Die Tschechen sind auf einem guten Weg, bisher hörte man viel von Erfolgen. Den Sperling war natürlich neugierig zu hören wie Sie das machen, also hat er mit Mikuláš Peksa gezwitschert – raus kamen dabei einige sehr interessante Dinge 🙂
Sperling: Hallo Mikuláš , wie geht es dir? Was machst du im „Real life“?
Mikuláš: Hallo, danke, es geht mir gut. Ich bin ursprünglich Biophysiker, arbeite aber jetzt ich in der IT. Die Wissenschaft war nicht so spannend wie ich es erwartete.
Sperling: Bitte erzähl mir doch was deine Aufgabe bei den tschechischen Piraten ist, welches Parteiamt du hast und wie du dazu gekommen bist.
Mikuláš: Ich bin seit 2015 Leiter der Internationalen Abteilung. Die Abteilung ist verantwortlich für den Kontakt mit anderen Piraten im Ausland und für Übersetzungen. Aber ehrlich gesagt ist meine Haupttätigkeit aktuell die Vorbereitung des Internationalen Teils des Wahlprogramm für die nächste Wahl.
Mein Weg dazu war relativ direkt; Ich war aktiv und zuständig für die Beziehung mit der Piratenpartei Deutschland. Ich hatte auch viel für die Vorbereitung des gemeinsamen Wahlprogramms für die letzte Europawahl gemacht. Ab 2014 war ich Stellvertreter der damaligen Leiterin. Als sie es nicht mehr machen wollte war es fast natürlich dass ich das übernahm – nur ich, Kim Jong-Un und Angela Merkel hatten keinen Gegenkandidat und bekamen 96 % der Stimmen 🙂
Sperling: Wie seid ihr als Partei organisiert?
Mikuláš: Die Partei wurde in 2009 gegründet. Seit diesem Zeitpunkt haben wir an allen Wahlen teilgenommen. Wir sind jetzt eine stabile Kraft in der tschechischen Politik und wollen bei der Parlamentswahl im Oktober Erfolg haben. Nach einer Umfrage liegen wir bei etwa 6,3 %, damit haben wir, gemessen an der Sperrklausel von 5 %, eine Chance.
Unsere Partei unterscheidet sich organisatorisch von anderen Tschechischen Parteien, aber auch von z.B. der Piratenpartei Deutschland. Wir benutzen basisdemokratische Online-Abstimmungen für die wichtigsten Entscheidungen. Zwischen der Basis und dem Vorstand gibt es noch ein so genanntes Republikkomitee, das Verwaltungsdinge oder z.B. über den Haushalt entscheidet.
Dazu gibt es Kreisverbände, diese haben eine bestimmte Autonomie (z.B. einen festen Anteil an der Staatlichen Parteifinanzierung, die durch das Zentrum fließt). Um die Transparenz zu garantieren, kann das Zentrum die Kreisverwaltungen regulieren. Kreisverbände sind im Republikkomitee repräsentiert, damit haben wir Gewalttrennung. Wir haben nur eine Satzung, diese gilt für alle – damit sind wir keine Föderation.
Sperling: Wie viele Piraten sind bei euch an Bord?
Mikuláš: Wir haben etwa 450 Mitglieder. Der Großteil davon sind Männer (etwa 80 %) und der Durchschnittsalter ist etwa 30 Jahre. Unsere Mitglieder kommen aus verschiedenen Sozialen Schichten (Arbeiter, Selbständige, Studenten, …). Wahrscheinlich der Bekannteste ist der Vorsitzende, Ivan Bartoš, sehr bekannt ist auch Jakub Michálek, der als Jurist schon ein paar Prozesse gewonnen hat.
Sperling: Welche Tools benutzt ihr für eure innerparteiliche Kommunikation?
Mikuláš: Offiziel phpBB Forum, aber meistens sind die Leute über Facebook unterwegs. Selbstverständlich benutzen wir auch Etherpads, Wiki, Mumble oder Jabber.
Sperling: Werwendet ihr eine Online-Voting-Software oder diskutiert ihr über eine Einführung?
Mikuláš: Wir benutzen seit dem Anfang in 2009 phpBB Forum. Wir wollen es modernisieren. Aber der Ersatz ist noch nicht entschieden. Es gibt allgemein fast keine Argumente gegen Online-Voting, es ist effektiv und erlaubt bessere Partizipation, so ist die Frage nicht „ob“ sondern „wie?“. Aus meiner Sicht ist Online-Voting wirklich ein Schlüssel zum Erfolg.
Wenn wir mit einem unserer Vetretern nicht zufrieden sind, können wir Ihn/Sie schnell zurückziehen. Wenn wir mit Politik der Partei nicht zufrieden sind, können wir das sofort ablehnen. Es funktioniert wie ein Check-And-Balances System, damit kann sich die Führung der Partei nicht wirklich gegen die Basis stehen.
Sperling: Wie erreicht ihr potentielle Wähler im Internet oder in social media? Und wenn, wie erreicht ihr Leute außerhalb des Internets?
Mikuláš: Wir sind aktiv in Facebook um Wähler zu erreichen. Und wir distributieren alle möglichen Werbematerialien wie Abzeichen, Aufkleber, T-Shirts, usw. Kreisverbände haben regelmäßige Treffen, die Nicht-Parteimitglieder selbstverständlich besuchen können.
Sperling: Das tschechischen politische System ist hier relativ unbekannt, könnt ihr uns eine kleine Einblick geben?
Mikuláš: In Theorie funktioniert es wie eine Parlamentarische Republik. Das Parteisystem ist aber unstabil und ändert sich relativ oft und wild. Zurzeit die stärkste Partei in Umfragen ist ANO („Ja“ auf Tschechisch). Die Partei ist Mitglied der ALDE (ähnlich der FDP), wird aber von einem einzelnen Mann führt. Der Mann heißt Andrej Babiš und ist einer der reichsten Tschechen.
Durch ANO und ALDE hat er nicht nur auf die Tschechische Regierung Einfluss, sondern auch am Europäischen Parlament und in der Europäischen Kommission. Er nutzt seinen Einfluss um seine Geschäfte zu unterstützen und europäische Subventionen zu „privatisieren“. Babiš besitzt Firmen nicht nur in Tschechien sondern auch in Deutschland, Polen und anderen Ländern.
Das ist nicht nur für die tschechischen Politiker eine Schande sondern auch für Manfred Weber oder andere Europäische Politiker, die sich dagegen stellenen könnten, es aber nicht tun!
Sperling: Bei euch kocht ja gerade ein Skandal um gehackte Regierungskommunikation hoch, kannst du uns ein bischen was dazu erzählen? Und könnt ihr das für euch nutzen?
Mikuláš: Nach meinen Informationen wurden dutzende Mailkonten von Beamten aus dem Außenministerium gehackt, und das für mehrere Monate. Das Ministerium hat erst mal erzählt, dass es ähnlich wie der Angriff auf die Demokratischen Partei in der Vereinigten Staaten sei. Dabei war es erfolgreiches Phishing bei zwei wichtigen Parteimitgliedern, in Tschechien sind es wohl drei Leute gewesen. Später ist es klar geworden, dass die Hacker Adminzugriff bekommen haben. Sie haben Emails von Dutzenden Beamten heruntergeladen!
Die Regierung beschuldigt Russland oder einen anderen Staat. Aber die IP-Adressen der Angreifer waren nicht nur aus Russland sondern auch aus Großbritannien, Deutschland und Tschechien. Was weiß man? Der Angreifer, der das Ministerium hacken konnte, kann selbstverständlich auch einen Proxy benutzen, deshalb wissen wir eigentlich nichts über die Herkunft.
Es ist eine Enttäuschung dass die Medien „Piraten“ statt „Hacker“ beschuldigen. Wir haben Parlamentswahl im Oktober und der Wahlkampf hat wahrscheinlich schon begonnen.
Sperling: Kannst du mir die „zentralen Positionen“ der tschechischen Piraten nennen? Wie transportiert/kommuniziert ihr dies an potentielle Wähler?
Mikuláš: Transparenz, freie Netz, Copyrightreform, Cannabislegalisierung. Es ist uns aber klar, dass wir andere Themen suchen müssen. Die Wähler haben schon sehr viel über Kampf gegen Korruption gehört. Wir müssen auch die sozialen Themen kommentieren. Die Gehälter hinter der Grenze (in Deutschland) sind 3 mal höher. Und ein normaler Mensch in Tschechien findet das ungerecht. Aber ist noch zu früh darüber zu reden – wir bereiten unsere Wahlkampagne noch vor.
Sperling: Was sind oder waren eure größten politischen Erfolge oder bekanntesten politischen Aktionen?
Mikuláš: Neben ACTA, das selbstverständlich nicht nur unser Erfolg war, ist es z.B. der Sieg im Prozess für die Freiheit des Hyperlinks in diesem Jahr oder die erfolgreiche Petition gegen die Zensur von Webseiten ausländischer Lotteriegesellschaften in 2011.
Sperling: Wie haben die Medien bisher über euch berichtet? Berichten Sie über andere Piratenparteien?
Mikuláš: Es war schlecht bis der letzten Europawahl. In der Zeit war es sogar extrem schlecht, Im Fernsehen wurde z.b. über eine Umfrage berichtet, in der Piraten etwa 3 % gehabt haben. Aber die Piraten waren nicht in der Infografik, allerdings eine Partei mit schlechteren Prozentwerten – die dort aber enthalten war.
Kurz vor der Wahl gab es eine Fernsehdebatte und wir haben ein Demo vor dem Gebäude, in dem die Debatte stattfand, gemacht. Die Demo war ein „bisschen“ laut … 🙂
Seit dieser Zeit sind wir relativ regelmäßig in Medien und z.B. über den Wahlerfolg der Isländischen Piraten gab es gute Informationen in Tschechien.
Sperling: Gibt es noch etwas das du uns mitteilen möchtest über die Piraten, dich oder dem Rest des Universums?
Mikuláš: Die Politik funktioniert nicht mehr in Rahmen eines Nationalstaats. Korrupte Unternehmer, Cyberattacken oder soziale Probleme beeinflussen nicht nur ein Land, sondern den ganzen Kontinent und auch die ganze Planeten. Und egal, wie die Antwort sein wird, wir müssen sie zusammen suchen.
Ich wünsche der Piratenpartei Deutschland alle Gute. Um eine Antwort zu finden, braucht Europa Deutschland. Und die Welt braucht Europa. Und deswegen muss die Piratenpartei in Deutschland eine wichtige Rolle spielen.
Sperling: Vielen Dank das Du dir Zeit genommen hast!
Mikuláš: Vielen Dank für die Möglichkeit mit euch zu reden!
Anmerkung: Mikuláš war Referent auf der PSC17 – mehr dazu findet Ihr im Artikel über Tag 3.
Redaktionsmitglied Sperling
Redakteur seit 2011, Kernteam der Redaktion seit 2013. De facto "Leitung" ab 2016, irgendwann auch offiziell Chefredakteur - bis 2023. Schreibt und Podcastet nur wenn ihm die Laune danach steht, zahlt aktuell die Infrastruktur der Flaschenpost, muss aber zum Glück nicht haften 🙂
Vielen Dank für dieses wunderbare Interview!
Die Welt ist ein Dorf, und wir Piraten müssen die kurzen Kommunikationswege nutzen und zusammenarbeiten.
Wenn man die Machtstrukturen von Babiš versteht, kann man daraus lernen und versuchen ähnliche Konstrukte aufzudecken. Bitte berichtet mehr aus Tschechien.