Eine Kolumne von Ullrich Slusarczyk
Insgesamt vier Wahlen gibt es 2022. Viermal Landtagswahlen. Zwei davon sind bereits gelaufen, die Dritte findet dieses Wochenende statt. Und die Letzte dann im Oktober. Die bisherigen Ergebnisse sind, freundlich formuliert, unterirdisch. Wieso aber versagt eine Partei, die seit immerhin 2006 existiert, bei einem so essenziellen Thema ständig aufs Neue.
Vorbemerkungen
Eine politische Partei ist für mich ein Zusammenschluss von Menschen, die einigermaßen vergleichbare ideelle Ziele haben, und diese gemeinsam versuchen öffentlich zu machen. Für das Erreichen dieser Ziele ist es unabdingbar, dass die Partei gewählt wird. Wer nicht gewählt ist, ist noch nicht mal Opposition.
Seit ich in der Piratenpartei bin, kommen Wahlen aus mir völlig unbekannten Gründen immer total überraschend. Müssen plötzlich ganz viele Unterschriften gesammelt werden und sind Termine immer haarscharf geplant. Schon das habe ich nie verstanden. Immerhin scheint die WKO (Wahlkampforganisation) jetzt eine dauerhafte Einrichtung zu sein. Das ist per se ein Fortschritt. Allerdings wird in der WKO für mich nur das organisatorische, kaufmännische und terminliche geregelt. Für den Wahlkampf, also womit gehen wir in den Wahlkampf, welche Kampagne machen wir, wie sehen unsere Videos aus, Podcasts etc. müsste es eine extra Gruppe geben, die ebenfalls dauerhaft existiert und sich um alle Wahlkämpfe kümmert. Bisher sind wir von einem einheitlichen, sinnvollen Wahlkampf in meinen Augen so weit entfernt wie die Erde vom Mond.
Analyse
Ich verwende jetzt Schleswig-Holstein und in Teilen auch das Saarland für diese Analyse. Das ist Zufall und geht nicht gegen irgendjemanden persönlich.
Am letzten Wochenende waren Landtagswahlen in SH. Ich hab den Wahlkampf so am Rande mitbekommen. Und jetzt das Ergebnis. https://www.landtagswahl-sh.de/ergebnispraesentation.html
4766 Stimmen von 1.387.366 gültigen Stimmen.
Ich war an diesem Wahlkampf nicht beteiligt, nicht mein Bundesland. Ich habe ihn auch nicht verfolgt und wusste auch nur von 2 Kandidaten. Das sind relativ gute Voraussetzungen, um einigermaßen objektiv zu sein.
Als das Ergebnis sich abzeichnete und stabil zu sein schien, hat sich mir die Frage gestellt, warum ist das so schlecht?
Und ich habe mich mal auf die Suche gemacht.
Die Webseite
https://landesportal.piratenpartei-sh.de/
Wahrscheinlich bin ich schon zu lange im Internet, aber ist das nicht ganz schön lang?
Zwar wird ordnungsgemäß weitergeleitet, wenn jemand z.B. www eingibt oder auf die Subdomain ganz verzichtet, aber der Sinn hinter Landesportal erschließt sich mir nicht. Aber ok, das beeinflusst sicher nicht das Wahlergebnis.
Ein erster Blick auf die Seite, klassisch wie die meisten Piratenseiten. Ein bisschen gescrollt und den Artikel vom 28.03.2022 gefunden: https://landesportal.piratenpartei-sh.de/2022/03/die-piratenpartei-schleswig-holstein-ist-auf-wahlkampftour/
Und da steht: Am 18.03. haben wir die endgültige Zulassung zu den Landtagswahlen erhalten und uns sofort in den Wahlkampf gestürzt.
Die Wahl war am 09.05.2022. Das waren also nicht einmal 2 Monate Wahlkampf. Ist nicht genau da schon das Problem?
Waren auch diese Wahlen plötzlich und überraschend da? Wir wissen doch seit Jahren, dass wir Unterschriften sammeln müssen? Kann man da nicht schon früher mit anfangen?
Gehen wir mal weiter. Es gibt den Punkt Wahlen auf der ersten Seite und da als Unterpunkt den Punkt Wahlprogramm. Soweit so gut und vorbildlich.
Das Wahlprogramm selbst ist unglaublich lang. Es gibt keine Unterpunkte, die man anspringen kann, und was der letzte Punkt im Wahlprogramm soll, und was der vor allem die Wähler interessiert, ist völlig unklar.
Der Link zum PDF ist dann eine herbe Enttäuschung, da es sich dabei um das Wahlprogramm 2017 handelt.
Was ich auch nicht finde, sind kandidierende. Keine Informationen, gar nichts.
Kein Wahlkampfvideo, kein Podcast und wirklichen Wahlkampf kann ich auch nicht finden auf der Webseite.
Das erinnert mich an die Zeit, wo ich bei Infoständen dabei war. Da gab es zwei Aussagen, die immer kamen:
1. Ach, euch gibts noch?
2. Ihr seid die Internetpartei.
Ja, geben tut es uns noch. Nur die Sache mit der Internetpartei, die haben wir wohl unterwegs irgendwo verloren.
Falls jetzt irgendjemand sagt, ja, aber wir haben ganz viel Social-Media-Arbeit gemacht. Social Media ist nicht das Internet. Das sind völlig andere Dimensionen, völlig anderer Arbeitsaufwand etc.
Sehen wir mal, was die Webseite vom Saarland so sagt. Die ist erfrischend modern, schon alleine, weil die Toplevel-Domain nicht .de ist, sondern .saarland. Das Design ist piratentypisch. Dann allerdings wird es interessant. Denn die Seite hat ganz klar den Schwerpunkt auf die Wahlen gelegt. Ein Wahlkampfvideospot als Allererstes, jede Menge Wahlinformationen. Zwar finde ich auch hier keine Informationen über eventuelle Kandidierende, aber grundsätzlich sagt mir die Seite deutlich mehr zu. Wenn, ja wenn die Wahl nicht schon lange vorbei wäre. Aktuell ist was anderes.
Der Wahlkampf
Der Fairness halber muss man sagen, ich kann über den sonstigen Wahlkampf nichts sagen, weil ich ihn nicht erlebt und auch gar nicht verfolgt habe. Ich weiß also nicht, ob er gut oder schlecht war. Ich nehme einfach mal an, dass er gut war.
Zwischenfazit
Wenn ich annehme, dass beide einen gleich guten Wahlkampf hingelegt haben, dann hat das Saarland mit der zumindest zur Wahl klar besseren Seite sicher den einen oder anderen Wählenden mehr geholt. Wirklich wissen tue ich aber auch das nicht, denn es gibt keine Statistiken über Besucherzahlen, die brauchbar und sinnvoll sind. Aber meine Erfahrung sagt mir, das Saarland hatte hier klar die Nase vorn.
Nun ist das Ergebnis bei beiden aber trotzdem sehr schlecht.
Woran kann das also noch liegen?
Piratenpartei – wofür steht das?
In Niedersachsen stehen die Wahlen ja erst noch an. Und in der Telegram-Gruppe des Landes kamen ein paar Fragen auf, die, wie ich glaube, so wohl für ganz Deutschland gelten.
„Müssen wir bei Wahlen antreten?“
„Gibt es irgend einen Grund, warum wir uns das mit den UU antun? Ich meine wir erreichen gerade einmal 0,4 %. Für die Parteienfinanzierung reicht das nicht. Die bekommen wir ab 1%. Weshalb sollte man uns konkret wählen?“
„Ich weiß nicht mehr wofür die Partei steht. Wir haben ein Wahlprogramm aber was wollen die aktiven Mitglieder und die, die sich aufgestellt haben lassen, erreichen? Datenschutz, Transparenz das sind nur Wörter. Was steckt dahinter?“
Ich finde diese Fragen sehr legitim. Sie sollten uns zu denken geben. Wir sind völlig zerstritten, debattieren ernsthaft über eine barrierefreie Toilette in einer neu anzumietenden Geschäftsstelle, die nicht nach DIN realisiert werden kann, bzw. nur mit ganz erheblichen Kosten.
Aber Unterschriften sammeln, einen Plan für den Wahlkampf haben, ist völlig nebensächlich. Und dass die Mitglieder sich eventuell fragen, was sie eigentlich bei der Piratenpartei machen bzw. wofür die Piratenpartei überhaupt noch steht, wen kümmert es.
Fazit
Wir haben das Ziel verloren, den Zusammenhalt. Nur noch klein klein und Krieg untereinander. Uns ist nicht nur die Identität verloren gegangen, sondern auch die Mitglieder. Es fehlt eine zentrale Instanz, die einen Weg festlegt, die einen Plan hat. Das Problem ist, das wollen wieder viele nicht. Weil das könnte ja abweichend sein von dem, was man selber will.
Wir sind halt die Internetpartei.
Nur im Internet, da sind wir nicht!
Ullrich Slusarczyk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.
Nur mal so: Wir sind mal angetreten für ein freies Internet und für Bürgerrechte. Allein mit diesen beiden Themen haben wir ein Alleinstellungsmerkmal (denn die FDP beackert diese Themen nur noch am Rande, die anderen so gut wie gar nicht). Und was machen wir daraus?
Thema Chatkontrolle, Uploadfilter, Altersverifikation am eigenen PC (sonst nur jugendfreie Programme und Seiten), Scannen auch privater internetfähiger Geräte, und so weiter: Hier sind wir kompetent, hier hätten wir was zu sagen und hier hätten wir die Generation Internet auf unserer Seite.
Thema Bürgerrechte in der Pandemie, Abwägen von Schutz der Kliniken gegen Bürgerrechte, Abwägen von Umweltschutz- und Klimamaßnahmen gegen Bürgerrechte, Fordern neutraler Evaluation aller Maßnahmen, Missbrauch von Klagerechten contra demokratische Entscheidungen, Meinungsfreiheit und ausgewogene Berichterstattung im öffentlichen Rundfunk, usw.
Ich könnte bei beiden Stichworten seitenweise weiter aufzählen.
Und womit werben wir? Mit den Themen, die bereits von den Grünen, Linken oder ganz Linken besetzt sind (und die allesamt übrigens auch von den neuen Kleinstparteien beackert werden). Wir müssen zwar Antworten geben können, wenn man konkret nach Umweltschutz, Minderheiten, Krieg und Frieden gefragt wird. Aber es braucht nicht die 5. Umweltpartei sondern die erste und einzige Partei, die sich kompetent für Bürgerrechte sowohl im Internet als auch im “RL” (richtigen Leben) einsetzt. Dann würden wir auch wieder gewählt – den Wähler und Wahlkämpfer wüssten. warum!
Wo sind denn Themen wie Transparenz statt korruption oder Anti Internet zensur, Anti Überwachung grund und Freiheitsrechte……
Viele Plakate lesen sich nur so wie irgendwas mit “Sozial” und an Schulen soll es Wlan geben… Ok, Prima. Das sind keine klaren Aussagen, da kann sich ja niemand irgendwas drunter vorstellen bzw. es betrifft die Lebensrealität der Leute nicht….
Deutschland bräuchte eine Digitale Fortschrittspartei, aber als eben solche präsentieren sich die Piraten eben nicht nach außen. Entsprechend sind die Ergebnisse !
Moin!
Herr Ullrich schrieb:
– Ich hab den Wahlkampf so am Rande mitbekommen.
– Ich war an diesem Wahlkampf nicht beteiligt, nicht mein Bundesland.
– Ich habe ihn auch nicht verfolgt und wußte auch nur von 2 Kandidaten.
Das sind ziemlich schlechte Voraussetzungen, um einigermaßen objektiv zu sein.
“Dann vor allem ist eine Sache, ganz, ganz wichtig: Kritiker sind, wie wir alle wissen, edle Menschen. Aber die anderen Menschen sind nicht so edel und haben es schon ganz gern, wenn sie lesen, was für Doofköpfe andere sind. Es ist eine Schadenfreude sondergleichen, die das Lesen von Verrissen angenehm macht.”
-Marcel Reich-Ranicki, Kritik als Beruf, S.85
Kopfschüttelnd grüßend
Joachim Rotermund
Moin. Marcel Reich-Ranicki zu zitieren, macht ihre Aussagen weder eloquent noch besonders wert- oder gehaltvoll. Kritik haben die Wählenden geleistet. Und deren Votum war ziemlich eindeutig. Und wie ich das schon aus vielen anderen Diskussionen, an denen Sie beteiligt waren, kenne, gehen sie dann auf kein einziges Argument ein, oder versuchen es gar zu widerlegen. Stattdessen ergehen Sie sich in persönlichen Angriffen.
Übrigens, ich heiße entweder Herr Slusarczyk oder Ullrich, aber ganz sicher nicht Herr Ullrich.
Ullrich Slusarczyk
Moin.
Persönliche Angriffe? Nein. Ich zitierte den Text. Und wenn sich Herr Ullrich den Reich-Ranickischen Schuh anzieht, dann habe ich wohl recht, RR zu zitieren. Wenn schon zugegeben wird, daß kaum Ahnung vorhanden ist, die Bedingungen des Wahlkampfes nicht berücksichtigt werden, dann sollte sich gefälligst zurückgehalten werden, um mehr Information – mit der man auch etwas anfangen kann – generiert würde. Oberflächliche Anlalysen gibt es zuhauf. Aber in dieser Form ist sie weder aussagekräftig noch zielführend. Etwas anderes wäre gewesen, der Kritiker hätte sich als profunder Kenner des Landes, der ungewöhnlichen Bedingungen der Wahl (z.B. Corona & Krieg) und des LV gezeigt. Dann wären seine Ausführungen wertvoll. Aber nein, Kritik zu üben, ohne selbst zugegebenerweise Ahnung zu haben, ist weniger als Kinderkram. Sie ist schlicht überflüssig, weiloberflächlich. Und spalterisch. Das führt die Partei nicht zusammen. Das ist arrogant. Man merkt die Absicht und ist verstimmt.
„Jeder kehre vor seiner eigenen Tür.“ sagte meine Mutter stets. Und sie hat recht. Des Kritikers LV benötigt sicher noch Hilfe und gute Worte. Denn man tau min Jung. 🙂
Piratige Grüße von der Küste
Joachim Rotermund