Weißblauer Himmel über Bayern. Viel Sonne, leichter Schneefall und gar nicht kalt. Eigentlich das richtige Wetter um sich draußen zu treffen um über piratige Politik zu plaudern. Doch Wolfgang Britzl wohnt in Bad Reichenhall, Eric Lembeck in Landsberg und ich in München. Also treffen wir uns im Piratenpad um über ihrer Kandidatur bei den Wahlen zum Oberbürgermeister zu sprechen.
Flaschenpost: Hallo Eric, hallo Wolfgang, werdet ihr die ersten piratigen Oberbürgermeister?
Wolfgang: Hallo Michael. Mit Sicherheit nicht, man muss realistisch bleiben. Bad Reichenhall ist zuerst einmal sehr konservativ und überaltert.
70% aller Einwohner sind über 65, so spricht es sich zumindest herum, und wenn man in der Innenstadt Parteiwerbung betreibt wird diese These mehr als bestätigt. Dadurch, dass Reichenhall eine Kurstadt ist, zieht sie vor allem ältere Leute an, die hier ihren Lebensabend verbringen wollen. Zurecht, denn die Stadt liegt wunderschön in einem Alpental und ist allgemein ein eher ruhiges Fleckchen. Zusätzlich haben fast alle etablierten Parteien ihre Kandidaten ins Rennen geschickt. Das senkt die Chancen erheblich. Allerdings waren es erst zwei Kandidaten (FWG und CSU), als wir bekannt gemacht haben, dass wir kandidieren wollen. Dass die anderen Parteien (SPD und Grüne) nun auch kandidieren, könnte eventuell mit unserem Engagement zusammen hängen.
Eric: In Landsberg häufen sich die Stimmen, die eine echte Chance sehen, dass ich das Amt erobern kann. Darunter sind natürlich diverse Piraten, die die Dynamik der letzten Wochen erlebten, aber auch Stammwähler anderer Parteien, die der Meinung sind, dass die Zeit reif für einen neuen Ansatz ist. In vielen Fällen ist aber wohl die Unzufriedenheit mit dem Status Quo die Motivation für diese Haltung.
Realistisch gesehen, bin ich aber nur ein Außenseiter. Jetzt geht darum zu versuchen die Nicht- und die Erstwähler anzusprechen und zu überzeugen. Gelingt uns dies, könnte ein respektables Ergebnis erzielt werden.
Flaschenpost: Vor eurer Wahlzulassung musstet ihr 190 Unterschriften sammeln. war das hart?
Eric: In Landsberg war es überraschend einfach – in nur 21 Stunden, verteilt auf sieben Tage, hatten wir die 190 Unterschriften zusammen. Zum einen war uns aus den vergeblichen Versuchen in Neumarkt und in Lindau klar, dass nur direkte Gespräche mit den Bürger/Innen die unmittelbar zur Unterschrift führen, erfolgversprechend sind und zum anderen haben wir ein sehr engagiertes Wahlkampfteam, sodass wir immer mit 3-7 Piraten gleichzeitig vor Ort waren und uns so auch gegenseitig motivieren konnten. Wir ließen uns auch nicht so leicht abwimmeln. Sprüche wie: “Piraten, so ein Quatsch”, betrachteten wir nicht Ablehnung sondern lediglich als Gesprächsauftakt.
Wolfgang: Für uns war es sehr hart. Wir haben den Einwohnern von Bad Reichenhall drei Wochen Zeit gegeben und nur mit Pressemitteilungen und Radiowerbung auf die Unterschriftenlisten aufmerksam gemacht. Das Ergebnis: 8 Stimmen. Somit musste ich ein paar Tage Urlaub opfern und mich bei teilweise -14° Celsius in die Innenstadt stellen und um Stimmen werben. Zum Glück waren an einem Samstag für zwei Stunden 20 Piraten aus Oberbayern zu Besuch, mit denen wir es schafften 65 Stimmen auf einmal zu sammeln. Das gab uns den nötigen Optimismus. Die Erfolgsquote war dennoch nicht gerade hoch. Mittlerweile kenne ich wahrscheinlich jeden Reichenhaller persönlich.
Flaschenpost: Wie kann man sich ein piratiges Rathaus vorstellen?
Wolfgang: Ein piratiges Rathaus ist in erster Linie natürlich transparent. Es legt alle Informationen offen, die es ermöglichen sollen sich als Bürger an Entscheidungsprozessen beteiligen zu können, d.h. man sollte ein Bürgerhaushalt-Modell ermöglichen. Zusätzlich dazu sollte es eine Feedback-Seite im Internet geben, wie wir es bei www.aufbruch-reichenhall.de vorgemacht haben. Hier könnten Bürger diskutieren und gleichzeitig über Positionen abstimmen. Zusätzlich ist es wichtig die Einwohner einer Stadt dahingehend zu unterstützen sich auch anderweitig einbringen zu können. Es sollte nicht an den Hürden der Bürokratie und der Stadtverwaltung scheitern, wenn Bürger im öffentlichen Raum, wie zb. Parks, Fußgängerzonen Angebote liefern wollen, die zur kulturellen Vielfalt der Stadt beitragen. Wir müssen politisches Engagement wieder beleben, nur somit werden wir über kurz oder lang auch Bürgerbeteiligung schaffen können. Wir dürfen nie vergessen, dass Beteiligung auch gebracht werden muss und nicht nur von uns gefordert, also muss ein piratiges Rathaus ein System schaffen, dass es ermöglicht sich beteiligen zu können und eben die Bürger ermächtigt. Die Gemeinde Weyarn hat hier eigentlich einen schönen Prototypen geliefert.
Eric: Auch in Landsberg sind die wichtigsten Schlagworte natürlich Transparenz und Bürgerbeteiligung. Das sind auch die beiden Felder in denen man als OB einen gewissen Handlungsspielraum hätte. Sitzungen können komplett öffentlich sein, das Abstimmungsverhalten bekanntgegeben werden, Protokolle und Gutachten veröffentlicht werden. Im Vorfeld von größeren Entscheidungen können Bürgerforen und/oder Bürgerworkshops durchgeführt werden, deren Ergebnisse dem Stadtrat vorgelegt werden würden.
Als OB könnte man sicher einige Impulse setzen, aber man muss sich bewusst sein, das man kein “Sonnenkönig” ist, der nun alles piratig ausrichten kann. Es gibt weiterhin einen Stadtrat – 30 Nicht-Piraten – der überzeugt werden muss.
Flaschenpost: Welches Feedback bekommt ihr von den Nicht-Piraten aus der Bevölkerung?
Wolfgang: Das Feedback fällt in der Regel eher gemischt aus. Junge Leute finden es natürlich toll was wir machen. Ältere sind hingegen sehr skeptisch und belächeln mein Alter. Die zwei krassesten Gegesätze nenne ich hier kurz: Ein Mann fand uns am Infostand so sympathisch, dass er in den nächsten Laden ging und uns eine Weinflasche für uns besorgte. Ein Anderer fragte uns: “Ihr seid doch für Meinungsfreiheit. Darf ich euch auf den Tisch scheissen? Das wäre nämlich meine Meinung über euch.”
Mei, was soll man sagen. Willkommen in bayerischer Kommunalpolitik.
Eric: Beim Sammeln der Unterschriften und den bisherigen Infoständen in Landsberg erhielten wir sehr viel positives Feedback. Bei den Jüngeren haben wir ja bekanntlich einen guten Stand. Überraschend viel Zuspruch und Bestätigung unserer Inhalte bekamen wir von den älteren Bürgern, die es einfach nicht mehr ertragen von den Polit-Dinos verschaukelt zu werden.
Flaschenpost: Wie nutzt ihr die Zeit bis zum Wahltermin?
Wolfgang: Wir planen noch Bürgerversammlungen und Podiumsdiskussionen mit den Gegenkandidaten. Die Wahl ist, wie in Landsberg am 11.03.2012, viel Zeit bleibt also nicht mehr, vor allem, wenn man ein auswärtiger Kandidat ist, wie ich es eben bin als Münchner.
Auch sind wir insgesamt drei Leute im Wahlkampfteam und zu denen zählt Anna, meine Freundin. Das heisst wir haben mit dem Entwerfen und Aufhängen der Wahlplakate, Presseterminen und Bürgerkontakten sowieso schon mehr als genug auf unseren ToDo-Listen.
Eric: Die Zeit bis zur Wahl am 11.03.12 wird sicher nicht langweilig. Neben den eher ruhigen Tätigkeiten im stillen Kämmerlein wie Flyer und Plakate entwerfen und die Kandidatenseite www.eric-lembeck.de zu verbessern, sind schon diverse Aktionen und Veranstaltungen fest geplant:
* 28.01.12 Aufhängen von 120 Wahlplakaten im Stadtgebiet
* 06.02.12 Bürgerworkshop zum Thema „Neue Formen politischer Partizipation. Bürger definieren ihre Ansprüche“
* 12.02.12 Piratenbrunch -Gastredner: Sebastian Nerz
* 22.02.12 Politischer Aschermittwoch: Podiumsdiskussion mit allen OB-Kandidaten
* 27.02. oder 05.03.12 Podiumsdiskussion mit allen OB-Kandidaten zum Thema Jugend in Landsberg
* 06.03.12 Podiumsdiskussion mit allen OB-Kandidaten zu den Themen Stadtentwicklung, Stadtgestaltung, Verkehrsentwicklung
Jeden Samstag bis zur Wahl werden wir mit einem Infostand in der Altstadt vertreten sein. Zusätzlich trifft sich mindestens 1x die Woche der Stammtisch oder die AG Wahlkampf.
Das ganze Programm lässt sich natürlich nur mit einem großen und motivierten Wahlkampfteam bewerkstelligen. Und das Schöne ist: Unser Team wird immer größer. Wir sind derzeit 16 Piraten die sich, je nachdem wie es der Beruf zulässt, aktiv in den Wahlkampf einbringen.
Flaschenpost: Hoffen wir auf viele Stimmen! Plant ihr eine Wahlparty?
Wolfgang: Wir planen diesen Samstag 28.01.2012 schon eine kleine Wahlparty, auf der wir das Erreichen der 180 Unterschriften feiern. Eine Wahlparty wäre sehr cool, allerdings möchte ich am Ende nicht zu Dritt dort sitzen, trostlos ein Sektglas halten und für die Miete eines Raumes aufkommen müssen, der dann letztendlich nicht genutzt wird. Wir machen das abhängig von dem Zulauf, den wir diesen Samstag haben werden.
Eric: Das hatten wir gleich zu Beginn beschlossen. Egal wie gut oder wie schlecht die Vorbereitungszeit und die Wahl verläuft – wir feiern eine Wahlparty und bedanken und bei allen Wählern und Unterstützern. Voraussichtlich findet die Wahlparty am Wahlabend in einer Kneipe in Landsberg statt. Die Detailplanung hierzu steht aber noch aus.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.