Als ich die “Freiheit statt Angst Demonstration” in Hamburg in der Flaschenpost ankündigte, hoffte ich natürlich, dass möglichst viele Piraten aus Hamburg und Schleswig-Holstein zur Demo kommen würden. Piratenflaggen und etwa 1000 Demonstranten erwarteten mich tatsächlich auf dem Rathausmarkt im Herzen Hamburgs.
Der Tag für die FsA war klug gewählt, denn an diesem 23.5.15 wurde unser Grundgesetz 66 Jahre alt. Dies war der passende Anlass für unsere Grundrechte zu kämpfen! Sofort traf ich unseren ersten Vorsitzenden Christian Thießen, unsere politische Geschäftsführerin Kathie Jasper, etliche Piraten aus Schleswig-Holstein und Hamburg. Torge Schmidt, Fraktionsführer der Piraten im Kieler Landtag und Uli König, Landtagsabgeordneter der Piraten waren auch gekommen.
Bei solchen Demos liebe ich unsere Flaggen! Sie sind weithin sichtbar. Von den etablierten Parteien waren die Grünen, FDP und Linke längst nicht so gut zu sehen. Patrick Breyer, unser Landtagsabgeordneter in Kiel und mittlerweile wahrscheinlich prominentester Datenschützer, hatte sich schon positioniert, um die Eröffnungsrede zu halten. Bei uns im Norden fangen sogar Demos pünktlich an, eigentlich putzig, wenn man darüber nachdenkt. Noch war die Stimmung gesellig und wir freuten uns, uns bei so strahlendem Sonnenschein zu versammeln. Ausnahmsweise keine Spur von dem berüchtigten Hamburger Schmuddelwetter.
66 Jahre Grundgesetz und nun Überwachungsstaat?
Ich ließ meinen Gedanken freien Lauf: Die 66 Jahre alte Dame namens Grundgesetz war dieses Jahr ganz schön gebeutelt worden. Obwohl die Freiheit statt Angst Demo ja seit 2006 über eine lange Tradition als Protest gegen staatliche Überwachung verfügt, war sie mir in diesem Jahr besonders wichtig. Der BND-Skandal, den Mutti Merkel samt der GroKo aussitzt, Berlins Pläne die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen, die PKW-Maut. Mehr Gründe denn je auf die Straße zu gehen und sich um die alte Dame “Grundgesetz” zu kümmern.
Fünf Gründe zur Demo zu kommen
Um genau 14.00 Uhr begann Patrick Breyer seine Eröffnungsrede und nannte fünf weitere Gründen, die dafür sprechen zu demonstrieren. Die FSA stärke kritische Politiker in ihrer Haltung und führe anderen vor Augen, dass sie “Stimmverluste riskieren”, wenn sie die “Überwachungsschraube” weiter anzögen, erklärte Patrick. Außerdem hielten Experten informative Reden, die Veranstaltung ermöglichte Vernetzung, erregte Aufsehen bei Passanten und erreichte viele weitere Bürgerinnen und Bürger über die Medien. Interessante Argumente, zugegeben. Besonders an den letzten Punkt hatte ich noch nicht gedacht. Patrick Breyer bekam viel Applaus und kündigte gleich die nächsten Redner an.
Die Würde des Menschen ist unantastbar
padeluun vom Verein Digitalcourage e.V. und AK-Vorrat sprach als nächstes. Die Initiative “Digitalcourage e.V.” kannte ich schon. Sie engagiert sich bereits seit 1987 für Grundrechte und verleiht unter anderem jährlich den BigBrotherAward. Besonders letzteres ist ein sehr medienwirksame Idee, finde ich. Während padeluun seine Rede begann, trafen zunehmend mehr friedliche Demonstranten ein.
Er war wahrscheinlich der mitreißendste Redner. Zu Anfang erinnerte er an einen Kerngedanken des Grundgesetzes: die Würde des Menschen ist unantastbar. Überwachung und Vorratsdatenspeicherung seien grundgesetzwidrig und tasteten die Privatsphäre sowie die Würde der Menschen an. Ja, stimmt! Vor allem wenn man darüber nachdenkt, dass Daten nicht nur gespeichert werden, sondern unter Umständen sogar gelesen werden könnten. Ich glaube, dass heute die Interessen der Menschen, die ihr Internetnutzungsverhalten verraten, intimer sind als als eine Hausdurchsuchung einschließlich Wäscheschränkchen.
padeluun stellte die Tour-Idee diesen Jahres vor und kündigte die FSA in Berlin vor dem Willy Brandt Haus am 22.6.15 an. “Selbst eine Mindestspeicherfrist von 0 Millisekunden wäre ein Paradigmenwechsel von Demokratie und Rechtsstaat hin zu einem Überwachungsstaat. Das dürfen Demokraten nicht zulassen.”, erklärte er kämpferisch zum Schluss seiner Rede.
Auch er bekam donnernden Applaus.
Der BND gehört abgeschafft
Jan Gerlich vom Chaos Computerclub fasste den BND Skandal zusammen und forderte die Abschaffung der Geheimdienste. Die GroKo, so der Redner, gäben nur zu, was der Öffentlichkeit bereits bekannt ist. Hilft das nicht mehr, würden die Menschen schlicht belogen. Die Bundesregierung müsste ihre Verantwortung anerkennen und konsequent aufklären sowie die Geheimdienste abschaffen, die durch ihr Handeln bewiesen, dass sie sich von der Demokratie verabschiedet haben. Recht hat er, fand ich, und auch er bekam viel zustimmenden Beifall.
Sogar die FDP ist mit dabei!
Etwas überrascht war ich, als Ria Schröder von der FDP angekündigt wurde. Sie
erinnerte daran, dass es keinerlei handfeste Nachweise gäbe, dass die Vorratsdatenspeicherung über eine höhere Verbrechensaufklärungen Sicherheit erhöht.
Wohl aber würde die Privatsphäre aller dadurch eingeschränkt. Dagegen müsse vorgegangen werden. Außerdem forderte sie einen Geheimdienstbeauftragten, die Veröffentlichung der Selektorenliste und ein No-Spy-Abkommen. Das klang schon ein bisschen nach etablierter Partei, denn ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein “Geheimdienstbeauftragter” wirklich etwas brächte oder sich die USA an ein solches Abkommen halten würden, aber den Applaus hatte sie fraglos verdient.
Das Grundgesetz gilt auch für Sexarbeiter
Als vorletzte Rednerin wurde Rosina Juanita Henning von Dona Carmen angekündigt. Sie sprach für die Sexarbeiter, die durch das geplante Meldegesetz der GroKo neben der augenblicklichen Überwachung durch Großrazzien zukünftig drastische Einschränkungen ihrer Privatsphäre hinnehmen sollen. In dem Gesetz ginge es nämlich nicht mehr um den Schutz der Frauen vor Zwangsprostitution, sondern die Tatsache, dass Sexarbeiter zwangsgelistet und bespitzelt würden. Selbst Prostituierte, die in ihrer Privatwohnung arbeiteten, liefen nach dem neuen Gesetz Gefahr eine Konzession für ein Bordell zu benötigen. Sogar Vermieter sowie Frauen, die häufig Männerbesuch bekämen, könnten ins Visier zu geraten. Ständige Kontrollen seien dann jederzeit möglich. Es war zugegeben etwas schwerer Rosina Juanita Hennings Argumentation zu folgen, aber wer sich mit dem Thema beschäftigt hat, weiß, dass die Sexarbeiter seit letztem Jahr unserer Unterstützung verstärkt um die Anerkennung ihres Berufs und gegen das geplante diskriminierende Gesetz kämpfen.
Danach setzte sich der Demonstrationszug in Bewegung und wir zogen durch die Hamburger Innenstadt. Vor dem Rathaus fand später noch die Abschlusskundgebung statt.
Wir sind der wahre Verfassungsschutz!
Andreas Gerhold, Pirat aus Hamburg, redete zum Abschluss der FsA und erklärte, die Kontrolle der Geheimdienste sei unmöglich. Der Rechtsbruch sei inhärent. Deshalb seien Geheimdienste von ihrem Wesen her unvereinbar mit Rechtsstaatlichkeit und Demokratie und nicht reformierbar. “Wir sind diejenigen, die jetzt die Verfassung vor den Verfassungsschützern schützen müssen. Wir sind der wahre Verfassungsschutz!”, sagte Gerhold am Ende seiner Rede und erntete begeisterten Beifall. Es folgte noch ein Vertreter der Initiative “Anwälte gegen Totalüberwachung”.
Ich war zufrieden mit unserer kleinen FsA in Hamburg. Hatte ich doch viele interessante Reden und Argumente gehört. Die Stimmung auf der Demo war friedlich und konstruktiv. Lediglich Polizisten zwei zu Fuß, zwei Polizeiautos sowie zwei Beamte auf Motorrädern begleiteten den Demozug und hielten sich dabei unaufdringlich im Hintergrund. Zahlreiche interessante Passanten blieben stehen und hörten sich die Reden teilweise mit an.
Außerdem ist auch schön zu erleben, dass wir Piraten mit unseren Forderungen nicht allein stehen, denn es gibt viele Initiativen, die auch unsere Grundrechte verteidigen wollen. Sogar einige Vertreter etablierter Parteien positionieren sich kritisch und kommen zur FsA.
Passive Duldungsstarre angesichts totaler Überwachung kommt für uns alle nicht infrage. Das vereint.
In den kommenden Wochen werden in 28 weiteren deutschen Städten Demonstrationen gegen Überwachung und Geheimdienste stattfinden. Es lohnt sich, hinzugehen!