Am vergangenen Montag berichteten die ersten Medien, dass Fahnder auch im Land Brandenburg eine Trojaner-Software einsetzen, um Personen zu überwachen. Nur wenige Tage zuvor hatte der Chaos Computer Club (CCC) bekannt gegeben, dass er eine “staatliche Spionagesoftware” analysiert habe, die von Ermittlern in Deutschland zur Überwachung eingesetzt werde und dabei die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes nicht erfülle. Im Folgenden wollen wir eine Chronologie der Ereignisse und Entwicklungen im Bezug auf diese Thematik im Land Brandenburg darstellen und Konsequenzen für die Landespolitik ableiten.
Montag, 10. Oktober 2011
Am Nachmittag wird bekannt, dass das Land Brandenburg – neben dem Freistaat Bayern – das zweite Land ist, in dem eine Trojaner-Software eingesetzt wird. Das Innenministerium des Landes spricht hierbei von einem aktuellen Fall, bei dem Amtshilfe einer Bundessicherheitsbehörde nötig sei und in dem die Quellen-Telekommunikationsüberwachung zum Einsatz kommt. Der Überwachte ist nach Aussage des Justizministeriums des Landes mit internationalem Haftbefehl zur Fahndung ausgeschrieben. Sowohl Innenministerium als auch Justizministerium beteuern, dass es sich um den einzigen Fall handelt, bei dem die Trojaner-Software zum Einsatz kommt:
„Auch Brandenburgs Fahnder setzen derzeit in einem Fall Trojaner-Software ein, um Telefonate im Internet abhören zu können. Laut Innenministerium ist dafür allerdings die Amtshilfe einer Bundessicherheitsbehörde nötig. Weder der Verfassungsschutz noch die Polizei in Brandenburg hätten die Software beschafft, betonte ein Sprecher am Montag. Übereinstimmend berichtete das Justizministerium von laufenden Ermittlungen gegen eine Person, die mit internationalem Haftbefehl zur Fahndung ausgeschrieben sei. Dabei werde erstmals die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) eingesetzt, sagte ein Sprecher in Potsdam.
Für den Einsatz liege eine richterliche Genehmigung vor. Weitere Details wollte der Sprecher nicht nennen, weil das Verfahren noch laufe. Es sei der bislang einzige Fall, hieß es von der Justiz. Auch laut Innenressort ist es bislang das einzige Verfahren, in dem die Polizei im Rahmen der Strafverfolgung involviert ist. Weder habe der brandenburgische Verfassungsschutz Online-Überwachungen in Form der Quellen-TKÜ durchgeführt, noch habe die Polizei diese Methode bislang zur Gefahrenabwehr benutzt.“
In diesem Zusammenhang versendet die Piratenpartei Brandenburg einen offenen Brief an den Landtag, den Ministerpräsidenten, den Regierungssprecher, das Ministerium der Justiz, das Ministerium des Innern, die Abteilung Verfassungsschutz im Ministerium des Innern sowie die Fachdirektion Landeskriminalamt im Polizeipräsidium des Landes Brandenburg. Darin verlangt die Piratenpartei Brandenburg in 40 Fragen detaillierte Auskunft zum Einsatz der Trojaner-Software. Unter anderem wird hinterfragt, auf welchen Rechtsgrundlagen der Einsatz beruht, wer über den Einsatz informiert wurde, wie die Rechte der ausgespähten Personen und Unbeteiligter gewahrt und in welcher Form die gesammelten Daten archiviert werden. Ein Sprecher des Innenministeriums des Landes Brandenburg bestätigt gegenüber der Nachrichtenagentur dapd den Eingang des Fragenkataloges und sichert eine Prüfung sowie Beantwortung der Fragestellungen zu.
Dienstag, 11. Oktober 2011
Entgegen der Beteuerungen des Vortages, teilt ein Sprecher des Justizministeriums des Landes Brandenburg mit, dass in einem zweiten Fall eine Trojaner-Software eingesetzt wurde. Auch in diesem Fall habe eine Bundesbehörde Amtshilfe geleistet. Dem Überwachten werde banden- und gewerbsmäßiger Betrug mit gefälschten Medikamenten vorgeworfen:
„Bei Ermittlungen in Brandenburg ist in einem zweiten Fall Trojaner-Software angewandt worden. Das habe eine Nachfrage der Generalstaatsanwaltschaft bei den Staatsanwaltschaften im Land ergeben, teilte der Sprecher des Justizministeriums, Schauka, am Dienstagabend mit. Nach seinen Angaben wurden von Ende 2010 bis Anfang Januar 2011 in einem Fall banden- und gewerbsmäßigen Betrugs mit gefälschten Medikamenten Internettelefonate überwacht. Dafür habe ein Gerichtsbeschluss vorgelegen. Wie im ersten bekanntgewordenen Fall habe eine Bundesbehörde Amtshilfe geleistet.
Auch in dem zuerst bekanntgewordenen Fall betonte das Brandenburger Innenministerium, dass die Software im rechtlichen Rahmen eingesetzt werde. Es gebe eine richterliche Genehmigung für den Einsatz der Überwachungssoftware.“
Darüber hinaus wird bekannt, dass der Einsatz der Trojaner-Software im Land Brandenburg im Ausschuss für Inneres am 20.10.2011 und im Rechtsausschuss am 03.11.2011 thematisiert werden soll. Der Landtagsabgeordnete Hans-Peter Goetz (FDP) hat darüber hinaus eine Kleine Anfrage im Landtag gestellt. Ein Sprecher des Innenministeriums des Landes Brandenburg bestätigt auch gegenüber der Nachrichtenagentur dpa den Eingang des Fragenkataloges der Piratenpartei Brandenburg und sichert eine zeitnahe Beantwortung der Fragestellungen zu.
Mittwoch, 12. Oktober 2011
Das Innenministerium des Landes Brandenburg äußert sich erstmals in einer schriftlichen Stellungnahme zum Fall. Entgegen der Aussagen des Vortages setzen die Sicherheitsbehörden im Land Brandenburg derzeit keine Trojaner-Software ein. Das Ministerium spricht in dieser Stellungnahme wiederum von lediglich einem Fall, der allerdings in der Vergangenheit liege – eine Aussage zu dem am Vortag bekanntgewordenen zweiten Trojaner-Einsatz wird nicht getroffen, angesprochen wird lediglich die Erwägung weiterer Einsätze. Präzisiert wird im Rahmen der Stellungnahme die bereits bestätigte Amtshilfe einer Bundesbehörde, hierbei handele es sich um das Zollkriminalamt in Köln:
„Brandenburgs Sicherheitsbehörden haben derzeit keinen der sogenannten ‚Trojaner’ im Einsatz. Das hat das Innenministerium vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte zur Überwachung von Internet-Kommunikation klargestellt. Auch seien die dazu notwendigen technischen Mittel, zum Beispiel entsprechende Softwarekomponenten, zur Zeit weder bei den Behörden im Land vorhanden, noch für Einsätze speziell beschafft worden, sagte Ministeriumssprecher Ingo Decker am (heutigen) Mittwoch in Potsdam. „Wenn wir bei entsprechend schweren Ermittlungsfällen diese gesetzliche Möglichkeit benötigen, greifen wir bislang auf die Amtshilfe anderer Behörden zurück“, erklärte Decker.
Nach derzeitigem Stand ist dem Innenministerium bislang lediglich ein solcher Fall praktischer von Amtshilfe für die Polizei Brandenburgs bekannt. Dabei handelt es sich nach den Worten des Sprechers um das bereits öffentlich thematisierte Strafverfahren aus dem Bereich der organisierten Kriminalität. Hierbei unterstütze die Polizei den Zoll mit Fahndungsmaßnahmen nach einem dringend Tatverdächtigen, der mit internationalem Haftbefehl gesucht wird. Grundlage für die sogenannte Quellen-TKÜ war ein richterlicher Beschluss. „Das lief streng nach Gesetz. Die notwendige Amtshilfe hat dabei das Zollkriminalamt in Köln geleistet. Die betreffende Überwachungsmaßnahme ist seit einiger Zeit aber nicht mehr aktiv“, sagte Decker.
In wenigen anderen Fällen wurde der Einsatz einer Quellen-TKÜ erwogen, kam aber aus verschiedenen Gründen nicht zum Tragen.“
Verschiedene Medien – zum Beispiel Potsdamer Neueste Nachrichten, Märkische Allgemeine und Der Tagesspiegel – berichten davon abweichend, in Berufung auf das Innenministerium und das Justizministerium des Landes, dass die Trojaner-Software in zwei Fällen eingesetzt wird und dies auch eine aktuelle Ermittlung betrifft. Ein Sprecher des Zollkriminalamtes erklärte, dass die Behörde nur Trojaner-Software einsetze, mit der ausschließlich Internettelefonie überwacht werden könne. Im Rahmen der Fahndung seien Internet-Telefonate über den Anbieter Skype überwacht worden – die Software, die im Land Brandenburg eingesetzt wird, lasse nach Aussage des Sprechers des Justizministeriums technisch nicht mehr zu.
Donnerstag, 13. Oktober 2011
Der Einsatz einer Trojaner-Software im Land Brandenburg weitet sich aus: Neben den zwei bereits aufgedeckten Fällen wird bekannt, dass die Software in zwei weiteren Verfahren richterlich genehmigt, aus verschiedenen Gründen aber nicht genutzt werden konnte. In einem der beiden bereits bekannten Fälle kam es zu einer Panne, da der Computer des Verdächtigen durch das Überspielen der Trojaner-Software beschädigt und die Festplatte unabsichtlich unbrauchbar gemacht wurde. In weiteren Fällen konnte die Software nicht eingesetzt werden, da die Verdächtigen die Internetfunktion nicht nutzten und die Virenfunktion des Computers die Software blockierte:
„In einem Verfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) und des Zolls, die wegen Steuerbetrugs durch illegalen Zigarettenhandel einen Verdächtigen per internationalem Haftbefehl suchen, kam es zu seiner Panne. Der Computer des Verdächtigen wurde durch das Überspielen des Trojaners beschädigt und die Festplatte lahmgelegt. In dem anderen Fall wurde die Software Ende 2010 vom Zoll bei den erfolgreichen Ermittlungen gegen eine internationale Betrüger-Bande eingesetzt, die mit gefälschten Potenzmitteln im Internet handelte. In zwei weiteren Verfahren kam es trotz Erlaubnis durch Gerichte gar nicht erst dazu, dass Ermittlungsbehörden mit Trojanern die Internettelefonate zweier Verdächtiger abhörten. Einmal, weil ein Verdächtiger diese Internetfunktion überhaupt nicht nutzte, ein anderes Mal, weil die Virenfunktion des Computers den Trojaner blockierte.
[…]
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte die Bundesländer aufgefordert, die enttarnte Spionagesoftware nicht mehr einzusetzen. Zunächst müsse geklärt werden, ob das Programm mehr könne als gesetzlich zulässig sei. Brandenburgs Innenministerium will die Debatte auf Bundesebene abwarten, hält einen Einsatzstopp aber nicht für nötig, weil die Sicherheitsbehörden derzeit keinen Trojaner im Einsatz hätten. Zudem verfüge das Land nicht über die Software. Die Experten in Justiz- und Innenministerium sehen auch deshalb keinen Bedarf für eine ausdrückliche Anordnung zum Verzicht auf die Trojaner, weil die Hersteller von Anti-Viren-Programmen längst reagiert haben – spätestens, als die Internet-Aktivisten vom CCC den Quellcode der Spionage-Software veröffentlicht haben.“
Die PIRATEN Brandenburg stellen dazu fest…
Michael Hensel, 1. Vorsitzender der Piratenpartei Brandenburg zum Einsatz einer Trojaner-Software im Land Brandenburg: „Die vergangenen Tage haben gezeigt, dass die Thematik immer dramatischer wird, je länger man sich mit dieser befasst. Die Salamitaktik der Landesregierung, das Ausmaß der Überwachung nur nach und nach preiszugeben, ist nicht hinnehmbar und führt zu einem enormen Vertrauensverlust der Bürgerinnen und Bürger gegenüber staatlichen Behörden und den jeweiligen Regierungen. Kritisch zu bewerten ist außerdem, dass die Trojaner-Software in erster Linie bei verdächtigen Steuersündern zum Einsatz kommt – und nicht wie vom Bundesverfassungsgericht vorgesehen bei Straftaten gegen das Leib, Leben und die Freiheit von Personen. Wir sind schwer erschüttert über die Aushöhlung der Grundrechte und die Verletzung der Privatsphäre und fordern den Landtag von Brandenburg auf, diesen Eklat unverzüglich aufzuklären und darzulegen, inwiefern der Einsatz der Software mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in Einklang zu bringen ist. In diesem Zusammenhang ist eine intensive Auseinandersetzung mit den Fragestellungen unseres offenen Briefes dringend geboten! Darüber hinaus erwarten wir einen sofortigen Stopp aller Einsätze dieser oder einer anderen Trojaner-Software, da die Grundrechte damit offenbar bewusst und wissentlich verletzt werden.“
Die PIRATEN Brandenburg werden die Diskussionen zur Thematik im Ausschuss für Inneres am 20.10.2011, im Rechtsausschuss am 03.11.2011 und im brandenburgischen Landtag aktiv verfolgen und sich kritisch mit ihnen auseinandersetzen. Michael Hensel dazu: „Die Kleine Anfrage des FDP-Abgeordneten Hans-Peter Goetz ist zwar ein guter Anfang, dennoch zeigt sie scheinbar das mangelnde Interesse an der Aufklärung aller Hintergründe. Darin soll lediglich geklärt werden, welche Landessicherheitsbehörden auf welcher Rechtsgrundlage die Software einsetzen, welche Software hierfür verwendet wird und wie sichergestellt wird, dass ausschließlich auf laufende Vorgänge zugegriffen wird. Auch die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat eine Kleine Anfrage angekündigt – diese wurde aber offenbar auch vier Tage nach den ersten Berichten über den Einsatz im Land Brandenburg noch nicht eingereicht. Die PIRATEN Brandenburg legten am Tag der ersten Berichte über einen Trojaner-Einsatz im Land einen umfangreichen Fragenkatalog vor – wir empfehlen den Fraktionen im Landtag, diese 40 Fragen für eine umfassende Aufarbeitung des Sachverhaltes zu übernehmen.“