Das Parlament in Budapest beschloss ein neues Mediengesetz. Es führt nicht die Zensur ein – solche Methoden sind seit dem Sieg über den Kommunismus Vergangenheit. Das neue Mediengesetz ermöglicht die Verhängung empfindlicher Geldstrafen gegen Fernseh-, Radio-, Print- und Internetmedien. Ob und gegen wen die Strafen verhängt werden, obliegt faktisch Ministerpräsident Orban.
Wir fragen den aus Ungarn stammenden Zoltan Laszlo, wie er dieses Gesetz beurteilt. Über sich selbst sagt Zoltan:
Ich bin der Piratenpartei beigetreten, weil sie für mich derzeit die einzige Partei ist, die die tiefgreifenden Probleme unserer Zeit anpackt. Meiner Meinung nach ist die heutige ökologische Krise nur eine Erscheinung eines Systems. Die ökologische Ausbeutung der Erde ist ein Systemkrise, die auf der Macht und Kontrolle der Informationen beruht. Das Entziehen, Beeinflussen oder Verfälschen von Informationen ist ein Verbrechen, das man politisch bekämpfen muss. Ich bin oft in Ungarn, da das mein Herkunftsland ist. Dort gibt es auch eine ähnliche Bewegung wie die Piratenpartei, aber sie hat sich noch nicht etabliert.
Flaschenpost: Das neue Mediengesetz wurde in vielen EU-Staaten kritisiert. Was steht drin?
Zoltan: Ich bin eigentlich enttäuscht, wie wenig Widerstand es gibt. Die jetzige Orban-Regierung hat eine 2/3-Mehrheit und kann diktatorisch regieren. Die Bevölkerung hat noch Vertrauen in Orban, da er das Schönste vom Himmel versprochen hat und ein Feindbild entwerfen konnte: „An allem sind die Kommunisten und die Neoliberalen Schuld.“ Das neue Mediengesetz wurde vom Parlament verabschiedet, muss aber noch vom Staatspräsidenten unterschrieben werden. Da er auch zur Regierungspartei gehört, wird er es möglicherweise durchwinken. Das neue Mediengesetz von Orban will die ganze Medienlandschaft (Telekommunikations- und Printmedien) aber auch das Internet unter Regierungskontrolle stellen. Diese Behörde darf Bürodurchsuchungen durchführen und drakonische Strafen verhängen. Statt klare Regeln werden wieder Gummiparagrafen gemacht, die willkürlich angewendet werden können. In diesem Gesetz steht außerdem noch, dass diese neue Nationale Medien- und Telekommunikationsbehörde die Frequenz-Lizenzen ohne Ausschreibung vergeben darf.
Der Nationale Rundfunksrat (Országos Rádió és Televízió Testület) und die Nationale Regulierungsbehörde (Nemzeti Hirközlési Hivatal) werden zusammengefügt zu einer neuen Nationalen Medien- und Telekommunikationsbehörde. Deren Präsident wird vom Regierungschef auf 9 Jahre ernannt. Dieser ernennt seinen Stellvertreter und alle Direktoren der Behörde. Der alte Medienrat ist also in diesem Superministerium untergebracht und sein Präsident ist gleichzeitig von der Nationalen Medien- und Telekommunikationsbehörde. Seine Mitglieder werden vom Parlament vorgeschlagen und gewählt.
Flaschenpost: Wird der neue Medienrat nur von sich aus tätig? Oder muss er auch Beschwerden verfolgen, wenn beispielsweise regierungsnahe Sender wieder gegen jüdische Intellektuelle, “Liberalbolschewiken”, “Schein-Ungarn” oder “Fremdherzige” geifern?
Zoltan: Das neue Mediengesetz schafft einen Posten für eine/n Komissar/in, der/die Angestellte/r der neuen Superbehörde ist. Diese Person darf von Amts wegen oder nach einer Denunziation vorgehen. Er/sie muss auch auf jede Beschwerde antworten. Das Problem ist aber, dass das Gesetz nicht konkretisiert wird, was die Integrität des Volkes verletzt.
Flaschenpost: Ist in Ungarn eine Publikation wie die Flaschenpost – also die Mitgliederzeitung einer kleinen Oppositionspartei – noch denkbar?
Zoltan: Es gibt in Ungarn eine Oppositionspartei im Parlament, die LMP (“Politik kann anders sein”). Sie haben einen Blog, er ist aber etwas leblos. Nach den Wahlen ist die Partei verschuldet und etwas unentschlossen. Es gibt verschiedene Strömungen in der Partei, wie die Grünen, Neulinke, aber auch Piratensympathisanten.
Flaschenpost: Ministerpräsident Orban sagte, das Gesetz entspräche der Mediengesetzgebung anderer EU-Staaten. Sehen die Ungarn das auch so?
Zoltan: Die Ungarn kennen die anderen Länder in Europa wenig. In den letzten Jahren waren die eigenen Probleme so groß, dass die Öffentlichkeit auf bestimmte Themen fixiert war und der Bevölkerung eine nationalistische Ideologie indoktriniert wurde. Die Regierungen von Berlusconi oder Sarkozy wurden nicht kritisch in den Medien aufgearbeitet und die Ungarn kennen die deutsche Medienkultur auch nicht. Sie sind sich bei weitem nicht bewusst, welch tiefgreifende Folgen so ein Gesetz haben kann.
Flaschenpost: Immerhin demonstrieren 1500 Ungarn auf dem Budapester Freiheitsplatz. Muss sich Kritik an der Regierung zukünftig auf die Straße verlagern, da die Redaktionen sich mit Kritik zurückhalten müssen?
Zoltan: Wenn das Gesetz unterschrieben wird, wird es in den offiziellen Massenmedien und Zeitungen wieder eine Art Selbstzensur geben. Aber ich denke, dass die Welt nicht mehr die alte wie im Gulaschkommunismus ist. Es gibt auch noch das Internet. Ich habe gehört, dass auch ein MagyarLeaks geplant ist.
Flaschenpost: Wird sich ein Land wie Ungarn alleine aus Internetquellen informieren müssen, wenn die inländischen Journalisten Zurückhaltung üben?
Zoltan: Nein, natürlich nicht. Eine Quelle ist noch keine Information, wenn nichts bei den Leuten ankommt. Da muss es wenigstens noch Internetjournalismus geben. Es gibt in Ungarn einen sehr bekannten Meinungsführer, das Internetportal index.hu, und es wird bestimmt andere geben die mehr Freiheit wagen, vielleicht im Ausland wie nepszava.com. Das Problem ist, dass die öffentliche Meinung noch immer von Massenmedien bestimmt wird, und diese Portale sind auch durch die Massenmedien populär geworden. Eine Frage bleibt: wie kann man “die andere Wahrheit” vermarkten?
Flaschenpost: Zoltan, ich frage alle meine Interviewpartner am Ende “wie stellst Du Dir unsere Gesellschaft in 20 Jahren vor”. Die Frage möchte ich heute etwas konkretisieren: “wie stellst Du Dir die ungarische Gesellschaft in 20 Jahren vor”?
Zoltan: Oh, solch eine Frage ist eine Ehre, ich fühle mich als ein Orakel berufen. Das Problem ist, „die Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Die Veränderungen sind manchmal unendlich langsam und manchmal sehr schnell. Es spielen so viele Faktoren mit, dass vieles offen bleibt. Aber eben nicht alles. Sicher ist, dass die Fidesz nächstes Jahr auch die Verfassung umschreiben will. Die Befugnisse wurden vom Verfassungsgericht schon beschnitten.
Wenn die neue Verfassung die Demokratie noch mehr untergräbt, dann wird das keine politische Partei mehr ändern können, da eine 2/3-Mehrheit in Zukunft schwer vorstellbar ist. Dann hilft nur ein Volksaufstand. Die Ungarn haben zwar Erfahrung mit Revolutionen, 1848 gegen die Habsburger und 1956 gegen die sowjetische Macht, aber nie gegen die eigene Elite. Eine Macht, die zum Unterdrücker stilisiert werden kann, gibt es heute auch, das wäre eine zentralisierte, bürokratische und von Finanzinteressen gesteuerte EU.
Flaschenpost: Vielen Dank für die interessanten Einblicke in Ungarns Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.