„Partizipation ist gut und richtig und das Internet bietet neue und spannende Möglichkeiten, diese zu bewerkstelligen.“ Diese – sehr allgemein gehaltene – Aussage würden so sicher die meisten Organisationen in Deutschland unterschreiben. Sich als Vorreiter dieser Entwicklung und Förderer der neuen Möglichkeiten darzustellen, liegt im Interesse vieler. Dies hat sich im Zuge der Eskalation um das schlecht kommunizierte Großprojekt Stuttgart 21 und der Entscheidung, das Liquid-Democracy-Tool „Adhocracy“ nicht in der Enquete-Kommission des Bundestags einzuführen, nur noch weiter verstärkt. Doch ist es nicht nur wichtig, sich darzustellen und zu fordern, sondern auch selbst die gesellschaftlichen Prozesse voranzutreiben und mit Taten voranzugehen.
Die Piratenpartei und die Entwickler der verschiedenen Liquid-Democracy-Tools, die es bereits gibt, freuen sich natürlich stets über Interessenten, die diese Ideen übernehmen und implementieren wollen. Verwirrend wird es dann nur, wenn sich plötzlich Gruppen, die bisher kaum durch ein Übermaß an innerer Partizipation aufgefallen sind, als die neuen Vorreiter aufspielen, dabei Tatsachen verdrehen und – statt gemeinsam neue Wege auszuprobieren – alle Lorbeeren für sich beanspruchen. So war es doch etwas verblüffend, in einem aktuellen Artikel in der Zeitschrift „Neues Deutschland“ zu lesen: „Digitale Programmdebatte – »Wir haben die Piraten überholt« – Linkspartei präsentiert Internet-Diskussionsplattform.“
Es ist nicht ganz leicht, die genannte Plattform zu finden, da der Artikel keinerlei Links, Namen oder technische Hintergründe dazu anbietet. Nach einiger Recherche wird klar, dass Caren Lay in dem Artikel über die liqd-Seite der Linkspartei spricht. Bei 275 Benutzern, die liqd probeweise und unverbindlich nutzen, macht die liqd-Seite der Linken aber noch nicht den Eindruck als würde die Linke da irgendwen überholen, zumal die Piraten selbst auf liqd aktiv sind. Die LiquidFeedback-Instanz der Piratenpartei hat mittlerweile zehn mal so viele, wohlgemerkt, verbindlich angemeldete Mitglieder, wie die unverbindliche liqd-Seite der Linken und wurde darüber hinaus bereits zur Vorbereitung des letzten Bundesparteitages genutzt.
Der offene Brief der Entwickler von LiquidFeedback, die zugunsten der Weiterentwicklung der Software eine stärkereTrennung von dem konkreten Projekt der Piratenpartei suchen, wurden anscheinend im ND-Artikel grob fehlinterpretiert. Alle Unklarheiten, die sich daraus ergeben haben, wurden mittlerweile längst beseitigt. Die Entwickler, welche zwar auch Parteimitglieder sind, sich aber eben vor allem der Idee Liquid Democracy verpflichtet fühlen, werden sich in Zukunft also stärker vom Projekt innerhalb der Piratenpartei trennen, was nachvollziehbar ist. Dies hat aber keine direkten Auswirkungen auf die Ausführung des Projekts bei den Piraten. LiquidFeedback wird wie bisher in der Piratenpartei Deutschland als Liquid-Democracy-Plattform betrieben und zur Meinungsbildung innerhalb der Partei genutzt werden. Wie im ND-Artikel zu behaupten, „Die Piratenpartei habe einen ähnlichen Versuch wieder beendet.“ ist daher im besten Falle eine grobe Fehlinterpretation eines nicht allzu komplexen Textes. Zumindest zeigt es aber ein grundlegendes Unverständnis dafür, dass bei Open-Source-Software einzelne Instanzen natürlich auch ohne Einflussnahme der Entwickler aufgesetzt und weiter betrieben werden können.
Um glaubhaft behaupten zu können, sie hätten die Piratenpartei in Sachen offener Politik und Netzpolitik überholt, hat die Linke noch viel Arbeit vor sich. Da braucht es mehr als nur ein paar Idealisten in einer Online-Plattform. Man muss etwa berücksichtigen, dass bei den Piraten alle Vorstandssitzungen so öffentlich wie möglich stattfinden, in der Regel ist dies in offenen Telefonkonferenzen. Die Untergliederungen kommunizieren mit Hilfe von Online-Kommunikations-Tools oder in offenen Chatrooms. Protokolle unserer Sitzungen sind für jeden einsehbar auf unseren Webseiten zu finden. Auch alle Parteifinanzen, so dies datenschutzrechtlich nicht ausgeschlossen ist, sind öffentlich. Die umfangreiche Nutzung von Wiki, etherpad und Co. macht die Piraten zu der wahrscheinlich transparentesten Partei Deutschlands. Jede erdenkliche Information über unsere Partei, Tätigkeit und thematische Ausrichtung wird dort veröffentlicht und gepflegt. Bis heute sind das knapp 26.000 öffentliche Wiki-Seiten (mehr Details dazu in der Statistik-Seite des Wiki.)
Natürlich ist es ein positiver Schritt, wenn etablierte Parteien durch schrittweises Übernehmen unserer Arbeitsweisen und Ansätze indirekt die Wichtigkeit unserer Ideen und Ziele anerkennen – aber von einem „Überholen“ der Piraten sind die Etablierten leider noch sehr weit entfernt. Wir Piraten hoffen, dass unser Vorbild auch weiterhin auf die anderen Parteien wirkt, sodass sich diese weiter öffnen und die Modernisierung ihrer Strukturen endlich vorantreiben. Die Enquete-Entscheidung letzte Woche in Berlin spricht leider eine andere Sprache. Aber wir geben die Hoffnung natürlich nicht auf. Wir freuen uns immer, wenn unsere Bemühungen, mehr Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten in die Politik zu bringen, Früchte zeigen.
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Inspiriert von: Piraten Stuttgart
Autoren: Fabio Reinhard & Cymaphore