Zu Tausenden waren wir unterwegs, friedlich-bunt und einig für eine Agrarwende und gegen TTIP. Die Demo „Wir haben es satt“ fand zum 5. Mal zur „Grünen Woche“ statt, um zu den Themen laut zu werden, die in den Messehallen nur leise, viel zu leise erwähnt wurden.
Nein, ich meine nicht das „Chlor-Hühnchen“ oder den „Schwarzwälder Schinken“ von eventuell unbekannter Herkunft. Das sind „Ablenkungshäppchen“, ganz entzückend, wie sie so passend zur „Grünen Woche“ gereicht werden. Wenn CETA und TTIP wirklich durchgesetzt werden, geht es um Gefahren von ganz anderem Kaliber: Was wird aus der Landwirtschaft?
Noch werden in Deutschland 90% der landwirtschaftlichen Betriebe als Familienunternehmen geführt. Durch TTIP aber wird den Agrargroßunternehmen eine neue Überholspur auf der „Autobahn des Wettbewerbs“ geteert. Welche Chance bleibt für die Vielfalt der kleinen und mittleren Betriebe? Wie tiefgreifend werden sich ganze Regionen verändern, wenn der Druck auf die bestehende Landwirtschaft noch mehr, noch billiger zu erzeugen, weiter erhöht wird?
“Strukturwandel” – das schönere Wort für Höfe- und Farm-Sterben – auf beiden Seiten des Atlantiks
Betrachten wir als Beispiel einmal die Milchwirtschaft: Hier werden in einem gemeinsamen, bereits gesättigten Markt Milcherzeuger-Strukturen aufeinander treffen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Da gibt es Großbetriebe in den USA mit durchschnittlich knapp 200 Kühen und in der EU ist die gesamte Spanne von winzig bis groß vertreten (3,9 Kühe pro Betrieb in Bulgarien, 133,7 Kühe pro Betrieb in Dänemark, in Deutschland werden im Schnitt 54 Kühe pro Betrieb gemolken [PDF]).
Schon jetzt heißt es „Wachsen oder Weichen“. Wer bei sinkenden Erlösen pro Liter Milch die Einbußen für den Betrieb über die größere Produktionsmenge nicht ausgleichen kann, muss das Melken aufgeben. In Deutschland hat sich zwischen 2000 und 2014 die Zahl der Milchviehbetriebe fast um die Hälfte verringert, jährlich sinkt sie um 2-4%. In den USA findet ebenfalls ein Strukturwandel statt, die Dimensionen sind noch ganz andere: Hier entstanden seit dem Jahr 2000 immer mehr Milchproduktionskomplexe mit über 500 Kühen, über 50% der Produktion kam schon 2006 aus solchen Betrieben [PDF]. Inzwischen sind riesige US-Milchviehhalter mit mehr als 10.000 Kühen im Markt. In 2013 mussten wegen gestiegener Futterkosten und dadurch verringerte Margen über 2300 Farmen dicht machen. Das waren fast 5% der melkenden Betriebe. Immer mehr Milch von immer weniger Farmen.
Milchproduktion als Industriezweig für Konzerne und Investoren?
Einige Akteure haben sich das schon auf die Fahnen geschrieben und planen Megaställe mit 3.000, 7.000, 15.000 Kühen in Ländern, die bisher die Überschüsse schluckten, etwa Brasilien, Algerien, Vietnam, China und Russland.
Während in Berlin draußen zu Problemen der Massentierhaltung, Überproduktion, des weltweiten Höfe-Sterbens, Landgrabbing, Genfood, Bienensterben, TTIP und anderen Bedrohungen einer gesunden Landwirtschaft „WIR HABEN ES SATT“ skandiert wird, tagt zur selben Stunde der Landwirtschaftminister Herr Christian Schmidt auf dem 7. Berliner Agrarministergipfel im Rahmen des Global Forum for Food and Agriculture, kurz GFFA. Überschrift: Wachsende Nachfrage nach Nahrung, Rohstoffen und Energie: Chancen für die Landwirtschaft, Herausforderungen für die Ernährungssicherung?
Vertreter aus über 60 Ländern rund um den Globus nahmen teil, aus Ägypten, China, Ghana, dem Jemen, den Niederlanden, aus Malta, der Mongolei, von überall – und aus den USA Vertreter der Weltbank.
Ernährungssicherheit müsse Vorrang haben, so der Minister Schmidt in einer Pressemitteilung [PDF] zum GFFA. Wohlfeile Worte, immer wieder gern vermeldete Absicht, und so unangreifbar, weil jeder darunter etwas Anderes verstehen kann. Außerdem leicht zu verwechseln mit Ernährungssouveränität. Aber glaubt wirklich jemand an die Rolle von Großkonzernen als „Welternährer“?
Längst ist belegt, dass dies krisenfest nur die regional verankerte, familiär betriebene Landwirtschaft nachhaltig erbringen kann.
Wann schreien endlich auch die Agrarminister, „Wir haben es satt“, weil sie es leid sind, wie jede Bemühung eine regionale Milchproduktion aufzubauen durch zollfrei zu gewährende Milchpulverimporte aus Industrieländern zunichte gemacht wird?
Unser Agrarminister Herr Christian Schmidt hatte für die Ministerrunde „gehaltvolle“ Häppchen mit dem Titel „Bioökonomie“ vorbereitet. Das heißt, neben Lebensmitteln soll die Landwirtschaft nachwachsende Rohstoffe ressourcen- und umweltschonend erbringen, die Chance für Wertschöpfung und Wachstum in ländlichen Regionen, weltweit. Klingt gut… theoretisch!
Ist das nun die ganze Antwort? Zum Beispiel für die Milchviehbetriebe, die Kredite für einen neuen Stall aufgenommen haben, um mit vielleicht 90 Kühen mithalten zu können? Die zunehmend mehr Pacht aufbringen müssen, weil schon längst um Flächen für nachwachsende Rohstoffe und Windenergie mitgeboten wird?
Und was ist mit den Folgen der industrialisierten Agrarwirtschaft, mit TTIP?
Keine Antworten zum Gelingen einer Agrarwende, sondern nur ein neues Etikett „Bioökonomie“ zum Überkleben der alten Probleme.
Die Rufe „Wir haben es satt“ sind verhallt. Was bleibt zu tun? Bald wieder den Trecker tanken, neue Wege fahren.