Ein Vor-Ort-Bericht von Michael Renner und Steve König.
“The G7 Research Group at the Munk School of Global Affairs at Trinity College in the University of Torronto” – so lautet die vollständige und eindrucksvolle Bezeichnung der G7 Research Group, die jedes Jahr zwischen den Gipfeltreffen die selbst auferlegten Verpflichtungen der Regierungschefs und deren Erfüllungsgrad bewerten. Seit 1996 macht es sich die Gruppe zur Aufgabe, die Versprechungen, die von den G8- bzw. G7-Chefs am Ende eines jeden Gipfeltreffens verkündet werden, zu analysieren und über die Ergebnisse zu berichten.
Auf dem diesjährigen G7-Gipfel in Schloss Elmau wurde dabei der „2014 Brussels G7 Summit Final Compliance Report“ vorgestellt – also der Bericht über die Einhaltung der Verpflichtungen und Versprechungen, die von Staatschefs seit dem Treffen am 6. Juni 2014 in Brüssel gemacht wurden. Dabei hat sich die G7 Research Group 16 von insgesamt 147 dieser Verpflichtungen herausgesucht und deren Einhaltung bewertet. Den Bewertungen legen sie dabei öffentliche verfügbare Informationen, Dokumentationen und Medienberichte zugrunde. Die anwesenden Medienvertreter werden dabei auch noch einmal ausdrücklich gebeten, Informationen und Vorschläge an die Gruppe weiterzuleiten – neue Quellen und Berichte beeinflussen die Bewertungen, da der Bericht ein „lebendes“ Dokument ist.
Das endgültige Bewertungssystem ist dabei überraschend schlicht gehalten: +1 gibt es für eine vollständige Erfüllung der Verpflichtung. Eine Bewertung von 0 wird erreicht, wenn die Verpflichtung nur zum Teil erfüllt wurde oder der Staat noch im Begriff ist, die Erfüllung umzusetzen. Eine -1 wird vergeben, wenn die Verpflichtung überhaupt nicht erfüllt wurde oder vom Staat Maßnahmen unternommen wurden, die das komplette Gegenteil der Verpflichtung bewirken. Aus diesen 16 Bewertungen wird dann ein Durchschnittswert ermittelt, der die durchschnittliche „Compliance“ des Staates angibt.
Zu den reinen Zahlen: Platz 1 belegte dieses Jahr die Europäische Union – die quasi als zusätzlicher Teilnehmer bei den G7-Treffen vertreten ist – mit einer durchschnittlichen Compliance-Score von 0,80 (90%). Direkt dahinter liegen die Staaten Deutschland, Großbritannien und USA mit einer Score von 0,73 (87%). Dahinter reiht sich der Rest ein: Kanada mit 0,67 (83%), Frankreich mit 0,47 (73%), Japan mit 0,40 (70%) und zum Schluss Italien mit 0,33 (67%). Insgesamt erreichten die G7 damit einem Compliance-Score von 0,61 (80%), die damit über der vom vorangegangen Jahr (0,52) liegt.
Der Bericht vermittelt also durchaus einen positiven Eindruck von den G7-Konferenzen – die Politiker setzen sich zusammen, besprechen weitreichende Themen, verkünden am Ende die Ergebnisse und versprechen, verschiedene Probleme anzugehen und sind, zumindest laut des Berichts, mit dem Lösen dieser Probleme zum Großteil erfolgreich.
Doch wirft man einen genaueren Blick auf die Daten, die der Auswertung zugrunde liegen, kann sich ein anderes Bild daraus ergeben. Interessant ist beispielsweise eine Tabelle, die den durchschnittlich höchsten Erfüllungsgrad der Verpflichtungen zeigt. Auf den ersten vier Plätzen mit jeweils 100% Erfüllung liegen dabei Verpflichtungen, die zu den Themengebieten Finanzregulierung gegen Steuerhinterziehung, die Wiederbeschaffung gestohlener Vermögenswerte, sexuale Gesundheitspolitik und Rechte sowie die Entwicklung zur syrischen Flüchtlingsproblematik gehören.
Vor allem bei dem letzten Punkt werden viele Piraten stutzig: Die syrische Flüchtlingspolitik wird mit 100% bewertet? Durch die Bank weg haben alle Teilnehmer eine +1 in dieser Kategorie bekommen. Schaut man sich die aktuellen Daten UNHCR an, stellt man sich eine Frage: Wieso? Zwischen April 2011 und 2015 fanden von insgesamt knapp 4 Millionen Flüchtlingen gerade einmal 87.807 in den vier europäischen G7-Staaten Zuflucht. Dabei muss man Deutschland sogar noch herausheben, das mit 73.312 Flüchtlingen nicht nur in den G7-Staaten, sondern europaweit die meisten syrischen Flüchtlinge aufnahm. Auch das geschah allerdings nur auf Druck von verschiedenen Seiten, anfangs war noch von nicht mehr als 5.000 die Rede. Die nicht-europäischen Staaten werden dabei nicht einmal von der UNHCR aufgelistet; glaubt man verschiedenen Berichten, handelt es sich um ein wenige hundert. Insgesamt also nur ein kleiner Prozentsatz, während andere Länder wie die Türkei oder der Libanon den Löwenanteil der Flüchtlinge aufnehmen.
Wie genau die G7 Research Group dafür allen G7-Staaten die Bestnote vergeben konnte, steht nicht in den Unterlagen. Aber ein Grund ist schnell gefunden: Durchsucht man die abschließenden Verpflichtungen, die die Regierungschefs nach dem Gipfel 2014 in Brüssel bekannt gaben, nach dem Wort „refugee“, findet man genau einen Treffer – in einem Satz, der anderen Staaten Hilfe bei der Flüchtlingsaufnahme verspricht. Hält man die Verpflichtung gering und vage, ist es auch einfacher, der Verpflichtung nachzukommen. Würde man soziale Maßstäbe anlegen, die zum Beispiel auch die Piraten in ihrem Programm fordern, würden wahrscheinlich alle Staaten hier eine -1 erhalten.
Und das ist nicht das einzige Thema, das man sich genauer anschauen müsste, um beurteilen zu können, ob die Verpflichtungen und deren Erfüllungsgrad realistisch bewertet wurden. Der Punkt Verbrechen und Korruption sticht dabei beispielsweise ins Auge – zwar haben hier nicht durchweg alle Staaten gute Bewertungen bekommen, aber auch hier ist eine deutlich positive Entwicklung aus dem Bericht ablesbar. Schaut man wiederum in die abschließenden Erklärungen zum 2014er Gipfel, wird dort an vielen Stellen über Korruption gesprochen: über Korruption in Afrika und in Afghanistan, in Zusammenhang mit Steuerhinterziehung, und auch einmal ganz kurz selbstreflektierend: „Recent events illustrate that corruption undermines trust in governments and limits economic growth.“ [Übersetzung: „Die jüngsten Ereignisse haben gezeigt, dass Korruption das Vertrauen in die Regierungen untergräbt und das Wirtschaftswachstum hemmt.“] Lösungen, wie man Korruption in den eigenen Reihen bekämpft, sucht man dort aber vergeblich. Sich zu verpflichten, vor der eigenen Tür zu kehren, wäre allerdings auch um einiges schwieriger – dazu müsste man andere Maßnahmen ergreifen, wie zum Beispiel, indem man sich zu mehr Transparenz verpflichtet oder dem Schutz von Whistleblowern, die Korruption und Verbrechen aufdecken.
Aber all das würde dazu führen, dass man sich selbst härtere und schwerer zu erfüllende Verpflichtungen auferlegen würde. Und dann sieht es mit der Compliance-Score im nächsten Jahr wahrscheinlich schlechter aus. Dieser Faktor sollte nicht unterschätzt werden. Wie die G7 Research Group auf einer kurzen Pressekonferenz im Pressezentrum des G7-Gipfels selbst zugegeben hat, lesen die G7-Akteure die Compliance-Berichte sehr genau und richten sogar ihre Verpflichtungen, die sie am Ende jeder Konferenz verkünden, nach eben diesen aus. Der positive Trend, den der Bericht vermittelt, ist also möglicherweise real – ob er auch positiv genug ist und die zugrundelegenden Verpflichtungen anspruchsvoll genug sind, darf durchaus bezweifelt werden.