Als Neupirat sehe ich mich berufen hier an dieser Stelle mal etwas klar zu stellen: Ich habe keine Probleme mit Altpiraten. Im Gegenteil, ich wurde herzlich in diversen AGs und in meinem Kreisverband aufgenommen. Vorurteilsfrei wurden meine Vorschläge angehört und überdacht, kommentiert und kritisiert. Ich möchte versuchen einen Mythos auszuräumen. Dieser Mythos ist die Annahme, dass es einen breiten Konflikt zwischen Alt- und Neupiraten gibt. Wenn es Probleme und Unstimmigkeiten gab, die in persönlich wertende Aussagen mündeten, so wurden diese weitestgehend von einer besonderen Kategorie Pirat verursacht und angeheizt. Meistens mündeten diese “Schlachten” dann in Aussagen wie: “Also wenn meine Thesen und Argumente hier keine kritiklose Zustimmung erfahren, dann ist die Piratenpartei wohl nicht so tolerant wie ich dachte. Schämt euch!”. Oder auch: “Also ich glaube nicht, dass die Piraten hier so eine Haltung tolerieren, da bist du in der falschen Partei!”
Interessanterweise scheinen einige hoch motivierte Neupiraten zu glauben, dass sie in der Piratenpartei einen Hort der unkontrollierten, unreflektierten Übertoleranz gefunden haben, der einzig dazu da ist, alle noch so kruden Positionen kritiklos aufzunehmen und hoch zu preisen. Manchmal habe ich das Gefühl, man erwarte sogar eine Art jauchzende Dankbarkeit ob der Weisheit die uns durch die entsprechende Person zu Teil wird und der wir gefälligst uneingeschränkt zu huldigen haben. Wird diese Erwartung nicht erfüllt, so wird fleißig betroffen oder wütend reagiert. Totschlagargumente und Beleidigungen werden aus dem Keller der Verzweiflung geholt und wild an alle verteilt, ob nun Altpirat oder nicht. Wen wundert es da, dass der geneigte Altpirat manchmal ungehalten reagiert. Wie würde ich reagieren, wenn ich zum tausendsten Mal erklären muss, dass diese oder jene Art und Weise der Debatte nicht erwünscht ist und jeder sich an Spielregeln halten muss? Ich bin erst seit Anfang diesen Jahres aktiv dabei und selbst in dieser kurzen Zeit entdecke ich diese Muster in der Kommunikation. Ich bin auch müde von den sich immer wiederholenden Debatten, habe ich doch gar keine Verantwortung als Admin oder Koordinator. Ich kann mir dennoch sehr gut vorstellen wie nervenaufreibend diese Arbeit für alle intensiv eingebundenen Piraten ist.
Ein weiterer Punkt ist die mangelnde Bereitschaft dieser Neuen zu aktiver Arbeit entgegen einer schier unendlichen Ausdauer zu ausgiebiger Kritik und dem ständigen Mantra:
“Diese Debatte ist ein Nebenkriegsschauplatz, es lohnt sich nicht, sich damit auseinander zu setzen. Wir sollten unsere Energie lieber in die Rettung der Welt investieren! Ich habe da genau das richtige Rezept, aber auf mich hört ja keiner.” – “Dann mach doch einen Antrag dazu, wenn du glaubst dass deine Maßnahmen Erfolg haben und du eine breite Zustimmung bekommst.” – “…….” – “Übrigens, wir haben zu diesem Thema schon eine Initiative, bei der du gerne deine Ideen einbringen kannst oder eine Gegenposition zu der bestehenden Position formulieren kannst.” – “………” – “Hallo? Noch da?”
Zwangsläufig werden diese Neupiraten ab einer gewissen Zeit die ins Land streicht naturgemäß zu Altpiraten. Was dazu führt, dass diese Kategorie Pirat sich dazu aufschwingt eine Arroganz zu entwickeln, die sich nur aus dieser zeitlichen Entwicklung speist, nicht aber die Konsequenz eigener Erfahrungen anhand der vielen Initiativen die man selbst angeschoben, verteidigt, ausgearbeitet oder eingebracht hat ist. Diese Kategorie Pirat begnügt sich mit der Erfahrung als ewiger Kritiker und Verhinderer. Aber warum ist das so? Ich glaube, dass diese Menschen eine Heidenangst vor Misserfolg haben. Denn wenn ich selbst hinter einer Initiative stehe, einen Antrag schreibe und dieser scheitert, dann habe ich ein Misserfolgserlebnis welches mein Ego erschüttert. Aber anstatt dieses Risiko in Kauf zu nehmen und die Energie zu etwas Konstruktivem zu nutzen, suhlen sie sich in der eigenen proklamierten Unfehlbarkeit.
Damit kommen wir zu dem eigentlichen Dilemma. Denn wenn jetzt ein “anständiger” Neupirat auf einen “unanständigen” Altpiraten trifft, so prallen Welten aufeinander und eine unschöne Auseinandersetzung ist vorprogrammiert. Dabei ist es gar nicht das Problem Altpirat vs. Neupirat sondern Schaumschläger gegen Macher. Was bei dieser Debatte leider viel zu oft hinten runter fällt, ist die Tatsache, dass wir auf aktive und produktive Neupiraten angewiesen sind. Nur indem wir die Altpiraten entlasten und die unbeständig wachsenden Aufgaben verteilen, können wir als Partei unbeschadet wachsen und tatsächlich unsere Wahlversprechen halten. Stößt man als Neupirat in seiner Einführungsphase jedoch auf eine präsente Gruppe schaumschlagender Altpiraten, so ist man vielleicht abgeschreckt und kehrt seinem geplantem Engagement den Rücken. Dieser Effekt ist ein schmerzhafter Verlust und das wissen die machenden Altpiraten sehr genau. Aber da es neben den produktiven Neupiraten eben auch die Schwätzer gibt, ist es selbsterklärend, dass man skeptisch und kritisch ist, wenn sich jemand zu einer flammenden Rede aufschwingt und die Rettung der Welt proklamiert. Denn wenn man als Neupirat die Einführung und die konstruktiven Ratschläge eines erfahrenen freundlichen Altpiraten annimmt, darauf aufbaut und sich einbringt, so gibt es keine Probleme und alle sind glücklich. Leider bleiben diese von allen Seiten wohlwollend aufgenommenen Entwicklungen, weil unspektakulär, in der öffentlichen Wahrnehmung unberücksichtigt.