Nun ist es wieder so weit. Wie jedes Jahr. Spätestens im August beginnt die Vorfreude auf die neue Pilzsaison.
Bereits als Kind, so im Alter von 6 Jahren, bin ich mit meinem Vater regelmäßig in die Pilze gefahren. Als Sozius auf einem alten Moped, was von Weitem schon durch Lärm und Gestank unser Kommen ankündigte. Und wahrscheinlich so jedes Waldtier im Umkreis von ein paar hundert Metern ausdrücklich warnte: „Achtung, die Städter fallen ein!“
Es ging dabei aber eben nicht nur um die Pilze. Der Wald hatte, gerade für mich als Knirps, etwas Mystisches, Geheimnisvolles und auch magisches. Insbesondere auch dadurch geprägt, dass viele der von mir gelesenen Märchen im Wald spielten. So habe ich als Kind immer nach dem Hexenhaus der Baba-Jaga im Wald Ausschau gehalten. Aber leider nie gefunden. Oder Gott sei Dank. Ganz egal.
Der Wald war ein riesengroßer Abenteuerspielplatz. Riesige Bäume, meterhohes Farn, wunderbare Verstecke, fast endlose Weiten, das allein war es Wert, um immer wieder voller Freude mit in die Pilze zu fahren.
Natürlich halte ich heute, ein paar Jahrzehnte später, nicht mehr nach Baba-Jaga Ausschau. Dennoch gibt es fast nichts Schöneres, als stundenlang durch den Wald zu laufen. Morgens, wenn es noch vom Boden dampft, den weichen Waldboden zu genießen. Die, nur ab und an von Spechten unterbrochene Stille zu genießen und die saubere, klare Waldluft einzuatmen. Und natürlich nach Pilzen Ausschau zu halten.
Dabei ist das gar nicht so einfach. Erst einmal verstecken sich die köstlichen Dinger meist an Stellen, wo man sie am wenigsten vermutet. Darüber hinaus gibt es allein in Deutschland ca. 5000 verschiedene Pilzarten, und dabei sind nur die gemeint, die man sieht bzw. sammeln kann. Und ja, auch die Veränderungen der Umwelt oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse tragen dazu bei, dass es nicht mehr ganz so einfach ist, zwischen den 5000 Pilzarten die wirklich guten und essbaren zu erkennen.
Nun ist es sicher für fast jeden von uns einfach, bei einem knallrot leuchtenden Hut mit weißen Punkten festzustellen: Fliegenpilz, wunderschön, aber: Finger weg, weil giftig.
Oder bei einem extrem beißenden Geruch sofort an eine Stinkmorchel zu denken, um die man am besten einen großen Bogen läuft.
Oder einen Birkenpilz zu erkennen, dessen leuchtend braunen Hut und dem Stiel mit Muster einer Birke als leckeren Speisepilz einzusammeln und mitzunehmen.
Viel diffiziler wird es, wenn nur winzige Merkmale den Unterschied zwischen essbar, ungenießbar und (tödlich) giftig ausmachen.
Ein typisches Beispiel wäre hier der flockenstielige Hexenpilz und der netzstielige Hexenpilz. Während der eine, flockenstielig, ein wirklich prachtvoller, ungemein leckerer Speisepilz ist, den man ohne Bedenken essen kann, sollte man bei dem anderen, netzstielig, Vorsicht walten lassen. Die Unterschiede sind auf den ersten Blick marginal, weil beide über einen wundervollen braunen Hut verfügen, die typisch weinroten bzw. rot gelb leuchtenden Röhren und über einen gemaserten Stiel.
Hexenpilz im Wald
Es dürfte anhand der Bilder deutlich werden, wie schwierig die Unterscheidung durchaus sein kann.
Wenn man nicht aufpasst, kann der Verzehr unter anderem zu Magenschmerzen führen. Man versaut sich zwar nicht das gesamte Pilzgericht, spürt aber die Konsequenzen danach. Ganz ehrlich, rein optisch sind beide Pilze ein Blickfang, prächtig, knallige Farben und heben sich dadurch auch gut von anderen, nicht so „schönen“ Pilzen ab.
Schlimmer ist es, wenn man die, gerade wenn sie noch jung sind, Steinpilze, mit den Gallenröhrlingen verwechseln sollte. Nein, die Gallenpilze sind nicht giftig. Aber wer schon einmal einen versehentlich mit gekocht hat, weiß, was ich meine.
Die Arbeit von Stunden mühseligen Suchens und Putzens (!), ist dahin, weil der Gallenröhrling das ganze Essen einfach so bitter macht, dass man es nur noch wegschütten kann. Dabei sehen beide Pilze doch einfach prächtig aus und laden quasi zum Mitnehmen ein.
Noch fataler wird es, wenn man den Pantherpilz mit dem grauen Wulstling bzw. Perlpilz (landläufig auch Schälpilz genannt), verwechselt.
Denn hier geht es nicht nur darum, dass vielleicht das Essen nicht mehr schmeckt, oder man nach dem Verzehr mit leichten Magenschmerzen kämpft. Eine Verwechslung kann hier tödlich enden.
Es kommt also auch hier darauf an, sich nicht vom Offensichtlichen blenden zu lassen, sondern genau auf die Feinheiten zu achten.
Warum erzähle ich Euch das alles? Denn Pilze suchen ist ja nun nicht jedermanns Sache.
Ganz einfach: Weil wir im Leben auch sehr oft vor die Entscheidung gestellt werden, Menschen auszuwählen. Seien es Freunde, der Partner oder die Partnerin. Mit diesen Folgen einer fehlerhaften Auswahl müssen wir dann allein zurechtkommen.
Oder dann im größeren Maßstab Menschen, die sich in Gemeinschaften zur Wahl stellen.
Und wie bei der Suche nach Pilzen gilt auch hier:
Lasst Euch nicht vom Aussehen oder wohltönenden Worten oder Gesten blenden.
Schaut genau hin, schaut auf die kleinen, aber feinen, wichtigen und entscheidenden Unterschiede.
Im günstigsten Fall habt Ihr bei einer Fehlauswahl allein vielleicht ein paar Bauchschmerzen. Nicht gut, aber es könnte schlimmer sein.
Im schlimmeren Fall wählt Ihr statt einem „Steinpilz“ den „Gallenröhrling“. Das wäre zwar nicht tödlich, aber die Gruppe/Gemeinschaft würde lange Zeit ungenießbar sein. Im schlimmsten Fall der Fehlauswahl wirkt das dann wie Gift auf die Gemeinschaft.
Ein langanhaltendes, und für diverse Strukturen und Bindungen auch tödliches Problem.
Im Gegensatz zu einem Pilzgericht, welches ich bei Fehlauswahl einfach wegkippe und mir dann neue Pilze suche, sind die Folgen in der Gemeinschaft nicht so einfach zu beheben. Da wirken sich Fehlauswahlen über viel längere Zeit aus.
Wie dem auch sei, zurück zu den Pilzen.
Ich freue mich auf die nächsten Wochen, das Wandern im Wald, den frischen Duft der Waldluft, das Moos und den weichen Waldboden unter den Füßen und den hoffentlich ein oder anderen wunderbaren Speisepilz.
Selbst wenn ich keine Pilze finden sollte, ist es diese Zeit allemal wert. Zeit zum Laufen, Zeit zum Abschalten, Zeit zum Erholen, Zeit zum Nachdenken.
Und diese Zeit ist, bei all dem hektischen Alltag, den wir alle irgendwie haben, wichtiger als die reine Anzahl der gefundene Pilze.
Und diese Wahl zwischen Alltag und Auszeit, die habe ich dann immer noch selbst.
Das schlimme ist ja, das die Gallenrohrlinge von den Steinpilzen toleriert werden weil sie fast die gleiche Farbe und das richtige Aussehen haben.
Und das die Steinpilze nicht verstehen, das sie mit den Gallenröhrlingen in eine Tonne gesteckt werden, eben weil sie sich nicht abgerenzen wollen oder können.