Hallo Kim, Du trittst für
die Piratenpartei in Niedersachsen bei der Landtagswahl dieses Jahr als Direktkandidatin an, bist außerdem politische Geschäftsführerin des Landesverbandes, studierst internationales Informationsmanagement und bist mit 22 Jahren die jüngste Kandidatin. Das alles klingt schon sehr beeindruckend. Was mich dabei am meisten interessiert, ist allerdings etwas anderes.
Warum die Piratenpartei? Wir sind eine vergleichsweise kleine Partei.
Ganz einfach, es ist die Partei, die meine persönlichen Werte am ehesten vertritt. Bei keiner der größeren Parteien ist das so. Obendrein hat vielleicht auch dazu beigetragen, dass mein Bruder bereits in dieser Partei war und ich so einiges von den Piraten mitbekommen habe.
Eines Deiner Themen ist Bildung. Leider ist Bildung auch in Deutschland noch immer zu einem nicht unerheblichen Teil vom sozialen Stand der Eltern abhängig.
Wie können wir das ändern?
Bildung ist ein Grundrecht und sollte unabhängig vom sozialen Stand der Eltern zugängig sein. Um dies zu ermöglichen, muss Bildung kostenfrei und ohne Einschränkungen verfügbar sein. Dies zu gewährleisten, ist Aufgabe des Staates. Ein Werkzeug hierfür ist, die Lehrmittelfreiheit auch hier in Niedersachsen einzuführen. Das heißt, dass Lehr- und Übungshefte unentgeltlich abgegeben werden.
Auch mit der barrierefreien Teilhabe an Bildung ist es eher schlecht bestellt. Das fängt damit an, dass SchülerInnen mit Rollstuhl in Klassen gepackt werden, die keinen rollstuhlgerechten Zugang haben, bis hin zum Zwang auf Präsenzunterricht bzw. Präsenzprüfungen für Autisten. Nun sind die Träger der Schulen aber die Gemeinden, Samtgemeinden, kreisfreien Städte etc. und nicht das Land.
Welchen Einfluss kann das Land da überhaupt nehmen?
Das Land kann hier zwar keinen direkten Einfluss nehmen, aber über entsprechende Rahmenbedingungen die Inklusion fördern. Auch Förderungen sollten hier möglich sein, um Teilhabe zu ermöglichen. Insgesamt lässt sich die Notwendigkeit von Präsenzunterricht senken, wenn digitale Unterrichtsangebote vorhanden sind. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass solche Angebote generell sinnvoll sind.
Ein weiteres Deiner Themen ist der ÖPNV. Der ist speziell auf dem Land nur sehr schwach ausgeprägt.
Wie kann man z.B. die Taktungen von Bussen und Bahnen erhöhen und trotzdem wirtschaftlich bleiben?
Der ÖPNV ist als öffentliche Infrastruktur besonders wichtig für Menschen mit geringem Einkommen. Insbesondere auf dem Land ist es im aktuellen Zustand des Busnetzes fast unmöglich, ohne ein eigenes Auto auszukommen. Der Fehler, der hierzu geführt hat, ist, überhaupt zu versuchen, Bus und Bahn wirtschaftlich zu führen. Infrastruktur ist, ebenso wie Bildung, eine staatliche Aufgabe und von der öffentlichen Hand zu tragen. Finanzieren lässt sich dies zum Beispiel über eine Umlage.
Ein verbesserter ÖPNV, vor allem im ländlichen Bereich, könnte helfen, die Anzahl der Autos zu verringern. Das würde auch dem Klima helfen. Trotzdem muss so ein ÖPNV auch bezahlt werden.
Wie sollte der ÖPNV Deiner Meinung nach finanziert werden?
Wie bereits oben erwähnt, favorisiere ich eine umlagefinanzierte Lösung. Ein Ticketsystem wie wir es mit dem 9€-Ticket erlebt haben bzw. erleben kostet mehr als es nützt.
Fahrräder, Roller und Elektroautos nehmen ständig an Bedeutung zu. Leider ist speziell das Fahrradfahren noch immer sehr gefährlich. Da werden von den Autofahrern Abstände nicht eingehalten, Fahrradwege zugeparkt, und wenn überhaupt, dann gibt es lächerliche Strafen bei Verstößen.
Was muss sich ändern, damit das Fahrradfahren nicht mehr automatisch lebensgefährlich ist?
Es würde zunächst einmal helfen, wenn Fahrrädern in der Städteplanung auch nur halb so viel Raum gegeben würde wie Autos. Parkbuchten für Autos sollten so geplant werden, dass beim Öffnen der Türen keine Radfahrer gefährdet werden. Das Land soll darauf hinwirken, dass solche Maßstäbe in Zukunft angewandt werden. Modellprojekte für autofreie Innenstädte sollen außerdem vom Land gefördert werden.
In den Niederlanden sind Fahrräder ein wesentlicher Bestandteil des Straßenverkehrs. Vor allem in den Städten sind wesentlich mehr Fahrräder unterwegs. Ein Grund sind sicher die deutlich fahrradfreundlicheren Straßenführungen und Kreuzungen. Als Beispiel sei hier die sogenannte „geschützte Kreuzung“ bzw. holländische Kreuzung genannt.
Kannst Du Dir das auch für Niedersachsen vorstellen und welche Vorteile hätte das, z.B. für Kinder?
Kurz gesagt: Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Für Kinder wäre dies ein enormer Sicherheitsgewinn. Allerdings sollten diese vorrangig dort eingesetzt werden, wo sie die Sicherheit tatsächlich verbessern. Insbesondere LKWs und andere Sonderfahrzeuge haben in solchen Kreiseln eine schlechtere Sicht. Die Eignung dieser geschützten Kreuzungen sollte daher geprüft werden.
Mit 22 Jahren gehörst Du zu den sehr jungen Menschen in der Politik.
Glaubst Du, dass die Jugend und Ihre Bedürfnisse ausreichend berücksichtigt werden von der Politik und was kannst Du daran ändern?
Nein, Jugendliche werden zurzeit nicht ausreichend berücksichtigt und solange die Politik keinen Kontakt zu diesen hat, wird sich daran auch nichts ändern. Dies ist einer der Gründe, weswegen ich mich politisch engagiere. Die Entscheidungen, die aktuell getroffen werden, bestimmen unsere Zukunft. Daher muss die Jugend auch mit einbezogen und berücksichtigt werden. Als verhältnismäßig junger Mensch will ich hierfür ein Bindeglied sein.
Die Wahlbeteiligungen sinken beinah jedes Jahr oder stagnieren auf sehr niedrigem Niveau. Viele Nichtwähler sind junge Menschen, die glauben, dass sich sowieso nichts ändert.
Was müssen wir als Piratenpartei tun, um die Jugend von uns zu überzeugen, ihnen klarmachen, dass wir Ihre Stimme sind?
Dabei helfen kann es zum Beispiel, wenn wir zeigen, dass wir auch über junge Mitglieder verfügen. Die Jungen Piraten als unsere Jugendorganisation, zu denen ich auch zähle, verdient hierbei unsere Unterstützung. Im Vergleich zu anderen Parteien können wir auf junge Menschen zugehen und aktive Mitarbeit anbieten. Jeder in unserer Partei hat die gleichen Chancen und Möglichkeiten, sich bei uns politisch zu engagieren; unabhängig vom Alter.
Frauen sind insgesamt Mangelware in der Politik, wenn es um Parteipositionen oder Kandidaturen bei Wahlen geht. Das ist sehr schade.
Hast Du eine Idee, wie man das verbessern kann?
Ich denke, ich bin ein gutes Beispiel dafür, wie man dies verbessern kann. Durch meine Kandidatur motiviere ich vielleicht andere, die sich bis jetzt noch nicht getraut haben. Grundsätzlich halte ich Quoten für absolut unangebracht. Ich möchte nicht aufgrund meines Geschlechtes gewählt werden, sondern weil mir Personen das Amt zutrauen.
Was sind Deine Gründe für die Kandidatur?
Ich finde, dass die Zukunft von denen gestaltet werden soll, die in dieser auch leben werden. Als junger Mensch will ich auch der Jugend eine Stimme im Landtag geben.
Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg bei der Wahl.
Ullrich Slusarczyk / Redakteur Flaschenpost
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.