Die Piratenpartei fordert in ihrem Grundsatzprogramm eine möglichst breite Beteiligung der Bürger an der Gestaltung politischer Meinungsbildungsprozesse und an der Kontrolle von gesellschaftsrelevanten Vorgängen. Bedingung für diese Beteiligung möglichst vieler Menschen ist deren Einblick in die Arbeit von Verwaltung und Politik auf allen Ebenen der staatlichen Ordnung. Das momentan noch übergreifend gehandhabte „Prinzip der Geheimhaltung“ soll entsprechend zugunsten eines „Prinzips der Öffentlichkeit“ verändert werden. Die Forderung nach einer „Transparenz des Staatswesens“ wurde demnach schon sehr deutlich umschrieben.
Doch wie steht es mit der innerparteilichen Transparenz?
Vorstands- und Fraktionssitzungen enthalten nicht-öffentliche Teile, teilweise werden Pressemitteilungen in „geheimen“ Pads erarbeitet, manchmal werden sogar Teilnehmer aus Mumblesitzungen ausgeschlossen oder auf Mailinglisten gesperrt.
Höhepunkt dieser Reihe von intransparenten Handlungen war unlängst eine nicht-öffentliche Sitzung der Piratenfraktion NRW, in welcher ein Antrag zum Nichtraucherschutzgesetz in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abgestimmt wurde und als Ergebnis nur unwesentlich das Parteiprogramm der NRW-Piraten wiedergespiegelt hatte.
Viele Piraten sehen daher die Notwendigkeit, den innerparteilichen Transparenzbegriff allgemeingültig zu definieren. Einige bekannte Piraten haben genau das auch bereits versucht.
So wurde der derzeitige Bundesvorsitzende Bernd Schlömer in einem Interview mit Zeit Online gefragt, ob die Vorstellungen von Transparenz in der praktischen Politik nicht häufig an Grenzen stoßen und die Berliner Fraktion inzwischen gern hinter verschlossenen Türen tage. Bernd Schlömer antwortete, dass vollkommene Informations- und Verhaltenstransparenz nicht realistisch und wünschenswert sei und es totale Transparenz nicht gäbe. Es gäbe einen Kernbereich von Handlungen und Verhalten, bei dem es gut sei, wenn dieser intransparent bliebe, beispielsweise der Austausch über Planungen und Vorhaben, die die Parteientwicklung betreffen. Positionsfindung und Mitteilung von Empfindungen könne man durchaus intransparent halten. Schlömer geht noch einen Schritt weiter: Es gebe in der Politik einen Bereich, in dem vertrauliche Gespräche geschützt werden müssten. Das sei nötig, um den Parlamentsbetrieb zu schützen. „Würden wir eine vollkommene Informationstransparenz herstellen, würden unsere politischen, Moral- und Rechtssysteme zusammenbrechen.“
Rüttelt Schlömer mit diesen Aussagen am piratigen Politikstil, dem neuen Betriebssystem, welcher die Piraten maßgeblich in den Berliner Senat und in die Landtage von Schleswig-Holstein, dem Saarland und NRW katapultiert hat? Er ist doch als Verfechter von Liquid Democracy bekannt, was seiner Ansicht nach zu besseren Ergebnissen in der politischen Meinungsbildung führe. Im dicken Engel nahm er dazu ausführlich Stellung.
Dr. Joachim Paul, der Fraktionsvorsitzende der Piratenfraktion NRW scheint gegenüber der Münsterlandzeitung in die gleiche Kerbe zu schlagen: „Totale Transparenz ist totalitär.“ Paul erläutert: „Ich finde den Begriff ein bisschen übertrieben, aber er geht schon in die richtige Richtung. Das hat aber auch damit zu tun, dass die Politik, wie wir sie kennen, das andere Extrem gelebt hat. Und jetzt schlägt das Pendel zur entgegengesetzten Seite aus. Wir wollen alles wissen. Um es auf eine einfache Formel zu bringen: Ich bin für Intransparenz der Person auch im politischen Raum, wenn man vertrauliche Gespräche führt, aber Transparenz der Prozesse, die zu Entscheidungen führen, die Bürger betreffen.
Christopher Lauer veranschaulicht den Transparenzbegriff in einem Interview mit Spiegel Online: „Wir als Piratenpartei haben in vielen Fällen noch nicht klar definiert, was Transparenz bedeutet. Es geht ja nicht darum, wie es bei Herrn Lauer im Bett aussieht, sondern darum, dass jeder zu jedem Zeitpunkt nachvollziehen kann, was ein Volksvertreter, was die Regierung tut. Welche Gutachten bei Entscheidungen vorlagen, welche Personen an der Formulierung von Gesetzen beteiligt waren und welche Lobbykontakte es da gab. Klar kann man sich Protokolle von Plenarsitzungen reinziehen. Aber schon bei einem Referentenentwurf weiß doch keiner, wer da im Hintergrund alles beteiligt war. Da müssen wir mit der Taschenlampe hin.“
Johannes Ponader, der derzeitige politische Geschäftsführer der Piratenpartei Deutschland, findet in einem TV-Auftritt bei Markus Lanz eine noch einfachere Definition: „Der Persönlichkeitsschutz wiegt dann höher als das Gebot der Transparenz, wenn es um persönliches oder um Personalfragen geht.“
Marina Weisband veranschaulichte ihre Ansicht von Transparenz bei zdlogin anhand eines praktischen Beispiels: Auf die Frage eines Zuschauers, ob Piraten, wenn sie zu Koalitionsgesprächen eingeladen werden würden, auf gestreamte Koalitionsverhandlungen bestehen würden, antwortete sie: „Die Koalitionsverhandlungen müssen nicht gestreamt werden, aber nachvollziehbar sein.“ Sonst würden die Piraten eine Einladung zu Koalitionsgesprächen ablehnen.
Es geht also um Persönlichkeitsrechte in Abgrenzung zu Transparenz und um Nachvollziehbarkeit der politischen Meinungsbildung.
Aufgrund der nicht-öffentlichen Fraktionssitzung der NRW-Piratenfraktion wurde eine Liquid-Feedback-Initiative ins Leben gerufen, in der die Basis der Piraten aus NRW Wünsche an die Piratenfraktion geäußert hat, wie die Fraktion Transparenz im politischen Tagesgeschäft leben möge. Daraufhin fand am 03. Oktober 2012 eine Transparenzdebatte im „Krähennest“ statt.
Ergebnis dieser Diskussion war eine überarbeitete Version der LQFB-Initiative, welche im vollen Wortlaut hier nachgelesen werden kann.
Die Piraten machen sich also nicht nur Gedanken um die Transparenz des Staatswesens, sondern setzen alles daran, ihrer Forderung auch innerparteilich Leben einzuhauchen. Transparenz fördern und fordern.