderte außerdem, es müsstensogar mehr als 2% des Haushalts investiert werden,denn es gebe auch mehr Bedrohungen: Wir haben alle Mittel in der Hand und das ist notwendig. Es gibt eine Roadmap. Wir arbeiten mit den Briten und Deutschland zusammen und wir bauen ein Europa der Verteidigung. Wir stellen uns keinen Temple der Verteidigung vor, wir müssen jetzt bauen, erklärt er zum Abschluss.
Bei der ganzen Diskussionsrunde fiel die grundsätzliche Einigkeit der anwesenden Größen aus Politik und Wirtschaft auf. Alle betonten, dass sich Europa seiner Verantwortung bewusst werden müsste und alle Staaten mindestens 2 Prozent, besser aber mehr als das in die Verteidigung stecken sollten.
Die Frage, woher das Geld stammen könnte, beziehungsweise, wo es eingespart werden muss, spielte dabei keine Rolle. Es ist anzunehmen, dass wieder in sensiblen Bereichen, wie Bildung oder Sozialausgaben, eingespart werden soll.
Ebenfalls auffällig ist die anfängliche, durch den französischen Verteidigungsminister ins Spiel gebrachte Verquickung von innerer und äußerer Sicherheit, die in der Diskussion nicht hinterfragt wurde. Letzteres spricht dafür, dass eine strittige Erhöhung der Verteidigungskosten der Länder mit Bürgerbespitzelung beziehungsweise fortschreitender Überwachung einhergeht, denn das bedeutete in den letzten Jahren die Fokosierung der Bundesregierung auf innere Sicherheit. Dazu passt die jüngst eingeschränkte Reisefreiheit und die erneute Forderung nach Vorratsdatenspeicherung, die laut dem Europäischen Gerichtshof gegen den Datenschutz verstößt, aber nun wieder laut wird. Der Anschlag auf Carlie Hebdo hat die europäischen Politiker erschüttert – auch dies war der Podiumsdiskussion anzumerken. Ob eine Erhöhung der Verteidigungskosten wirklich auch die Sicherheit der Bürger erhöht, ist strittig. Wir Piraten werden kritisch die Entwicklungen verfolgen, insbesondere was anlasslose Überwachung und Verstöße gegen den Datenschutz betrifft. Dabei orientieren wir uns an unserem Wahlprogramm für die Europawahl. Dort heißt es:
„Eine gemeinsame, auf demokratischen Fundamenten fußende, europäische Außen‑ und Sicherheitspolitik muss den Menschen‑ und Bürgerrechten verpflichtet sein. Sie soll sich nicht an nationalen Einzelinteressen orientieren, sondern die Bedürfnisse aller Menschen im Blick haben.“
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.
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