Die Leaks, in denen Edward Snowden offengelegt hat, dass der NSA weite Teile des Internets u.a. mit Hilfe der großen US-Tech-Konzerne illegal überwacht, sind nun mehr als 10 Jahre alt. In Europa hat sich seitdem nicht viel verändert. Behörden und Verwaltungen setzen weiterhin auf Microsoft-Software, obwohl der Konzern mit Sicherheit dazu verpflichtet ist, mit den US-Geheimdiensten eng zusammenzuarbeiten.
Daraus ergeben sich für Europa erhebliche Sicherheitsrisiken. Vor allem in Hinblick darauf, dass eine Wiederwahl von Donald Trump in den USA alles andere als ausgeschlossen ist. Es muss also damit gerechnet werden, dass die technologische Abhängigkeit Europas gegenüber den USA massiv gegen uns ausgenutzt werden kann, sollte dort eine Europafeindliche Administration an die Macht kommen.
In der autokratisch regierten Volksrepublik China hat die „Universität für Wissenschaft und Technik der Landesverteidigung“ (University of Science and Technology of National Defense) zum Beispiel mit Kylin Linux ein eigenes Open-Source-basiertes Betriebssystem geschaffen, welches Wikipedia zufolge auch auf den meisten verkauften Computern in China vorinstalliert ist. Die kommunistische Partei Chinas hat also geschafft, was die Europäische Union nicht einmal im Ansatz versucht hat: sich unabhängig von den großen überwachungskapitalistischen Konzernen aus den USA, zum Beispiel Microsoft, zu machen.
Nun hat die KP China zwar zweifelsohne einen menschenverachtenden totalitären Überwachungsstaat errichtet. Das Beispiel Chinas zeigt aber dennoch eindrücklich, dass es bei vorhandenem politischen Willen durchaus möglich wäre, einen Software-Stack aufzubauen, der unabhängig von den großen US-Konzernen funktioniert. Möglicherweise ließen sich damit für Europa sogar erhebliche Kosten sparen, die derzeit für den Erwerb kommerzieller Microsoft-Lizenzen aufgewendet werden müssen. Eine europäische Linux-Distribution, die für den sicheren Einsatz in allen EU- und nationalen Behörden bis hinunter zu den kommunalen Verwaltungen eingesetzt werden kann, wäre somit womöglich eine Investition, die sich auszahlt. Zumal so auch direkt Arbeitsplätze und Hochtechnologie-Kompetenzen in der Europäischen Union gesichert werden würden. Gerade jetzt, wo die politische Zukunft der Demokratie in den USA immer ungewisser wird, ist es höchste Zeit, die Entwicklung freier Software in Europa massiv voranzutreiben. Auf allen Ebenen, von der EU über die nationalen Bürokratien bis zur Kommune vor Ort. Dies deckt sich auch klar mit dem Wahlprogramm der Piratenpartei zur Europawahl 2024, in dem es heißt:
„Wir Piraten unterstützen die Förderung von Software, die von jedermann genutzt, analysiert, verbreitet und verändert werden kann. Freie/Libre Open Source Software ist wesentlich für die Kontrolle der Nutzer über ihre eigenen technischen Systeme und trägt zur Stärkung der Autonomie und Privatsphäre aller Nutzer bei.“
Siehe: https://europa2024.piratenpartei.de/wahlprogramm/freie-software-und-offene-daten/
Es gibt eine sehr große Vielzahl von verschiedenen, oftmals miteinander völlig inkompatiblen Linux-Distributionen. Dies macht den Einsatz in den verschiedenen Kommunen natürlich oftmals sehr schwierig. Aus diesem Grund ist es höchste Zeit, hier eine gemeinsame europäische Linux-Strategie zu entwickeln, um eine gemeinsame Basis zu schaffen. Auch wäre es überlegenswert, ob Hersteller von Verwaltungs- und Bürokratie-Software für Behörden nicht verpflichtet werden könnten, diese in Zukunft betriebssystemunabhängig anzubieten. Damit ein Wechsel in Zukunft überhaupt möglich wird und nicht an Inkompatibilitäten scheitert. Wirtschaftspolitisch würde dies auch Sinn machen, da so wieder mehr freier Markt und Wettbewerb entstehen kann, was bei der monolithischen Ausrichtung an einen einzelnen Monopolisten wie Microsoft natürlich nicht der Fall ist.
Redaktionsmitglied Max Kehm
Seit 2009 netzpolitisch und bei den Piraten aktiv. Technikenthusiast und Künstler mit Interesse an philosophischen und intellektuellen Themen.