Als vor einiger Zeit versehentlich ein Argumentationsleitfaden der SPD mit dem Inhalt, wie man am besten in der Urheberrechtsdiskussion mit der Piratenpartei umgehen solle an die Öffentlichkeit gelangte, folgte umgehend Schadensbegrenzung: es handele sich um ein Arbeitspapier, um inoffizielle Einzelmeinungen, und entsprechend niedrig solle das Thema aufgehängt werden. Auf das Problem der irrelevanten Einzelmeinungen hat die SPD sicherlich kein Monopol, weshalb im Folgenden angeführten Argumentationslinien des Papiers nur dahingehend analysiert werden, um sinnvolle Vorgehensweisen beim Verfassen und Nutzen von Argumentationshilfen zu finden. Diese sind jenseits von Wahlkampfgetöse durchaus sinnvoll und nützlich.
Die Motive hinter den im SPD-Arguliner vorgebrachten Argumente sind in diesem Kontext kaum relevant. Zentraler Punkt der Angelegenheit ist, dass sie grundsätzlich größtenteils unzutreffend sind. Im Wahlkampf mag dies eine vergleichsweise verbreitete rhetorische Vorgehensweise sein. Je nach der eigenen Zielsetzung und Motivlage kann sie kontraproduktiv wirken, selbst bei vordergründig erfolgreicher Anwendung. Denn im Ergebnis wird auf dieser Grundlage ein Diskurs geführt, der von vorne herein auf beiden Seiten verhindert, dass man hinterher klüger ist. Dem Argumentierenden geht es nicht darum, zu informieren, denn seine Informationen sind falsch. Analog ist der Gegenüber anschließend nicht informiert(er), sondern allenfalls als Wähler gewonnen. Zugespitzt: diese Strategie verstärkt Desinformation und erzielt auf dieser Basis Wahlergebnisse.
Für eine Partei, die einerseits Information und ihre möglichst allgemeine Verfügbarkeit sowie Partizipation und eine möglichst breite Ermöglichung auf ihre Fahnen geschrieben hat, ist eine solche Strategie demnach ungeeignet. Die Frage ist, was aus der SPD-Argumentationshilfe zu lernen wäre, was anders und besser zu machen ist.
Nun wollen Piraten informieren einerseits und eine auf Fakten basierende Politik betreiben andererseits. Ein Argument wie “Ohne Urheberrecht hätten wir den Plagiator Guttenberg immer noch als Minister”, kann vergleichsweise einfach auf direkter Faktenbasis widerlegt werden: Guttenberg stolperte nicht über seinen Urheberrechtsverstoß, sondern über seinen Betrug. Eine Universität erkennt Doktortitel nicht wegen Copy-Paste ab, sondern wegen nicht geleisteter eigener wissenschaftlicher Arbeit und Täuschung. An dieser Stelle hört die inhaltliche Debatte an sich bereits auf, ist das Ende der inhaltlichen “Lernmöglichkeiten” erreicht.
Eine Behauptung wie “Piraten fordern ein Leben, das nichts kostet, sei es mit ihren Forderungen nach bedingungslosem Grundeinkommen, freie Fahrten mit dem ÖPNV oder eben dem kostenlosen Runterladen aller Daten” ist schwieriger zu entkräften bzw. mit den tatsächlichen Fakten zu konkretisieren. Entsprechend sind klare, verständliche Gegenargumente vonnöten: es kann als bekannt vorausgesetzt werden, dass letztendlich alles Kosten verursacht und entsprechend finanziert oder zumindest ermöglicht werden muss. Weiter existieren genügend Dinge bzw. Leistungen, die vollkommen selbstverständlich ohne unmittelbare Bepreisung zur Verfügung gestellt werden: von ARD und Sat1 über Straßen und Krankenhäuser bis hin zur Atommüllendlagerung werden vom Staat Aufgaben ohne direkte Bezahlung der Nutzer zur Verfügung gestellt. Daran anschließen kann nun die Konkretisierung, dass die Piraten nicht etwa ein “Leben, das nichts kostet” fordern, sondern ein Basisniveau an gesellschaftlicher Teilhabe, das allen zur Verfügung stehen muss. Dazu gehört die grundsätzliche Sicherung der Existenz, ein Grundmaß an Mobilität und der Zugang zu Information und Medien: notwendige Ressourcen, die niemandem sinnvollerweise vorzuenthalten sind.
Hier kann sich eine deutlich nützlichere Diskussion als im Guttenberg-Beispiel anschließen, denn grundsätzliche Fragen sind hier noch weit vom gesellschaftlichen Konsens entfernt. Welches sind die Basisleistungen, die ein Staat seinen Bürgern grundsätzlich und ohne direktes Entgelt zur Verfügung stellen soll? Gehören hierher neben Straßennetz und TV-Informationsgrundversorgung in der heutigen Zeit auch Netz und Mobilität? Welche werden bereits zur Verfügung gestellt, nur über andere “Sozialstaatskanäle”? Wie kann eine Distribution dieser Basisleistungen möglichst einfach und effizient vonstatten gehen? Bei dieser Thematik muss man weder auf die gleichen Ergebnisse wie die Piraten kommen noch bei ihnen stehen bleiben. Eine gesamtgesellschaftliche, konstruktive Debatte ist jedoch sicher erstrebenswert, da auf diesem Feld noch viel Grundsätzliches und viele Fragen der Umsetzung zu klären sind. Insbesondere muss auch ein breiter, auf Information und nicht auf unüberlegter Überzeugung basierender Konsens hergestellt werden. Aus diesen Gründen sollten sich Piraten nicht auf reine “Überzeugungsstrategien” ohne Rücksicht auf Lernpotential und Korrektheit beschränken, wie im Beispiel-Arguliner geschehen.
Fazitversuch:
Auch wenn der tägliche Polittalk gelegentlich daran zweifeln lässt: Diskussionshilfen und Arguliner sind enorm hilfreiche Instrumente. Auch die Piraten setzen diese oder ähnliche Materialien regelmäßig ein. Zumindest von Piraten sollten sie jedoch auf eine Weise erstellt werden, die das Lernen und den Zugewinn an Wissen in Diskussionen für alle Diskutanten ermöglicht. Dazu sind verständliche Erklärungen eigener Standpunkte wichtig, ebenso jedoch das Offenhalten der Möglichkeiten, Gegenstandpunkte und ihre Begründungen zu erfahren. Lernprozesse sind leicht dadurch sabotierbar, wenn sich ausschließlich auf das gewinnende Argument konzentriert wird. Noch zuverlässiger treten kontraproduktive Effekte ein, wenn geglaubt wird, gegnerische Positionen schon durchgehend zu kennen. Am unproduktivsten werden Diskussionen dann, wenn sie dabei auch noch falsch verstanden wurden.