Der erste Teil der Analyse der Parteiprogramme befasste sich mit der Struktur des Rentensystems. Das Ergebnis war, dass die etablierten Parteien am heutigen Status Quo der Altersvorsorge festhalten wollen. Auf der einen Seite wird für Arbeiter und Angestellte das Niveau der gesetzlichen Rente kontinuierlich abgesenkt. Auf der anderen Seite bleiben stattliche Altersbezüge für besondere Berufsgruppen (z.B. Richter oder Politiker) in den berufsständischen Versorgungswerken und üppige Pensionen, vor allem für Beamte in den höheren Besoldungsstufen, unangetastet. Bekanntlich werden Beamte bereits heute steuerfinanziert im Alter versorgt. Es braucht dazu auch keine 45 Beitragsjahre. Ein Bundesminister hat bereits nach zwei Jahren einen Pensionsanspruch von ca. 2.000 EUR im Monat erworben. Wen wundert es, dass die Regierungsparteien hier nichts Grundlegendes ändern wollen. Die AG60+ in Bayern oder der AK Altersarmut und Rentenpolitik in NRW lehnen in ihrem gemeinsamen Programmantrag PA 118 für den Bundesparteitag in Bochum dieses „Geschäftsmodell“ grundsätzlich ab und fordern eine Rentenkasse, in die jeder Bürger mit steuerpflichtigen Einkommen und Kapitalerträgen einzahlt, damit eine Versorgung im Alter für alle sichergestellt wird.
Der zweite Teil der Untersuchung der Parteiprogramme greift nun aktuelle Streitfragen im Kontext Renten auf. Soll es eine Mindestrente geben und wie hoch soll sie sein? Und welches gesetzliche Renteneintrittsalter soll gelten?
Im später folgenden dritten Teil wird es um Kernthemen der Piratenpartei wie Selbstverwaltung und Transparenz gehen.
Mindestrente
Der im Sommer vorgelegte Vorschlag aus dem CDU-geführten Arbeits- und Sozialministerium zur Bekämpfung der Altersarmut sieht eine sogenannte Zuschussrente vor. Erkannt wurde, dass Handlungsbedarf besteht, wenn ein Durchschnittsverdiener nach 45 Beitragsjahren im Alter zum Sozialfall wird. Der Vorschlag für einen Zuschuss, der unter ganz bestimmten Voraussetzungen eine prekäre Rente auf max. 850 EUR aufbessert und so eine Art Mindestrente verstanden werden kann, hat alle anderen Parteien in Zugzwang gebracht.
Die SPD ist sogleich mit der Solidarrente mit exakt dem gleichen Betrag auf den Zug aufgesprungen. Im Unterschied zu den Christdemokraten soll jedoch der Zuschuss nicht von der Rentenversicherung erbracht werden, sondern über Steuern erfolgen. Die Linke will eine solidarische Mindestrente von 900 EUR netto, die schrittweise auf 1.050 EUR angehoben werden soll. Eine Obergrenze soll es in dem Sinne geben, dass die Rentenauszahlungen ab einer bestimmten Höhe abflachen. Angepasste Beitragssätze zur Rentenversicherung sollen die Mehrausgaben finanzieren. Die Rentnerinnen und Rentner Partei sieht eine Mindestrente von 1.000 EUR für Singles und 1.400 EUR für Paare als angemessen an. Die Grünen sind für eine Garantierente, machen aber keine Aussage zur ihrer Höhe. Die FDP ist grundsätzlich gegen eine Mindestrente, weil eine solche dem Leistungsprinzip widerspreche.
In der Piratenpartei gibt es demgegenüber zahlreiche Befürworter einer Mindestrente. In Anlehnung an das Schweizer Rentenmodell werden Alterseinkünfte favorisiert, die sich in einem Korridor von einer Mindest- bis zu einer Maximalrente bewegen. Hierzu wurde bereits auf Landesebene in Bayern ein entsprechender Parteibeschluss herbeigeführt. Auf dem Bundesparteitag 2012 wird es außerdem als ein Kernthema des Programmantrags PA 118 der AG60+ aus Bayern und des AK Altersarmut aus NRW zur Aufnahme in das Grundsatzprogramm der Piraten eingebracht.
Kurz zusammengefasst: Bis auf die FDP sind alle Parteien für eine Mindestrente. Umstritten ist jedoch, in welcher Höhe und unter welchen Voraussetzungen die Mindestrente ausgezahlt werden soll.
Rente mit 67?
Die Frage nach dem richtigen Renteneintrittsalter ist in der Presse ein Dauerthema, das stets für Schlagzeilen gut ist. Am 17. Oktober 2010 konnte man in der Zeitung Die Welt lesen, dass zum Beispiel. Karl Lagerfeld (79) seine Arbeit so sehr liebt, dass Rente für ihn überhaupt nicht in Frage kommt. Die meisten anderen Menschen sehen es allerdings anders. Sie interessiert es schon, wann sie altersbedingt mit einer gesetzlichen Rente rechnen können. Heute ist die „Rente mit 67“ Gesetz, obwohl die meisten Menschen bereits drei bis vier Jahre früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden und dabei sogar finanzielle Einbußen hinnehmen. In Europa liegt das durchschnittliche Renteneintrittsalter sogar unter 61 Jahren. Weil das so ist, sehen viele in dem auf 67 Jahre erhöhten Renteneintrittsalter eine Maßnahme zur verdeckten Rentenkürzung, denn je höher der Gesetzgeber das Renteneintrittsalter festlegt, desto geringer fällt der Rentenanspruch für das Gros der Rentner aus.
Bei diesem Thema herrscht Einigkeit bei den heutigen und ehemaligen Regierungsparteien: CDU/CSU, FDP, SPD und Bündnis90/Die Grünen. Grundsätzlich sind sie alle für Rente mit 67 Jahren und begründen die Alternativlosigkeit dieser Regelung mit dem demografischen Wandel.
Die Gewerkschaften, aber auch Teile des Arbeitnehmerflügels in der SPD, Die Linke und auch die Rentnerinnen und Rentner der RRP akzeptieren diese Betrachtungsweise nicht. Gesellschaftliche Entwicklungen seien zu komplex, als dass man sie nur auf Basis einer einzigen Verhältniszahl, Rentner zu Erwerbstätigen, diskutieren könnte. Sie führen zusätzlich die sogenannte Abhängigenquote ins Feld. Die Relation von Arbeitenden zu Nichtarbeitenden war wegen der größeren Kinderzahl schon in den siebziger Jahren sehr viel ungünstiger als heute. Die damaligen Verhältnisse sollen frühestens im Jahr 2022 wieder erreicht werden. Schließlich müssen auch volkswirtschaftliche Überlegungen angestellt werden. Die Kritiker der Fixierung auf demografische Daten fragen nach dem Verhältnis der sich ändernden Altersstruktur in der Gesellschaft zum Zuwachs an wirtschaftlicher Produktivität. Es kann nicht realistisch sein, davon auszugehen, dass es in den nächsten 40 Jahren keinen Produktivitätsfortschritt geben wird.
Die SPD greift in ihrer aktuellen Rentenkonzeption den Widerstand gegen die „Rente mit 67“ auf, indem sie mit Siegmar Gabriels Eckpunkten zur Bewältigung der rentenpolitischen Herausforderungen einen flexiblen Übergang in die Rente für bestimmte Berufsgruppen propagiert. Ein Schichtarbeiter, der mit 17 Jahren im Betrieb anfängt, soll früher in Rente gehen dürfen als ein Akademiker, der mit 27 Jahren die Hochschule verlässt und sich erstmalig nach einer Arbeitsstelle umsieht. Die Rentnerinnen und Rentner Partei steht für eine Rückkehr zur alten Regelung, nach der ab 65 Jahren eine gesetzliche Rente altersbedingt zu zahlen ist. Die Linke will einen flexiblen Ausstieg vor 65 und langfristig eine Rente mit 60 Jahren ohne Abschläge.
Wir Piraten arbeiten noch einer Position.