Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen steht an. Auf dem Landesparteitag in Münster am 24. und 25 März wurde dementsprechend die Landesliste der Piratenpartei NRW aufgestellt. Auf den ersten fünf Plätzen landeten Dr. Joachim Paul, Lukas Lamla, Marc Olejak, Michelle Marsching und Simone Brand. Ein Spitzenquartett sollte es sein, aber nach der Wahl einigten sich die gewählten Piraten spontan darauf, mit einem “fünfköpfigen Quartett” in den Wahlkampf einzutreten, was bei der Presse kurzfristig für Verwirrung sorgte. Aber mit der Begründung, die zu erwartenden, übervollen Terminkalender abarbeiten zu können, und der Tatsache, mit Simone eine Frau an Bord zu haben, konnten die stutzenden Journalisten über die piratige Maßnahme schnell aufgeklärt werden.
Im Anschluss an den Landesparteitag wurde insbesondere Joachim mit Interviewanfragen überschüttet, bei denen er teilweise falsch zitiert wurde. Hierbei ging es unter anderem auch um pikante Themen wie die Frage nach möglichen Koalitionen, um Diäten und die Schnittstelle zwischen Fraktion und Basis.
Mit diesem Interview möchten wir den Listenkandidaten die Möglichkeit geben, Ihre Ansichten zu kontrovers diskutierten Themen ungekürzt und ohne Wertung seitens der Redaktion zu publizieren. Heute im Interview: Joachim (Listenplatz 1) und Simone (Listenplatz 5).
Flaschenpost: Je nach Wahlergebnis könnten die Piraten zu Koalitionsverhandlungen eingeladen werden. Wie stehst du zum Thema Koalitionen und wie bereitest du dich auf diese Situation vor?
Joachim: Wenn es wirklich zu Koalitionsverhandlungen kommen sollte, was für die Piratenpartei viel zu früh wäre, wäre ich dafür, einen Sonderparteitag einzuberufen und die Basis zu fragen.
Simone: Mir ist es bei einem Einzug in den Landtag zunächst erst einmal wichtig, dass wir unsere Themen und Anliegen in Reinform platzieren. Koalitionsverhandlungen zu Beginn unserer landespolitischen Arbeit würden direkt zu Kompromissen und Verbiegungen im Programm führen. Daher lehne ich Koalitionsverhandlungen in dieser ersten Legislaturperiode ab. Ich kann mir vorstellen, dass wir themenabhängig eine Minderheitsregierung unterstützen würden.
Flaschenpost: Das Thema Transparenz wurde von Seiten einiger Piraten relativiert. So könnte man davon ausgehen, dass z. B. Koalitionsverhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden würden. Wie stehst du zur relativen Transparenz?
Joachim: Momentan ist sehr vieles intransparent. Man sollte es mit der Transparenz nicht übertreiben: zum Beispiel, wenn man von der anderen Seite um ein vertrauliches Gespräch gebeten wird. Wichtig ist, dass vor einer Entscheidung der Meinungsbildungsprozess und die Begründung für die Entscheidung offen gelegt werden.
Simone: Da ich Koalitionsverhandlungen ablehne, brauche ich mir auch keine Gedanken über die Öffentlichkeit dieser zu machen. Vertraulichkeit muss bei Personalentscheidungen gegeben sein und auch ein vertrauliches Gespräch zwischen zwei Personen sollte möglich sein. Wenn daraus politische Entscheidungen resultieren, so ist der Entscheidungsprozess im Nachhinein offenzulegen.
Flaschenpost: Wie stellst du dir die praktische Fraktionsarbeit vor und wo siehst du die Schnittstellen zur Basis im Meinungsfindungsprozess?
Joachim: Die praktische Fraktionsarbeit sollte möglichst offen und für die Basis nachvollziehbar stattfinden, im Stab der Fraktion sollten zwei bis drei Mitarbeiter die Kommunikation mit der Basis – als intelligente Schnittstelle – organisieren.
Simone: Regelmäßige Life-Treffen der Fraktion, zunächst die Bewältigung von sehr, sehr vielen Informationen (Gesetzestexte, Verordnungen etc.), Lernen, Organisieren, Partizipieren, … Sobald wir ein geeignetes Tool haben, müssen wir einen beständigen Liquid-Democracy-Prozess anstoßen. Bis dahin bleiben die Mailingliste, Umfragetools und so viele Life-Treffen mit der Basis wie nur irgend möglich (TdpA, Stammtische und Parteitage).
Flaschenpost: Neben der Fraktionsarbeit warten auf die Piratenpartei noch etliche andere Aufgaben, die abgearbeitet werden müssen. Prozesse wie Mitgliederverwaltung, Liquid-Feedback-Accounts, Mitgliedsausweise, Antragsabarbeitung, Koordination von programmatischer Arbeit, Piratenportal, Virtuelle Geschäftsstellen sollten optimiert werden. Was würdest du als Landtagsabgeordneter anstoßen und wie würdest du das machen?
Joachim: Das sind Aufgaben des Vorstandes, die ich aber unterstützend begleiten würde.
Simone: Warum soll ich als Landtagsabgeordneter da etwas anstoßen, vieles ist bereits auf dem Weg oder wird bereits durchgeführt. Wenn wir in den Landtag einziehen sollten, kommt auf uns jede Menge Arbeit zu. Ich denke jeder von uns hat den Anspruch, sich bis ins letzte zu informieren, bevor er über etwas abstimmt. Wir werden uns durch Gesetzestexte, Beschlüsse und Anträge wühlen müssen. Die angesprochenen Aufgaben sehe ich bei uns klar im Vorstand und bei jedem engagierten anderen Piraten angesiedelt, nicht jedoch bei den Leuten, die im Landtag sitzen.
Flaschenpost: Bist du der Meinung, dass bestimmte Ämter in der Partei bezahlt werden sollten? Welche Ämter wären dass, woran sollten sich die Gehälter bemessen und wie könnten diese finanziert werden?
Joachim: Das muss mit der Basis eingehend diskutiert werden, entscheidend ist die demokratische Balance zwischen Basis, Vorstand und Fraktion.
Simone: Solange wir finanziell eine 2% -Partei sind, können wir uns höchstens Gedanken über eine 400-Euro-Kraft machen, die den Vorstand bei Verwaltungsaufgaben unterstützt.”
Flaschenpost: Auf den Mailinglisten wurde das Thema Diätenerhöhung diskutiert. Wie stehst du dazu?
Joachim: Bei der planmäßigen Anpassung an den Preisspiegel können wir nichts machen. Ich bin aber gegen eine außerplanmäßige Diätenerhöhung.
Simone: Wir sollten mindestens die nächsten drei Runden geplanter Erhöhungen überspringen.
Flaschenpost: Wenn die Piratenpartei in den Landtag in NRW einziehen sollte, welche Erwartungen hast du an die tägliche Arbeit im Landtag und welche Schwerpunkte möchtest du dort persönlich setzen?
Joachim: Ich erwarte einen 24-Stunden-Tag, meine Schwerpunkte sind nach wie vor die Themen Bildung, Forschung und Medienpolitik. Für diese drei Bereiche würde ich mich in den entsprechenden Auschüssen einbringen wollen.
Simone: Mein Schwerpunkt wird der Verbraucherschutz sein. Es wird sicher sehr viel Einlese-Arbeit in trockene Gesetzestexte und lange Ausschusssitzungen geben, jedoch hoffe ich, dass wir insgesamt etwas bewegen können in der Art der politischen Entscheidungsfindung und im Miteinander der Parteien im Landtag.
Flaschenpost: Möchtest du sonst noch etwas loswerden?
Joachim: Wir Piraten sind möglicherweise der letzte Rettungsschirm für unsere Demokratie.
Simone: Nein!