Ein Brief an die Innenminister und Sigmar Gabriel zum Thema Vorratsdatenspeicherung
Ich will Sie nicht langweilen mit den üblichen Gegenargumenten oder den Rechten der Bürger – die kennen Sie sicher und haben sich entschieden sie nicht zu beachten. Denn es geht Ihnen, so sagen Sie, um Sicherheit, Sie argumentieren, dass man doch etwas gegen die immer größeren Gefahren und die immer weiter ausufernden Angriffe auf Wirtschaft, Staat und Bürger tun müsse. Und die Terroristen (die bisher in Deutschland ohne Vorratsdaten gefasst wurden, aber das nur am Rande) könne man damit schnappen – zumindest hinterher. Dass das einem Selbstmordattentäter aber vollkommen wumpe ist – geschenkt.
Glauben Sie wirklich, dass gefährliche Kriminelle oder „Terroristen die überleben wollen“ damit ermittelt werden können? Denken Sie, die sind so bescheuert und nutzen ein überwachtes Medium, zumal wenn dessen Überwachung offensichtlich ist? Ja, der Bodensatz der Kleinkriminellen, die Dummköpfe und ganz am Anfang vielleicht ein größeres Kaliber – die erwischt man, aber die sind nicht die Gefahr. Die großen Fische jedoch, die schlüpfen Ihnen nicht nur durchs Netz, sie weichen dem Netz vorher aus. Und die Haie, die schwimmen an Orten ohne Netze und ziehen vor dort ihre Fäden.
Auch wenn Sie es nicht glauben (vielleicht mangels eigener Fähigkeiten im IT-Bereich): Verschlüsselung von Daten und Kommunikation ist sehr einfach geworden und wird noch einfacher, freie Zugänge ins Internet ohne Kameraüberwachung sind überall verfügbar, dazu kommen unzureichend abgesicherte WLAN-Netze von Bürgern und kleinen Gewerbebetrieben, dann der große Graubereich der unregistrierten Mobiltelefone mit Internetzugang und Mobiltelefone aus dem Ausland die hier eingebucht sind. Dann wären da noch… ach egal, fragen sie einen Praktiker auf der Admin-Ebene in einem größeren IT-Systemhaus – und keinen aus Ihren Ministerien oder externen „Experten“ oder „Fachberater“ mit wohlklingendem Universitätsabschluss (ersatzweise einen Folienchampion eines beliebigen Thinktanks). Der oder die Praktiker/in wird Ihnen bestätigen, dass selbst eine unterdurchschnittlich begabte Gruppe von Hauptschulabbrechern die Doku-Soaps für Realität halten in maximal 2 Tagen Ihre komplette Kommunikation vor jedem aktuellen Überwachungsprogramm verbergen kann – in Selbststudium und mit ein bisschen Motivation in Form eines kleinen Preisgeldes. Und nein, auch Metadaten fallen keine an.
Alle Rezepte, die Sie in den Jahren seit 2001 empfohlen haben funktionier(t)en nicht. London hat die größte Dichte an Kameras – hat nix gebracht bei den U-Bahn-Bombern. Spanien hat den Fingerabdruck im Personalausweis – hat nichts gebracht bei den Attentaten auf die Züge. Die USA bespitzeln ihre Bürger und alle anderen exzessiv – hat nichts gebracht in Boston. Frankreich hat die Vorratsdatenspeicherung – hat der Redaktion von Charlie Hebdo nichts genutzt. Die Liste lässt sich fast beliebig verlängern.
Im Englischen gibt es das Sprichwort: A fool with a tool is just a fool. Das Problem waren und sind nicht die Daten, ob vorhanden oder nicht, sondern das Personal, das sie analysieren soll. Algorithmen sind nicht hilfreich, wie man an der Bilanz der US-Drohnenangriffe erkennt, sondern es braucht Personal, das gut bezahlt werden will, sonst geht es zu den Banken und Brokern.
Und mit mehr Daten benötigen Sie mehr Personal, dieses muss aber erst mal ausgebildet werden da es nicht genug gibt. Und dass Sie Probleme haben, ausreichend und auch noch qualifizierte Bewerber zu finden ist ja kein Geheimnis, denn wer will schon seine Mitbürger bespitzeln wenn er dafür sozial von so gut wie allen anderen IT-lern (und einem großen Teil der Gesellschaft) geächtet wird?
Was Sie aber leisten könnten ist die klassische Polizei- und Staatsschutzarbeit wie sie seit tausenden Jahren funktioniert: Durch klassische Aufklärung mittels Beschattung und mit Undervover-Arbeit – aber bitte nicht mit V-Leuten wie bei den Neonazis, so geht das nicht. Sie wissen schon, ich muss Ihnen das nicht erklären. Verrat ist auch ein großer Helfer, mit Geld, einer neuen Identität und einem sinnvollen Perspektive für ein Leben „danach“ geht auch was. Es soll sogar Poliziebehörden anderer Länder geben, die mit Personal (mit authentischen kulturellem und ethnischen Background) aushelfen…
Aber mit der Bespitzelung aller, fast ausschließlich Unschuldiger geht das nicht, denn je mehr Sie überwachen desto mehr wird verschlüsselt – und wie das geht lernt man in der Schule nicht mehr nur am Pausenhof sondern auch schon im Unterricht.
Wenn man merkt dass das tote Pferd, auf dem man sitzt, nur noch aus Knochen besteht – dann sollte man absteigen.
Redaktionsmitglied Sperling
Redakteur seit 2011, Kernteam der Redaktion seit 2013. De facto "Leitung" ab 2016, irgendwann auch offiziell Chefredakteur - bis 2023. Schreibt und Podcastet nur wenn ihm die Laune danach steht, zahlt aktuell die Infrastruktur der Flaschenpost, muss aber zum Glück nicht haften 🙂