Hatte nicht einst Frau Merkel mit ihrer Forderung „schnelles Internet für alle“ sich persönlich für den Fortschritt in Deutschland stark gemacht? Die somit ausgerufene und von allen Bundesländern eifrig angestrebte digitale Revolution hat sich doch wie ein Lauffeuer im ganzen Land verbreitet, oder? Preise werden von Umweltbehörden ausgelobt für das papierlose Büro. Ganz Deutschland twittert, chattet und nutzt die modernen Kommunikations- und Arbeitsmittel.
Ganz Deutschland? Nein, ein von unbeugsamen Parlamentariern bevölkertes nicht ganz so kleines Dorf hoch im Norden hört nicht auf, den digitalen Eindringlingen Widerstand zu leisten. Was andernorts in Deutschland unumstrittenes Arbeitsmittel ist, generiert im schönen Schleswig-Holstein zum Zankapfel mit geradezu grotesken Auswirkungen.
Derzeit verunsichern uns Nachrichten aus dem Kieler Landtag, wo mehr oder weniger sachbezogen um die Verwendung von Lärm emittierenden Arbeitsgeräten gestritten wird. Ein Thema, was man zunächst ins Sommerloch stecken möchte und nicht bei einem Gremium erwartet, dass sich um die Zukunft eines Bundeslandes Gedanken machen muss.
So waren die Piraten in den letzten Tagen mit lauten Lüftern der Laptops und klappernden Tastaturen aufgefallen. Oder zumindest haben sich andere Parlamentarier über die Geräusche dieser Geräte aufgeregt. Auf einmal waren die modernen Arbeitsmittel der Piraten, die Computer mit ihren großen Bildschirmen, verpönt. Die Aufregung kann man teilweise sogar nachvollziehen, da Lärm stört, die persönliche Empfindlichkeitsschwelle sehr unterschiedlich ist und Lärm krank machen kann.
Wenn wir nun davon ausgehen, dass die geäußerte Kritik ernst gemeint und nicht vorgeschoben ist, weil man Notebooks per se für unangemessen hält, dann muss eine Solidargemeinschaft Rücksicht auf die schwächsten Glieder in der Kette nehmen.
Woher bekommt man Referenzwerte, welcher Lärm nun krank macht und welcher nicht? Sucht man dazu Publikationen, wird man im weiten Feld der Arbeitssicherheit fündig. Postuliert man außerdem, dass Parlamentarier den Arbeitnehmern gleichgestellt sind, sie sich in Empfindlichkeiten und Befindlichkeiten also ähnlich verhalten, wie Arbeitnehmer, sie im Parlament vergleichbare Arbeitsbedingungen etwa zu einem Großraumbüro haben, dann erfahren wir bei den Berufsgenossenschaften Folgendes:
„Bei überwiegend geistigen Tätigkeiten ist am Arbeitsplatz ein Beurteilungspegel von höchstens 55 dB einzuhalten.“ Berufsgenossenschaftliche Information 650 (BGI 650) Damit ist die Sache klar. Ist der Wert unterschritten, besteht kein Handlungsbedarf. Wird dieser Wert im Plenarsaal überschritten, dann sind Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Die Reihenfolge der Schutzmaßnahmen von lärmexponierten Personen ist ebenfalls eindeutig geregelt. Zuerst werden technische Maßnahmen ergriffen. Das kann die Verwendung anderer, leiserer Geräte sein. Moderne Arbeitsgeräte sollten diese Anforderungen locker erreichen. Ist dies nicht möglich (weil man etwa keine Direktive bei individuell verwendeten Arbeitsmitteln hat), verbleibt für die Lärmbetroffenen nur das Tragen persönlicher Schutzausrüstung. Hier bieten sich neben Kopfhörern frequenzselektive Ohrstöpsel an (Otoplastik).
Selbst wenn es für in alten Denkmustern festgefahrene Politiker unangenehm sein mag: Es macht manchmal Sinn, sich an die Gesetze und die nachrangigen Rechtsnormen der BRD zu halten. Zumal wenn man sie selber verabschiedet, oder an ihrer Entstehung und Verbesserung mitgearbeitet hat. Millionenfach genutzte Arbeitsmittel ohne Datenlage einfach zu verbieten, ist der falsche Weg. Auch im Kieler Landtag.
Für die ganz Unerschütterlichen, die der Meinung sind, dass dieser Rechtsbereich für Parlamentarier und die ehrwürdigen Landtagshallen nicht mal analog anzuwenden ist. Für diejenigen die denken, dass natürlich eine solche schwere Arbeit ganz anders und mit dem Büro nicht vergleichbar ist. Für die, die die Auffassung vertreten, dass sich die Piraten im Kieler Landtag wie eine Schar zickiger Kinder aufführen (Zugegeben, die Retourkutsche mit den Schreibmaschinen war nicht gerade erwachsen – hat aber Spaß gemacht), für die sei hier nochmal ganz deutlich erinnert, dass bereits der BGH geurteilt hat, dass Kinderlärm zumutbar ist.
Es wäre wünschenswert, wenn man im Landtag aufhören würde, mit dem Fuß aufzustampfen und zu rufen „kannst du nicht“ während die anderen rufen „kann ich doch.“ Denn die Zukunft dieses Landes ist zu wichtig, als dass man nicht jeden seine Arbeit mit den Instrumenten machen lässt, mit denen er die beste Leistung erzielt.