In vielen Parteizentralen steht das Piratenwiki mit dem Zähler der derzeitigen Mitglieder unter ständiger Beobachtung. Nach dem Bundesparteitag (BPT) setzte der nunmehr dritte Mitgliederschub ein. Der erste dieser Schübe war zu gleichen Teilen der Zensursuladebatte und der Europawahl geschuldet, also zum Teil fremdgetrieben. Der zweite Schub setzte nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin ein und hält noch immer an. Der aktuelle Mitgliederschub geht auf das frisch verabschiedete Offenbacher Programm zurück. Alleine der Landesverband Bayern konnte in den ersten vier Stunden nach dem Ende des BPT 75 Neuanmeldungen verbuchen.
Es sind junge Menschen, die um ihre Zukunft fürchten. Es sind ältere Menschen, die der entgleisten Politik der etablierten Parteien nicht mehr länger tatenlos zuschauen wollen. Und es sind Glücksritter, die auf den fahrenden Zug aufspringen und auf ihren Vorteil hoffen. Denn der Karriereweg bei den Piraten ist gelegentlich kurz und steil. Gerade wo es Posten und Pöstchen zu verteilen gibt, sind Ruhm und Ehre oft schnell erreicht.
Nichts beschreibt besser welche Fähigkeiten einen guten Pokerspieler auszeichnen als der Satz “Ein guter Pokerspieler muss gut pokern können”. Wer pokert, ohne dass die Mitspieler auch nur ahnen welches Spiel gerade gespielt wird, hat oft schon gewonnen. Wer in Vorstellungsrunden auftrumpfte, einen Geschäftspartner mit losen Sprüchen über den Tisch zog oder in Polizeikontrolle mit fester Stimme und glaubhaftem Blick “nur 7 Gläser Wasser” antwortet, weiß ein Lied davon zu singen. Der Erfolgt steht und fällt mit der Fähigkeit für kurze Zeit eine multiple Persönlichkeit anzunehmen. Laut zu sagen “Wir Piraten sind für eine tolerante Gesellschaft” und insgeheim Überwachungskameras als die Lösung aller Probleme zu favorisieren. Der Hochstabler führt das Wort der “humanen Drogenpolitik” im Mund, sei es auch nur um morgens um 10 Uhr eben diesen Mund ganz tolerant mit Bier zu spülen. Wer es fausdick hinter den Ohren hat, gibt sich als deutschnationaler Moslem aus, der als Vater von 10 Kindern auf ebenso viele Heiratsschwindlerinnen rein fiel. Auch ein erfundener Doktortitel verfehlt noch heute nicht seine Wirkung – auch nicht bei Piraten!
Ob solch ein Verhalten mit “multipler Persönlichkeit” alleine erklärt werden kann, müssen (echte) Mediziner klären. Vielleicht haben sie auch einen Namen für das, woran einer der Heidepiraten leidet. Nach kurzer Mitgliedschaft zog der “Felix Krull der Piratenpartei” in den Harburger Kreistag ein. Dort verbreitet er mit seinem Motto “schlechte Presse gibt es nicht” Angst und Schrecken unter den Abgeordneten. Die Heidepiraten aus dem Nordosten Niedersachsens sind seltsam berührt, vor allem aber enttäuscht offensichtlich auf eine Täuschung hereingefallen zu sein – und die Chance auf konstruktive Mitwirkung zumindest für diese Wahlperiode vergeben zu haben. Es gilt inzwischen als unwahrscheinlich, dass der Abgeordnete der Piratenpartei seinem Mandat jemals gerecht wird. Zu befürchten ist hingegen, dass er, ganz ohne Not und Anlass, das Ansehen der Piraten weiterhin beschädigt. Als frei erfunden müssen jedoch die Vorwürfe gelten, der Landesvorstand Niedersachsen sei von CIA-Leuten besetzt und der Kreisverbandsvorsitzende wurde vom Verfassungsschutz entsendet.
Gerade diese wirren Vorwürfe entlarven einen Verschwörungstheoretiker. Für einige Zeit fällt die verworrende Gedankenwelt nicht auf – bis eines Tages etwas kippt. So entsteht eine Schräglage, die nicht selten in einem Höllenritt zur persönlichen Katastrophe endet. Nicht wenige begabte Pokerspieler verspielten in völliger Fehleinschätzung der Situation Haus und Hof. Da nutzt es auch nicht zu glauben “das Volk steht hinter mir”.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.