
Ohne Mumble wären Diskussionen bei den Piraten noch schwieriger - Mumble NRW (Screenshot) | CC BY Steve König
Eine Kolumne von Ullrich Slusarczyk
Jeder hat den Satz schon mal gehört. Manche öfter, manche seltener. Warum aber bekommen einige das so oft zu hören und was hat es eigentlich damit auf sich?
Eine Betrachtung:
Zu laut!
Man solle nicht schreien. Sich erstmal beruhigen. Eine häufig benutzte Aussage, um Menschen am Reden zu hindern. Kommt nur bei Diskussionen von Angesicht zu Angesicht vor. Trifft häufig temperamentvolle Menschen. Ist ein Zeichen von Engagement. Trifft mich z.B. sehr oft. Aber ich bin lernfähig.
Im Ton vergriffen
Kommt sowohl analog als auch digital vor. Kann sich z.B. auf fehlenden Respekt beziehen. Fehlende oder abwertende Anrede oder der übermäßige Gebrauch von Schimpfwörtern. Wird häufig verwendet, wenn sich Menschen echauffieren, also aufregen. Im persönlichen Gespräch kann man den Ärger dann hören. Im digitalen muss man seinem Ärger mit deutlichen Worten oder Emojis Luft machen. Hat mich auch schon getroffen, aber eher überraschend, da ich im digitalen meine Emotionen wesentlich besser außen vor lassen kann.
Tone Policing / Silencing
Ich versuche, Anglizismen zu vermeiden, aber im vorliegenden Fall finde ich es gut. Das liegt daran, dass ich mit nur einem Wort, nämlich Silencing, etwas zum Ausdruck bringen kann, was im deutschen deutlich mehr Worte benötigt.
Zum Schweigen bringen.
Was also ist Tone Policing den nun genau?
Es ist eine Methode, den Gesprächspartner, ohne selbst ein Argument zu haben, schlecht dastehen zu lassen. Man kann mühelos jede Diskussion auf diese Art und Weise abwürgen, eben „silencen“. [1]
Und es ist sehr schwer, sich dagegen zu wehren.
Das ist der Grund, warum sehr viele, auch in der Piratenpartei, diese Methode der Diskussion nutzen. Ich selbst bin schon sehr oft „Opfer“ dieser Methode geworden.
Das Ärgerliche daran ist, dass man sich jetzt mit etwas auseinandersetzen muss, was mit dem Thema überhaupt nichts zu tun hat. Und man ist automatisch moralisch schon im Hintertreffen.
Kennengelernt habe ich dieses Verfahren schon vor 30 Jahren bei der Gewerkschaft.
Und schon damals habe ich eins nicht verstanden. Alle fanden es toll, wenn ich vor den Mitarbeitern gesprochen habe. Wenn ich dann aber mit demselben Engagement in eine interne Diskussion gegangen bin, war das plötzlich falsch. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Die Protagonisten (Beteiligten) sind heute andere und es sind deutlich mehr geworden, aber das Verfahren ist gleich geblieben. [2]
Besonders häufig wird dieses „Silencing“ im digitalen Bereich, also in Messengers, aber auch Foren verwendet.
Es wird Emotionalität unterstellt und die wäre schlecht. Das ist in der Politik ganz besonders absurd, weil Politik zu einem großen Teil genau darauf basiert. Nämlich Emotionalität. Wir, also die Piratenpartei, wissen das auch, und nutzen diese Emotionalität auch gegenüber unseren Wählern.[3]
Aber kaum ist man in einer internen Diskussion, ist das wieder ganz schlecht.
Es hat sich also nichts geändert.
Wie kann man sich wehren?
Nach meiner Erfahrung geht das so gut wie gar nicht. Im Prinzip müsste ein Moderator an der Stelle eingreifen, die Argumente eventuell versachlichen und noch mal aufzählen. So wird das Silencing unterbunden und die Diskussion kann fortgeführt werden. Allerdings setzt das sehr viel Erfahrung voraus. Und es benötigt ständig einen Moderator. Schon da wird es schwierig.
Kann ich nicht selber sagen, dass es sich hierbei nur um Tone Policing / Silencing handelt?
Das kann man natürlich, aber in der Regel braucht es dafür die Unterstützung von anderen, die das quasi bestätigen. Sonst steht Aussage gegen Aussage, mit dem moralischen besseren Ende für den Silencer.
Fazit
Wir haben zurzeit nur wenig gute Redner. Ein Mangel, der sich sehr häufig bemerkbar macht. Unsere Diskussionskultur ist kaum besser als das, was in vielen WhatsApp-Gruppen tagtäglich in Deutschland abläuft.
Viele bei uns wenden, sobald Ihnen die Argumente ausgehen, Silencing an. Das funktioniert in begrenztem Maße in einer Telegramgruppe oder einem Forum. In einer Talkshow mit Politprofis wird das wohl eher nicht funktionieren. Wir müssen dringend an unserer Sprach- und Diskussionskultur arbeiten.
Es wird Zeit, dass wir lernen, Emotionalität gezielt einzusetzen, und nicht nur in ein paar netten Bildern für die Presse.
Und das bedeutet auch, dass wir lernen müssen, mit Kritik umzugehen.
Selbstreflexion ist hier das Stichwort. Niemand ist perfekt, weiß alles, kann alles. Auch ich bin da nicht von ausgenommen, und musste feststellen, dass auch ich, selbst jetzt noch, irren kann. Das zu erkennen und dann auch zuzugeben, ist ebenfalls etwas, das ich bei uns schmerzlich vermisse.
Man kann sich solch emotionalen Diskussion natürlich einfach entziehen, indem man eine Gruppe verlässt. Und manchmal ist das für die eigene geistige Gesundheit sogar nötig.
Natürlich kann man sich im Ton vergreifen. Das passiert, auch bei uns. Ich stelle das nicht in Abrede. Aber es ist längst nicht so häufig, wie behauptet.
Ullrich Slusarczyk
[1] https://www.lucia-clara-rocktaeschel.de/tone-policing/
[2] https://renk-magazin.de/was-ist-silencing/
[3] https://twitter.com/Piratenpartei/status/1565349693064101888
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.