Die Wahl des Oberbürgermeisters in Stuttgart fand große mediale Aufmerksamkeit. Gegen den Kandidaten der Grünen, Fritz Kuhn, bot ein Bündnis aus CDU, Freien Wählern und FDP den parteilosen Sebastian Turner auf. Fast unbemerkt blieben die anderen 12 Kandidaten. Darunter die in Schwaben typischen Spaßkandidaten, aber auch Harald Hermann, unser Kandidat.
Für Harald Hermann ist die Wahl gelaufen. Er holte 0,5% der Stimmen, die Wahl, die letztlich zwischen Fritz Kuhn und Sebastian Turner entscheiden wird, findet am 21. Oktober statt. Wir sprachen mit Harald über seine Erfahrungen der letzten Monate.
Flaschenpost: Hallo Harald, 0.5% klingt nach sehr wenig. Hattest du damit gerechnet?
Harald: Wenn man die Prozentzahlen anschaut, ist das Ergebnis eine Katastrophe. Die Umfragen vor der Wahl lagen bei ca. 2,8 % insgeheim hatten wir auf 3-5 % gehofft. Aber wir betreiben Politik ja nicht für Prozentpunkte vor allem nicht bei einer OB Wahl. Uns ging es darum unsere Themen in den Wahlkampf zu bringen und da waren wir sehr erfolgreich. Du sprichst die Wahlomaten an, von denen es zwei gab, und da stammte ca. ein Drittel der Fragen aus unserem Wahlprogramm. Ein anderer Gesichtspunkt ist: Stuttgart ist kein gutes Piratenpflaster, viele haben uns eher als Spinnerpartei betrachtet, da hat sich einiges geändert, trotz der 0,5%.
Flaschenpost: Wurdest du als Kandidat von den Stuttgartern überhaupt wahrgenommen, oder erdrückte dich die Übermacht der zwei aussichtsreichen Kandidaten in den Medien?
Harald: Übermacht der 2 Großen in den Medien ist etwas zu pauschal, anfangs war das Interesse groß, als einer unter 4 Kandidaten, aber mit dem Einstieg weiterer Kandidaten flachte es ab. Man könnte sagen es gab die großen 2er, dann einen 4er Kreis mit Frau Wilhelm und Hannes Rockenbauch schließlich noch eine 6er Gruppe mit Jens Löwe und mir. Die anderen Kandidaten wurden eigentlich gar nicht mehr erwähnt. Eine Sonderrolle haben dann noch die Alternativmedien gespielt, die hatten dann nur noch Kuhn und vor allem Hannes Rockenbauch auf dem Schirm, der war dann fast schon der junge Messias.
Die Stuttgarter Nachrichten haben viel und eher positiv über uns berichtet, die Stuttgarter Zeitung eigentlich gar nicht. Aber insgesamt war die Medienpräsenz (Zeitungen, Rundfunk und Regionalfernsehen) so groß wie noch nie in Stuttgart.
Flaschenpost: Auf welche Themen hast Du gesetzt?
Harald: Die Themen kann ich hier im Einzelnen nicht aufzählen, im Grunde hatten wir schon fast sowas wie ein kommunales Vollprogramm, vom fahrscheinlosen Nahverkehr über Kitas, Wirtschaftsförderung, Neuorganisation der Jobcenter, Kulturförderung einschließlich der sogenannten Jugend- und Subkultur und natürlich die Themen Transparenz, Informationsfreiheit und Bürgerbeteiligung einschließlich Finanzierungsvorschläge.
Innerhalb des langen Zeitraumes waren das so ca. 80 Termine, teilweise täglich, seit April
mit zwei kurzen Pausen über Pfingsten und ein paar Tagen im August. Zeitaufwand würde ich sagen so zwischen 3-5 Stunden am Tag.
Flaschenpost: Wie war die Unterstützung der Partei?
Harald: Wir haben das gemeinsam gemacht. Natürlich hätte ich mir manchmal mehr Unterstützung gewünscht, aber es ist eben schwer, als Feierabend-Politiker monatelang Wahlkampf zu machen. Wir hatten ganz ehrlich auch nicht mit dieser Intensität und Dauer gerechnet. Hinzu kam, dass es für die meisten Stuttgarter Piraten der 1. Wahlkampf war und dafür haben sie sich sehr gut geschlagen. Auch die thematische Unterstützung aus den Nachbarkreisen war unersetzlich.
Flaschenpost: Die Wahl ist für dich vorbei. Hat dir die Kandidatur außer Erfahrung etwas für die Zukunft gebracht?
Harald: “Außer Erfahrung” ist eine etwas komische Formulierung, nach Kant beginnt alles mit der Erfahrung. Ich hatte vor dieser Kandidatur eigentlich nie mit Medien zu tun oder Reden gehalten, war da auch anfangs ein wenig unsicher. Ich denke, da hat sich einiges geändert. Es ist aber nicht wirklich relevant, was die Kandidatur für mich gebracht hat, sondern was sich in Stuttgart verändert hat.
Flaschenpost: Was empfiehlst Du anderen Bürgermeisterkandidaten der Piraten?.
Harald: Sich zuerst damit vertraut machen, was ein Bürgermeister darf, und was nicht. Man braucht eine gewisse Erfahrung und eine gewisse Ruhe, und da uns nicht alle Moderatoren und Interviewer freundlich gesinnt sind, darf man sich nicht provozieren lassen. Es wäre gut, wenn man kommunalpolitische Erfahrung hat.
Flaschenpost: Sprichst Du eine Wahlempfehlung für den 21. Oktober aus?
Harald: Nein, wir haben uns gegen eine Wahlempfehlung entschieden.
Flaschenpost: Gab es wieder Spaßkandidaten?
Harald: Ich würde den Ausdruck Spaßkandidaten eigentlich ungern verwenden. Es gab Kandidaten, deren Ansinnen schwer nachvollziehbar war, und Häns Dämpf von “Die Partei” hat sicher ein wenig auf den Unterhaltungswert gesetzt, aber ich bin niemand, der sie als Spaßkandidaten abwerten wollte.
Flaschenpost: Versprochen – ich werde an meinem Wording arbeiten. Vielen Dank für das Gespräch.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.