Eine Kolumne von Ullrich Slusarczyk
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es ausgerechnet in Deutschland so gut ist, prominent zu sein. Denn wir Deutschen gehen nicht gerade nett mit unseren Promis um. Allen voran die Medien, aber auch viele Normalos, also Menschen, die eben nicht prominent sind, sind doch sehr häufig neidisch oder missgünstig. Da kann man verstehen, dass viele Promis die Öffentlichkeit scheuen.
Nun gilt das allerdings nicht für alle. Der ein oder andere taucht schon noch auf. So z.B. Boris Becker, der gerade zu 2 Jahren und 6 Monaten Gefängnis verurteilt worden ist wegen Insolvenzverschleppung. Wenn ich bedenke, dass die beiden CSU-Abgeordneten Georg Nüßlein und Alfred Sauter für ihre „Maskendeals“ freigesprochen wurden [1], tut er mir fast ein bisschen leid.
Und dann gibt es da ja auch noch einen Xavier Naidoo, der angibt, er wäre geblendet gewesen [2]. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Zumindest wird er sich die Frage gefallen lassen müssen, warum er das nicht schon eher erkannt hat. Allerdings ist er da ja in guter Gesellschaft, gibt es ja auch ohne Prominentenstatus einige, die ähnlich „geblendet“ sind.
Offener Brief
Und dann gibt es Promis, die schreiben offene Briefe [3]. Ein offener Brief ist der Versuch, jemanden, in diesem Fall die Politik, durch die Veröffentlichung eines Anliegens, unter Druck zu setzen. Darüber hinaus zu suggerieren, dass aufgrund der Prominenz dem Ganzen deutlich mehr Beachtung zu schenken ist, und man quasi die Stimme für all die anderen, eben nicht prominenten, ist.
Allerdings, so finde ich, ist das eine ziemlich gefährliche Sache. Denn das Risiko, sich hier in die Nesseln zu setzen, ist schon ziemlich groß. Schon vorher hatten einige Promis mit #allesdichtmachen genau das getan [4].
War #allesdichtmachen schon ein ziemlich heftiger Versuch der Einflussnahme auf der einen Seite, und des am allgemeinen Konsens vorbeischrammenden auf der anderen Seite, so ist ein offener Brief, noch dazu einer, der auch einen anderen Staat, vielleicht nicht maßregelt, aber doch mindestens belehrend ist, noch mal eine andere Qualität.
Da wundert es nicht, wenn die Kritik hier noch wesentlich deutlicher ausfällt, als dies schon bei #allesdichtmachen der Fall war.
Für den Frieden einzutreten, ist ganz grundsätzlich völlig in Ordnung. Immerhin sind wir, als Verursacher zweier Weltkriege, in besonderer Weise geschichtlich geradezu dazu verpflichtet, auf eben jenen hinzuwirken. Das heißt aber nicht, dass wir einem anderen Land vorschreiben dürfen, was es zu tun hat. Umso mehr, als ausgerechnet wir diesem Land im Zweiten Weltkrieg zugesetzt haben.
Ein erster Blick
Ich halte nichts davon, mich einfach den Kritiken anderer anzuschließen, sondern mache mir gerne mein eigenes Bild.
Werfen wir also gemeinsam einen Blick in den offenen Brief:
„Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
wir begrüßen, dass Sie bisher so genau die Risiken bedacht hatten: das Risiko der Ausbreitung des Krieges innerhalb der Ukraine; das Risiko einer Ausweitung auf ganz Europa; ja, das Risiko eines 3. Weltkrieges. Wir hoffen darum, dass Sie sich auf Ihre ursprüngliche Position besinnen und nicht, weder direkt noch indirekt, weitere schwere Waffen an die Ukraine liefern. Wir bitten Sie im Gegenteil dringlich, alles dazu beizutragen, dass es so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand kommen kann; zu einem Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können.“
Das klingt, zumindest für mich, bis hierhin noch als völlig akzeptabel, ohne den weiteren Text zu kennen. Jemanden zu bitten, wenn auch dringlich, ist, wie ich finde, völlig legitim. Dass man darum bittet, keine weiteren schweren Waffen zu liefern, ist zwar nicht meine Meinung, deswegen aber nicht weniger legitim.
„Wir teilen das Urteil über die russische Aggression als Bruch der Grundnorm des Völkerrechts. Wir teilen auch die Überzeugung, dass es eine prinzipielle politisch-moralische Pflicht gibt, vor aggressiver Gewalt nicht ohne Gegenwehr zurückzuweichen. Doch alles, was sich daraus ableiten lässt, hat Grenzen in anderen Geboten der politischen Ethik.“
Kann ich die ersten beiden Sätze noch völlig vorbehaltlos teilen, habe ich mit dem letzten Satz dann doch ein riesiges Problem.
Politische Ethik? Wer um sein Leben fürchten muss, wessen Häuser zerbombt werden, dem ist politische Ethik so was von egal. Hier geht es um das nackte Leben, und nicht um philosophische Grundsätze. Dies ist eben keine Diskussion mehr, sondern der Krieg existiert bereits. Menschen werden jeden Tag getötet. Und eines der ersten Dinge, die in einem Krieg verloren gehen, ist die Ethik. Sich hier in Deutschland genau darauf zu berufen, finde ich schon ziemlich absurd, angesichts der Bilder und Gräuelmeldungen, die uns täglich aus der Ukraine erreichen.
„Zwei solche Grenzlinien sind nach unserer Überzeugung jetzt erreicht: Erstens das kategorische Verbot, ein manifestes Risiko der Eskalation dieses Krieges zu einem atomaren Konflikt in Kauf zu nehmen. Die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen allerdings könnte Deutschland selbst zur Kriegspartei machen. Und ein russischer Gegenschlag könnte so dann den Beistandsfall nach dem NATO-Vertrag und damit die unmittelbare Gefahr eines Weltkriegs auslösen. Die zweite Grenzlinie ist das Maß an Zerstörung und menschlichem Leid unter der ukrainischen Zivilbevölkerung. Selbst der berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor steht dazu irgendwann in einem unerträglichen Missverhältnis.“
Hier steht etwas von einem kategorischen Verbot. Wer hat das definiert? Wo steht das? In unserem Grundgesetz? Hat die UNO das definiert und wenn ja, wo?
„Könnte Deutschland selbst zur Kriegspartei machen.“ Wer sagt das? Und braucht ein Diktator wirklich einen Grund? Sind nicht schon die jetzigen Gründe mehr oder weniger erfunden? Und wie soll denn so ein russischer Gegenschlag aussehen? Direkt angreifen kann er uns nämlich nur mit Interkontinentalraketen!
Wirklich krass finde ich aber die sogenannte zweite Grenzlinie.
Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass die ukrainische Zivilbevölkerung selbst entscheiden kann und wird, wann es den Krieg beenden will. Und ich bin ganz sicher, dass sich Ihr Präsident, Wolodymyr Selenskyj, an jedes Votum seines Volkes halten wird. Denn anders als Putin ist er demokratisch gewählt und ist eben kein Diktator.
„Wir warnen vor einem zweifachen Irrtum: Zum einen, dass die Verantwortung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt allein den ursprünglichen Aggressor angehe und nicht auch diejenigen, die ihm sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern. Und zum andern, dass die Entscheidung über die moralische Verantwortbarkeit der weiteren „Kosten“ an Menschenleben unter der ukrainischen Zivilbevölkerung ausschließlich in die Zuständigkeit Ihrer Regierung falle. Moralisch verbindliche Normen sind universaler Natur.“
Erich Kästner hat einmal gesagt:
„An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.“
Und Marc Aurel sagte:
„Oft tut auch der Unrecht, der nichts tut; wer das Unrecht nicht verbietet, wenn er kann, befiehlt es.“
Für mich ist Nichtstun keine Option! Und zwar aus genau den zwei vorgenannten Gründen. Und was den zweiten angeblichen Irrtum anbetrifft. Ja, moralisch verbindliche Normen sind universaler Natur. Allerdings ist die Moral genau wie die Ethik so ziemlich das Erste, das in einem Krieg stirbt. Und egal wie wir es drehen und wenden, es „ist“ ein Krieg!
„Die unter Druck stattfindende eskalierende Aufrüstung könnte der Beginn einer weltweiten Rüstungsspirale mit katastrophalen Konsequenzen sein, nicht zuletzt auch für die globale Gesundheit und den Klimawandel. Es gilt, bei allen Unterschieden, einen weltweiten Frieden anzustreben. Der europäische Ansatz der gemeinsamen Vielfalt ist hierfür ein Vorbild.“
Sie, also die Aufrüstung, „könnte“ aber auch weitere Angriffe verhindern. Den beiden letzten Sätzen kann ich wieder vorbehaltlos zustimmen.
„Wir sind, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, überzeugt, dass gerade der Regierungschef von Deutschland entscheidend zu einer Lösung beitragen kann, die auch vor dem Urteil der Geschichte Bestand hat. Nicht nur mit Blick auf unsere heutige (Wirtschafts-)Macht, sondern auch in Anbetracht unserer historischen Verantwortung – und in der Hoffnung auf eine gemeinsame friedliche Zukunft.
Wir hoffen und zählen auf Sie!
Hochachtungsvoll
DIE ERSTUNTERZEICHNERiNNEN“
Tatsächlich bin auch ich überzeugt, dass Deutschland entscheidend zur Lösung beitragen kann, wenn auch auf völlig anderem Wege als die Erstunterzeichnenden.
Fazit
Es gab teils sehr heftige Reaktionen. Sogar Wladimir Klitschko, Bruder von Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kyjiw, äußert sich zu dem Brief in recht deutlichen Worten [5].
Ich sehe, dass wir mehr als 75 Jahre Frieden in Deutschland hatten. Ich sehe aber auch, dass der Rechtsextremismus, Korruption und Machtzentrierung, Stichwort Sperrklausel und Parteienfinanzierung, immer schneller und weiter fortschreiten. Wir ignorieren die Jugend, ignorieren die Zerstörung unserer Natur und damit unserer Lebensgrundlage.
Aber wir schreiben offene Briefe.
Ich kann Journalisten wie Enno Lenze verstehen, die vor Ort waren und sehr deutliche Worte finden [6].
Wir haben eine Verantwortung. Wir sind eines der reichsten Länder der Welt. Wer, wenn nicht wir, könnte ein Zeichen setzen?
Ullrich Slusarczyk
[1] https://www.vorwaerts.de/artikel/maskendeals-csu-nuesslein-sauter-freigesprochen-wurden
[1] https://www.tagesschau.de/inland/olg-muenchen-nuesslein-sauter-101.html
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Xavier_Naidoo#Entschuldigungsvideo
[3] https://www.emma.de/artikel/offener-brief-bundeskanzler-scholz-339463
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Allesdichtmachen
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.