Vielfach ist zu lesen, die Piratenpartei hätte ein Problem mit Rechtsradikalen in ihren Reihen. Gleichzeitig wird der Wunsch nach einer “strengen Tür” geäußert, die beim Beitritt extreme Rechte wie Linke fernhalten soll. Fakt ist, dass es keine Gesinnungsprüfung neuer Mitglieder gibt. Wenn keine offensichtlichen Gründe gegen eine Mitgliedschaft bei den Piraten bestehen, nimmt ein Antrag seinen Lauf. Das mögen die Parteien bemängeln, die unter Mitgliederschwund leiden, wir freuen uns über den großen Zulauf bei uns.
Natürlich besteht die Gefahr, dass Extreme versuchen, uns zu unterwandern oder unverhältnismäsig viele Wirrköpfe bei uns eine Heimat suchen. In den fünf Jahren seit der Gründung der Piratenpartei wurden vier Personen als “rechts” durchs mediale Dorf getrieben: Bodo Thiesen, Aron König und jetzt Matthias Bahner und Valentin Seipt.
Bodo Thiesen tätigte 2003 einige extem rechtslastige Thesen über die Ursachen des 2. Weltkriegs. Und distanzierte sich 2009 von seinen Äußerungen. Aron König ist kein “Rechter” im klassischen Sinn, eher ein Islamophobiker, vergleichbar den amerikanischen Neocons oder Thilo Sarrazin. Nach einem Blogeintrag, der Israel den präventiven Erstschlag gegen den Iran nahelegte, hatte er bei den Piraten keine Freunde mehr. Und trat bald bei den Piraten aus, um Mitgründer der rechtspopulistischen Freiheit zu werden (dort wurde er inzwischen kaltgestellt). Matthias Bahner war 2003 bis 2004 Mitglied der NPD. Er verschwieg in Piratenkreisen seine frühere Mitgliedschaft (antwortete auf die Frage einer früheren Parteienmitgliedschaft gar mit “nein”). Nach einer Drohung aus NPD-Kreisen ihn als ehemaliges Mitglied zu outen, kam er nun in einer Pressemitteilung zuvor: Er trat von allen Ämtern zurück. Valentin Seipt war zwischen 2007 und 2009 Mitglied der NPD, zeitweise auch als stellvertretender Kreisvorsitzender. Nun trat er als Vorsitzender des Kreisverbands Freising zurück. Auch hier hatte die NPD gedroht, die frühere Mitgliedschaft öffentlich zu machen. Bahner bezeichnet seine NPD-Vergangenheit als Jugendsünde, Seipt nennt sie einen Fehltritt.
Politischer Extremismus ist eine Gefahr für die Demokratie, da darf nichts beschönigt oder verharmlost werden! Rechten wie linken Gruppierungen müssen wir entgegentreten – und tun es auch. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Aktionsgruppen, um den geistigen Brunnenvergiftern jeglicher Couleur die Anhänger zu nehmen, gibt es massig. Sie nutzen Aufklärung wie den Störungsmelder und Ausstiegsprogramme wie Exit sowie eine Initiative des Bundesverfassungsschutzes. Und was, wenn der Ausstieg geschafft ist? Was kommt danach? Welche politische Mitwirkungsmöglichkeit will man ehemaligen “Extremen” danach einräumen? Sollen sie sich Zeit ihres Lebens von politischen Organisationen fernhalten? Oder erst nach einer bestimmten Karenzzeit einer anderen Partei beitreten? Wohlgemerkt: wir sprechen hier nur von einer ehemaligen Gesinnung, nicht von Straftaten! Welche Schlüsselworte muss eine Distanzierung von der Vergangenheit enthalten, um als “glaubwürdig” zu gelten? Wie vollständig muss der Tätigkeitsbericht eines “resozialisierten” Extremisten sein, damit spätere “Enthüllungen” die Diskussion nicht erneut aufflammen lassen? Oder wird jedes “ehemalige” Mitglied ein Leben lang unter Generalverdacht stehen?
Lange Zeit waren die großen demokratischen Parteien stolz darauf, “Umsteigern” eine Perspektive zu geben. So war die Vergangehneit Herbert Wehners in der KPD bereits in den 50er Jahren vollständig aufgearbeitet, er verschwieg kein Detail seiner KPD-Laufbahn. Auch nicht, dass er während der Zeit im Hotel Lux so manchen Genossen ans Messer des NKWD lieferte. Den Verdacht, insgeheim noch immer ein “Roter” zu sein, wurde er jedoch nie los. Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger verschwieg die Details seiner NSDAP-Mitgliedschaft und kassierte dafür einzig eine Ohrfeige. Spätgeborene Politiker der Bundesrepublik legten Kränze auf SS-Friedhöfen ab (hier aus Sicht der Konrad-Adenauer-Stifitung beschrieben), führten Landtagswahlkämpfe mit ausländerfeindlichen Parolen oder sprachen in einer Rede zur Deutschen Einheit gar vom “jüdischen Tätervolk” (das hatte in diesem Fall nach längerer Debatte immerhin den Ausschluss aus der CDU zur Folge). Die vier Fälle, die aus der Piratenpartei nun bekannt wurden, sind ein Bruchteil dessen, was von anderen Parteien bekannt ist.
Hier hebt sich das Wort “Vergangenheit” ungewöhnlich scharf von der Gegenwart ab. Manche haben Flecken auf der Weste, andere sind ewig gestrig. Das geht bis zur Äusserung “Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein” eines Ministerpräsidenten oder den linksradikalen Hintergrund des späteren Außenminister Joschka Fischers.
Kein Pirat muss sich eine Ohrfeige wegen seiner ungeklärten Rolle in “der Partei” (egal welcher Ausrichtung) einfangen. Jugendsünden? Die Situation könne man doch nicht vergleichen? Richtig, in dem was sie tut, kann die NPD nicht mit der NSDAP vergleichen werden, in dem was sie tun möchte, aber schon. Ähnliches gilt für die Linke in der Tradition der SED. Beurteilen wir die Reputationen einer Person anhand von dem, was sie in einer Organisationen tatsächlich getan hat. Und finden sich da keine Brandreden, keine überfallenen Asylantenheime oder geschändeten Friedhöfe, gibt es keinen Grund für Vorbehalte.
Können wir etwas von anderen Parteien lernen? Durchaus! Ehemalige Mitglieder extremistischer Parteien sollten sich diese Punkte vor Augen führen, um späteren Schaden von sich und der Piratenpartei fern zu halten:
- Eine frühere Mitgliedschaft muss spätestens bei einer Kandidatur auf den Tisch. Alles andere ist Betrug am Wähler!
- Wir freuen uns für jeden, der den Ausstieg aus dem Extremismus schafft. Das Eingeständnis einer früheren Mitgliedschaft darf nicht zu einer Hexenjagd führen.
- Extremistische Vorstellungen haben bei den Piraten nichts zu suchen.
Einen möglichen Fragenkatalog hat Stephan Eisvogel, basierend auf dem in Bayern üblichen Katalog zur Befragung von angehenden Beamten, erstellt. Dieser Katalog soll jedoch nicht als abschließendes Werk betrachtet werden, sondern Anregungen für die Beleuchtung des Hintergrundes von Parteimitgliedern und Amts- bzw. Mandatsbewerbern geben.
Natürlich wird es kritische Fragen (wie beispielsweise aus obigen Katalog) geben, es muss sie sogar geben. Ein “schön dass du jetzt bei uns bist” ist bei Weitem nicht genug. Klar ist aber auch, dass es keine lebenslange Quarantäne, kein lebenslanges Misstrauen geben darf. Doch muss der Wandel glaubhaft, nachvollziehbar – ja transpartent dargelegt werden. Wie eingangs schon geschrieben: Extremistische Parteien sind eine Gefahr. Ihre ehemaligen Mitglieder werden von Außen und Innen ganz besonders wahrgenommen. Das ist vielleicht der Preis, der zu zahlen ist.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.