Ein Gastartikel von Gunthard Anderer
Über eine technische Lücke, ihre juristischen Folgen und wie man sie schließt.
Weltweit nehmen in den letzten Jahren die Versuche zu, mit juristischen Mitteln tatsächliche oder behauptete Rechte im Internet durchzusetzen. Ob in den USA mit DMCA, in Europa mit ACTA und der Richtlinie 2001/29/EG oder in Deutschland mit dem neu erfundenen Leistungsschutzrecht für Verleger: Jedes Mal geht es darum, mit untauglichen juristischen Mitteln eine Verbreitung von Inhalten zu regulieren und ihre freie Nutzung zu verhindern. Dies führt zwangsläufig zur Rechtsunsicherheit im Internet, Kriminalisierung von Jugendlichen und letztlich zu einem Zustand, der nur Rechtsanwälten Geld einbringt und allen anderen Schaden zufügt.
Vor 20 Jahren war es die Vision von Tim Berners-Lee , durch Vernetzung von in erster Linie wissenschaftlichen Texten einen weltweit zugänglichen virtuellen Raum des Wissens zu schaffen. Dies ist zweifellos gelungen. Die rasante Zunahme der technischen Möglichkeiten hat inzwischen dazu geführt, dass das Internet in Deutschland heute von 75 Prozent der Bundesbürger zwischen 14 und 75 Jahren in einer Weise genutzt wird, die damals noch utopisch schien. So ist das Internet heute nicht mehr nur eine weltweite Bibliothek des vernetzten Wissens, sondern auch
- Kommunikationsmedium (Skype, E-Mail, VoIP, Soziale Netze)
- Geschäftsplattform (Online-Banking, Kaufportale),
- Werbefläche (selbst die Suchmaschine Google wird mit Werbegeldern finanziert) und
- Unterhaltungsmedium (Musik, Filme, Bücher, Zeitungsartikel und Fernsehsendungen)
Gerade die Nutzung der Unterhaltungsinhalte ist nun im Fokus der aktuellen Debatte.
Soweit unsere Aufzeichnungen zurückreichen, hat es immer Menschen gegeben, die sich ihren Lebensunterhalt durch die Unterhaltung anderer sicherten. Seit der Antike sind Gaukler, Geschichtenerzähler, Theaterspieler und Sänger in den Städten und Dörfern, auf Märkten und in Theatern aufgetreten und wurden für ihre Bemühungen entlohnt.
Mit dem Internet hat sich in den letzten 15 Jahren ein globaler, virtueller Marktplatz etabliert. Auch Unterhaltung wird dort in großem Stil verbreitet. Doch diese Unterhaltung wird derzeit meist als kostenlos angesehen und es gibt keine technische Möglichkeit für die Unterhalter, auf einfache Art Geld als Entlohnung für ihre Bemühungen einzusammeln.
Die derzeit grassierende “Seuche” der Urheberrechtsschutzgesetze ist nichts anderes, als das hilflose Bemühen, diese technische Lücke in der Internettechnologie mit aberwitzigen juristischen Konstruktionen zu schließen. Um diese “Seuche” auszurotten, hilft nur eines: Wir müssen einen weltweiten Standard für einfaches, anonymes Bezahlen im Internet schaffen! Jeder Urheber sollte selbst festlegen können, ob er für seinen Inhalt im Internet Bezahlung erwartet oder nicht. Wenn die Technik dann sicherstellt, dass er diese Bezahlung auch erhält, werden unsinnige juristische Konstruktionen wie das derzeit diskutierte Leistungsschutzrecht überflüssig.
Skizze für ein weltweites standardisiertes Bezahlsystem
Angenommen, ein Internetnutzer findet über eine Suchmaschine den Link zu einer Web page, auf der der Anbieter zum Abruf des Inhaltes eine Bezahlung verlangt. Bei Aufruf des Links wird eine Zwischenseite angezeigt, die unter anderem folgende Informationen enthält:
- Titel
- Inhaltsangabe (einige Zeilen)
- Musterinhalt (z. B. Song- oder Filmclip)
- Angabe zur Größe des Inhalts (Textlänge, Spieldauer, Bildgröße etc.)
- Anbieter
- Preis und
- “Kaufen”-Button
Nicht angezeigt wird:
- eine weltweit eindeutige Content-ID (s. u.)
- die URL des eigentlichen Inhalts.
(Die Informationen auf dieser Zwischenseite sollte eine Suchmaschine finden und frei anzeigen dürfen.)
Nach Klick auf den “Kaufen”-Button wird die Web page (ihr Inhalt: Text, Bild-, Musik-, Video-Datei etc.) normal angezeigt und kann genutzt werden. Im Hintergrund findet unterdessen die Bezahlung des zuvor ausgewiesenen Preises an den Anbieter statt.
Die dafür erforderlichen technischen Grundlagen sind simpel.
Es gibt drei Beteiligte, nämlich
- den Anbieter eines Webinhaltes
- den Nutzer und
- eine (nationale) Verrechnungsstelle (Clearing Center)
sowie vier Schritte:
- Registrierung
- Bereitstellung
- Nutzung und
- Abrechnung
Diese vier Schritte seien kurz erklärt:
Registrierung: Bevor Anbieter oder Nutzer an dem Bezahlsystem teilnehmen können, muss sich jeder bei der Verrechnungsstelle registrieren. Der Anbieter gibt dabei neben seinen Kontaktdaten ein Konto an, auf das seine Einnahmen überwiesen werden sollen, und erhält eine eindeutige Anbieter-ID. Der Nutzer kann sich mit Kontaktdaten oder anonym anmelden und erhält ebenfalls eine weltweit eindeutige Nutzer-ID, die gleichzeitig seine “Kontonummer” bei der Verrechnungsstelle ist. Auf diese Kontonummer kann der Nutzer einen beliebigen Betrag überweisen (pre-paid) oder alternativ seine Bankkontodaten zur Abbuchung fälliger Nutzungsentgelte angeben.
Bereitstellung: Der Anbieter eines zu bezahlenden Inhalts muss sich für diesen bei der Verrechnungsstelle eine Content-ID besorgen. Dafür übermittelt er eine Anforderung mit seiner Anbieter-ID, der URL des Content und seinen Preis. Die Verrechnungsstelle speichert diese Daten unter der Anbieter-ID, generiert daraus eine eindeutige Content-ID und schickt sie an den Anbieter (bzw. seinen Web-Server/Client) zurück. Der Anbieter hinterlegt die Content-ID auf der Zwischenseite und veröffentlicht diese.
Nutzung: Wird auf der Zwischenseite durch den Nutzer der “Kaufen”-Button geklickt, so schickt ein Browser-Add-in die Nutzer-ID und die Content-ID an die Verrechnungsstelle. Die Verrechnungsstelle erzeugt einen Zugriffsschlüssel und schickt diesen sowohl an den Nutzer(-Browser) als auch an den Server des Anbieters. Der Nutzer(-Browser) ruft mit diesem Schlüssel die URL des echten Inhalts auf und erhält den Inhalt vom Server des Anbieters übertragen. Nach vollständiger Übertragung und Ablauf einer Frist für eine Anforderungswiederholung sendet der Server des Anbieters den Schlüssel mit einer Durchführungsquittung an die Verrechnungsstelle, die daraufhin den Preis vom Konto des Nutzers auf das Konto des Anbieters überträgt und in beiden Konten Abrechnungsdaten hinterlegt.
Abrechnung: Die Abrechnungsdaten können online von Nutzer und Anbieter für einen bestimmten Zeitraum eingesehen werden. (Die Möglichkeit des Einspruchs bei der Verrechnungsstelle muss vorgesehen werden!) Am Ende eines Abrechnungszeitraums, z. B. ein Monat, werden dem Anbieter die angefallenen Beträge auf seinem Konto gutgeschrieben.
Im oben beschrieben Szenario wird eine Verrechnungsstelle pro Land (idealerweise als Non-Profit-Organisation) angenommen. In der Umsetzung für das Internet ist ein Protokoll einzurichten, über das Verrechnungsstellen länderübergreifend Zahlungen austauschen. Dabei sind Aspekte zu berücksichtigen wie die steuerliche Behandlung und die Währungsumrechnung sowie die Wahrung des Informationsgeheimnisses durch die Verrechnungsstellen (ggf. durch die Einrichtung von Anonymisierungsservern bei den Verrechnungsstellen).
Diese Skizze eines allgemeinen Bezahlsystems im Internet soll zeigen, dass und wie es möglich ist, mittels Entwicklung der benötigten Protokolle und Techniken das leidige Thema der Urheberrechtsverletzungen im Internet zu entschärfen und den kreativ schaffenden „Unterhaltern“ ihren gerechten Lohn zukommen zu lassen.
Die Realisierung benötigt ein weltweites Projekt in Zusammenarbeit mit dem W3C-Consortium, das wir aber in Deutschland beginnen können.
Wir PIRATEN sollten die Durchführung dieses Projektes initiieren und politisch unterstützen. Wir PIRATEN haben das Wissen und zusammen mit den PIRATEN anderer Länder die Fähigkeiten, ein solches Open-Source Projekt international erfolgreich durchzuführen.
Deshalb, lasst uns das Projekt in unser Programm aufnehmen!