Wir Piraten wollen sein wie die Großen – nur eben anders. Wie andere Parteien auch veranstalteten die bayrischen Piraten einen politischen Aschermittwoch. Doch anders als bei CDU und Konsorten wurden im Stadttheater in Ingolstadt schwarze T-Shirts getragen. Auch wenn es sich einige Abweichler nicht nehmen ließen, Lederhosen, Seeräuberkostüme oder Cowboyhüte zu tragen. Die Presse hatte vier Kamerateams und einen Hörfunkjournalisten geschickt. Die kleinste Kamera stand unbemerkt auf einer Empore und streamte die Reden ins Netz. So konnten sich nicht nur die 220 anwesenden Piraten auf die Schenkel klopfen. Die Videos sind aus einem zweiten Grund sehenswert: die Ansagerin ist den Lesern der Flaschenpost durchaus bekannt. Es ist Manele, die bis vor kurzem jede Woche hier ein vegetarisches Rezept nach Piratenart schrieb.
Beliebter Mittelpunkt des Spotts war der ausgeschiedene und der kommende Bundespräsident. Joachim Gauck, der Gaukler. Der zuerst den Bürgerrechtler vorgaugelte, dann der Stasi die Staatstreue. Der jetzt per Einheitsliste ins Amt gehievt wird. Der neue Wulff im Staatspelz also. Kein Wunder, dass im Saal Rufe nach einem dezentralen Bundespräsidenten laut wurden.
Auch der aus dem Amt geschiedene Christian Wulff wurde verbal zerrissen. Die Niedersachsen, sturmfest und erdverwachsen. Der Ja-Sager, der als Christ zwar Katholiken und Moslems kennt, Atheisten aber ignoriert. Doch auch sie gehören inzwischen zu Deutschland. Der Wulff, der im Interview für sich Privatsphäre einfordert, aber als Präsident zum Bundestrojaner schwieg.
Die Bahn bezog ebenfalls Prügel, und das gleich in drei Reden. Die Kosten mehrerer Bauruinen rechnete der Redner genüsslich gegen die Gelder, die im Bildungsbereich fehlen. Es sei eben jene Bildung, die dem Fahrer vorne in der Lok fehle um am Fahrplan erkennen zu können, ob er denn nun in Wolfsburg halten soll oder nicht. Die Verspätungen wurden aufgerechnet – schade nur, dass viele diese frühe Rede verpassten weil ihr Zug Verspätung hatte. Später wurde erneut klar gestellt, dass die genannten Beträge die Baukosten der Ruinen sein, nicht die neuen Fahrpreise. Der Mann von der Bahn wusste mehr aus Berlin zu berichten. Nämlich, dass in den Reisepass zukünftig zwei Fingerabdrücke gehören – für die Männer im Sägewerk wird es eng! In Berlin solle es künftig auch halbprivate Gefängnisse geben. Wird man verknackt, liegen vorne schon die Prospekte aus. Und dass Frau Merkel Pate eines ausgestopfen Seeadlers wurde. Genüsslich ließ er im Kopf der Anwesenden ein Bild entstehen: wie die Patin den Seeadler vertritt, wenn der mal abgestaubt werden muss. Schwarzhumorig wurde das Thema “Sonderabgabe für Kinderlose weil das schlecht für die Gesellschaft sei” weiter gesponnen. Wann kommt die Sonderabgabe für über 67-jährige? Oder die Seniorenklappe am Friedhof?
Lustiger wurde es wieder, als Karl der Große durch den Kakao gezogen wurde. Unser geliebter Dr. a.D., der wie Wulff und Sauerland schon die Rentenbezüge vor sich sah und dem sie dann doch davon schwammen – etwas Richtiges haben ja alle nicht gelernt. Dafür hätten sie Beamte, die nichts können aber alles dürfen. Diese Kreuzritter der Märkte, im Kampf für Raum im Nahen Osten. Die man wegen ihrer “3 – 2 – 1 – meins” Mentalität überall hin schickt, wo es etwas zu holen gibt.
Drei weitere CSU-Mitglieder wurden mit Aufmerksamkeit beacht: IM Friedrich, IM Herrmann und VM Aigner. Immerhin gestand man ihnen, zu verstanden zu haben, wozu das Internet genutzt werden kann: Facebook-Accounts löschen. Oder die gruselige Geschichte vom Internet am Lagerfeuer zu erzählen. Oder wenn der Bayerntrojaner dank des Internetausbaus im Freistaat in 10 Minuten vom Schreibtisch des Innenministers, also näher am Bürger, auf seinem PC installiert werden kann.
In Bayern läuft 2014 die Pacht der CSU ab. Deswegen kämpft Seehofer auch so vehement gegen die Rente mit 67 – wird die CSU doch bald 67 und will sich nicht in Rente schicken lassen. Ihr Modell der 3D-Demokratie klingt so modern wie BTX und Bildtelefon. Die von der CSU so oft beteuerte Weitsicht ist nichts anderes als Altersweitsichtigkeit! Doch gibt es ein Ausstiegszenario aus der CSU-Herrschaft. Denn die CSU hat immer weniger Netto vom Brutto. Immer weniger Wähler von den Bürgern. Die Unterstützung bröckelt ihr hinten wie vorne Weg. Hinten, weil die Lebenserwartung gar nicht so schnell steigen kann wie… Und vorne, weil die Jungen heute gebildeter sind als früher und genau überlegen, wo sie ihr Kreuz machen. Und wenn die Staatskanzlei heute piratige Themen als die ihren präsentiert, bedeutet das doch “Bildung nur für Bezahler, Tranzparenz nur für den Trojaner und Mitbestimmung nur für den Ministerpräsidenten”.
Ein erzählter Blondinenwitz blieb unvollendet: “Bleibt eine Blondine mit ihrem Auto im Schnee stecken …” Der Spott traf jedoch Hubert Aiwanger, den Chef der Freien Wähler, der sich als Possenreisser auf Twitter lächerlich machte. Die Freien Wähler sind, nach Beobachtung von Außen, noch konservativer als die CSU, aber Teil einer großen Koalition zusammen mit Rot-Grün gegen die CSU.
Schlecht weg kam auch Frau Merkel, die erst nach dem Beben in Japan verstand, wie gefährlich die Atomernergie ist. Doch wurde auch gefragt, was noch in die Luft fliegen muss, bevor Hartz IV, eine gefälschte Arbeitslosenstatistik, das von korrupten alten Sacken regierte Finanzsystem, geändert wird. Und damit das ewige Versprechen auf bessere Zeiten, in denen es Vollbeschäftigung und höhere Lohne geben wird eingelöst wird.
Gelobt wurden dagegen die Grünen mit den drei Säulen ihres Programms: Umwelt, Umwelt und Umwelt. Vielleicht werden sie deswegen von den Medien so oft in die Nähe der Piraten gesetzt? Wie wäre wohl die Menschheit geworden, wenn die Grünen schon in der Steinzeit den Ausstieg aus der Feuertechnologie gefordert hätten?
Wie weit Anspruch und Wirklich in der Berliner Politk auseinander gehen wurde gezeigt, als bei jeder Nennung des Wortes “Realpolitik” ein Schluck aus dem bereit stehenden Bierglas genommen wurde. Dass mit der Politik nicht zu scherzen ist, fällt offensichtlich dann auf, wenn der Bürger merkt, dass das alles ernst gemeint war.
Mitleidige Worte gab es für die nahezu insolvente FDP, die allgemeine Marktmechanismen so klar wie keine andere Partei verstanden hat. Vorne steckt man Geld rein, hinten kommen Gesetze raus. Wir Piraten klatschen die Hand vor das eigene Gesicht. Unser Stil ist eigen, aber der Erfolg gibt uns recht. Kopierversuche schlagen fehl und werden trotzdem ausgedruckt. Sind anschließend aber nicht mehr erkennbar. Die Rebellion gegen die Macht hat begonnen. Wir können nicht verlieren. Und wenn doch – hatten wir wenigstens Spaß dabei! Wie auch immer: da die Politik nicht zu uns kam, kommen wir jetzt zur Politik. Beispielsweise beim Protest gegen ACTA und den anderen Ausgeburten der intransparenten Gesetzgebung. Ein zahnloses Parlament, das die Räte und die Kommisionen gewähren lassen muss. Und während der Fischerei und Landwirtschaftsrat fachfremde Gesetze durchwinkt werden die Meere leer gefischt.
Der Politische Aschermittwoch endete am Nachmittag, die piratige Aftermittwochparty ging bis in die Nacht. Freuen wir uns auf 2013. Der neue Bundespräsident wird bis dahin den einen oder anderen Fauxpaus begangen haben. Und mit etwas Glück geben die Landtagswahlen im Saarland, Schleswig-Holstein und Niedersachsen Themen zum Lästern her.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.