Gastartikel von @Drachenrose
Am 26 09.2011 wurde im deutschen Bundestag über die das Gesetz zur Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) abgestimmt- einem Gesetz, welches in der Bevölkerung zu großen Teilen mehrheitlich abgelehnt wird und auch in der Finanzwelt alles andere als unumstritten ist. Doch auch unter den Abgeordneten des Bundestages gab es einige, denen das zur Abstimmung anstehende Gesetz offensichtlich Bauchschmerzen bereitet hat. Aus diesem Grunde haben einige Abgeordneten es gewagt, mit „Nein“ zu stimmen – und wurden dafür angefeindet. Einer von den Nein-Sagern ist Wolfgang Bosbach, CDU.
Seitdem versteht Herr Bosbach die Welt nicht mehr, denn er wird von einen eigenen Parteikollegen beschimpft und geschnitten, so war und ist es derzeit in den Medien zu lesen. Dabei war er doch stets ein so treuer Parteisoldat, der dafür, obwohl er einen Eid auf die Verfassung geleistet hat, selbige Verfassung mit den Füßen getreten hat.
Herr Bosbach hat – so war es auf der Internetplattform „der westen“ zu lesen – auch den gröbsten politischen Unfug seiner Partei mehr oder weniger widerstandslos abgenickt: Auch bei Gesetzen, die er für unklug hielt, hob er die Hand: Hotelsteuer, Wachstumsbeschleunigungsgesetz und Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke.
Damit aber hat hat Herr Bosbach gleich mehrfach gegen alles nur Denkbare verstoßen: Er hat gegen Artikel 38 des Grundgesetzes verstoßen, weil er gegen sein Gewissen entschieden hat. Gleichzeitig hat er auch noch gegen seinen Amtseid verstoßen „Schaden vom deutschen Volk abzuwenden“. Denn wer Gesetzte für unklug hält, der weiß auch, dass diese dem Volk insgesamt zum Nachteil gereichen, weswegen auch diese umstrittenen Gesetze, eine breite Bevölkerungsmehrheit gegen sich hatte. Doch Bosbach, laut GG ein Vertreter des ganzen Volkes, hat stattdessen lieber Gesetze zu Gunsten der gut organisierten Lobby zugestimmt, weil er dem Fraktionszwang gehorchen wollte.
An diesem Punkt stellt sich die Frage: Wie viele völlig unsinnige, unzureichende und schlechte, wenn nicht gar verfassungswidrige Gesetze wurden bisher auf den Weg gebracht und verabschiedet, weil sich die einzelnen Bundestagsabgeordneten nicht gewagt haben, aufzustehen und „Nein“ zu sagen, sondern statt dessen jeden noch so großen gesetzlichen Unsinn gegen ihr Gewissen abgenickt haben, nur um sich dem unseligen Fraktionszwang zu beugen?
Dieser alltägliche Wahnsinn im Bundestag zeigt, wie und warum es den Vätern des Grundgesetzes so wichtig war, die freie Gewissensentscheidung im Artikel 38 als einen der zentralen Punkte festzuschreiben:
(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.
Dennoch scheren sich die etablierten Parteien sowie deren Abgeordneten nicht einmal ansatzweise darum, dass sie mit jeder Entscheidung, die sie willig und entgegen besseren Wissen abnicken, ein Stückchen Demokratie zu Grabe tragen.
Nun hat Herr Bosbach zum ersten mal in seinem Leben den Mut gefunden, „Nein“ zu sagen. Vermutlich war ihm klar, dass der Schaden, den die Zustimmung zur EFSF diesmal verursachen könnte, Dimensionen annehmen könnte, die nicht mehr vertretbar sind (zumal die Regierung nichts zur eigentlichen Ursachenbeseitigung unternimmt). Offensichtlich scheint das Gewissen diesmal unüberhörbar gewesen zu sein. Das ist vielleicht die einzige gute Nachricht an der vermeintlichen Affäre: dass es doch noch den einen oder anderen Politiker gibt, der so etwas wie ein Gewissen hat. Doch leider hört er auf dieses nur dann, wenn dieses Gewissen sich gezwungen sieht, den Baseballschläger hervor zu holen, um nicht schon wieder ignoriert zu werden.
Der eigentliche Eklat ist somit gar nicht darin zu suchen, dass es Politiker gibt, die sich daran erinnern, an keine Weisung gebunden zu sein, und entsprechend „Nein“ sagen. Der Eklat besteht darin, dass Politiker, die dies für sich in Anspruch nehmen, von ihren Fraktionskollegen beschimpft und geschnitten werden. Das zeigt, wie verheerend es in Wirklichkeit um die demokratische Gesinnung unserer Volksvertreter bestellt ist.
Insgesamt gilt: Mit diesem Wahnsinn muss Schluss sein. Die Abgeordneten des Bundestages müssen endlich auf dem Boden des Grundgesetzes operieren. Dies ist die beste Voraussetzung, um den politischen Unsinnsentscheidungen endlich den Boden zu entziehen. Vermutlich klappt es dann wieder mit einer vernünftigen und sinnvollen Politik, wenn Mehrheiten in erster Linie dadurch zustanden kommen, weil der Gesetzesvorlage mit gutem Gewissen zugestimmt werden kann.