
In der Nacht vom 29. auf den 30. November fand die 1. Lesung im Bundestag zum geplanten Leistungsschutzrecht für Verleger statt. Ursprünglich sollte diese Lesung ohne Aussprache über die Bühne gehen, doch dank der großen öffentlichen Aufmerksamkeit wurde die Sitzungsordnung angepasst.
So wurde es im Parlamentsfernsehen nach fast 13 Stunden Debatte tatsächlich für uns Piraten spannend, Als die Debatte des Tagesordnungspunkts 19 begann, gingen die Zugriffszahlen auf die Server des Bundestags-TV auf 80.000 hoch. Unter dem Hashtag #LSR entstand auf Twitter eine ausgiebige Diskussion über das, was in den nächsten 40 Minuten als Stream zu sehen war.
Zu diesem Zeitpunkt waren noch ca. 40 Parlamentarier im Plenarsaal. Acht von ihnen nahmen die Gelegenheit wahr zum Mikrofon zu gehen. Die Flaschenpost berichtet in Auszügen hieraus.
Max Stadler (Parlametarischer Staatssektretär)
Er kritisiert eine schrille, gegen das Gesetz gerichtete Kampagne durch Google und zitiert Heribert Prantl, der in einem Artikel der Süddeutschen wiederum Google kritisiert. Stadler argumentiert, dass es bereits viele Leistungsschutzregelungen gibt und es schwer zu verstehen sei, warum Presseverleger hiervon ausgenommen sein sollen. Er argumentiert mit der Gerechtigkeit, die durch den Schutz der Verleger vor gewerblicher Nutzung ihrer Inhalte wieder hergestellt wird. Als Möglichkeit nennt er die zukünftige Unterlassung der Nutzung, oder die Lizensierung derselben. Blogger, Anwaltskanzleien und andere kommerziellen Anbieter sind von dem Gesetz ausdrücklich ausgenommen.
Martin Dörmann (SPD)
Dörmann nennt die drei Jahre, in denen der Gesetzesentwurf „vorbereitet wurde, verlorene Jahre“. Das Gesetz werde der Medienlandschaft in Deutschland nicht gerecht, und wird sinnvolle Suchmaschinenfunktionen einschränken. Auf der Seite der Kritiker nennt er Urheberrechtler, Bitcom, den Vorsitzenden der Monopolkommission und die Jugendorganistionen aller Parteien, die im Entwurf einen Eingriff in die Freiheit des Internets sehen. Dörmann legt Wert auf die Feststellung, dass hochwertige journalistische Angebote wichtig für die Demokratie sind. Er weist darauf hin, dass dieser Journalismus selbstverständlich bezahlt werden muss und verteidigt die Verlage gegen das vollständige Kopieren von Artikeln. Er wehrt sich aber gegen das Bestreben das, was heute legal ist, durch das Gesetz für illegal zu erklären. Für die SPD-Fraktion erbringen Suchmaschinen wichtige Funktionen, die den Verlagen sogar noch Leser bringen.
Ansgar Heveling (CDU)
Heveling will die Märkte bändigen, weil viele Bürger den Eindruck haben, ihre Ordnung sei aus den Fugen geraten. Europa muss sein Modell des demokratischen Kapitalismus, dem liberalen Kapitalismus der USA und dem autoritären Kapitalismus Chinas gegenüberstellen – hier zitiert er Sigmar Gabriel zum Thema Bändigen der Finanzmärke. Unter der Oberfläche der Betrachtung der Finanzmärkte sieht er das Leistungsschutzrecht. Deregulierte Märkte überrollten die Gestaltungsmöglicheit von Staaten, speziell in Europa. Heveling spricht von der Kritik, die entsteht, weil es keine international verbindlichen Regeln für Finanzmärkte gibt. In der fortschreitenden Globalisierung und der Deregulierung sei der Grund hierfür zu sehen. Nach einigen warmen Worten zur Sozialen Marktwirtschaft und dem amerikanischen Liberalismus, fällt erstmals das Wort „Leistungsschutzrecht“. In der Diskussion darum sieht er ein Abziehbild der Diskussion um die Finanzmärkte. Das Urheberrecht sei „soziale Marktwirschaft“ und notwendige Schranke zum Ausgleich von Interessen. Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger sei nur ein weiteres Leistungsschutzrecht. Dazu noch eines, das nur schmal definierten Schutz, auch nur für ein Jahr, bietet. Die Begriffe „Suchmaschine“ und „gewerblicher Anbieter“ müssen rechtlich beleuchtet werden. Laut Heveling muss das Internet ein freier Raum sein und bleiben, wie es die reale Welt in der Bundesrepublik auch ist.
Dr. Petra Sitte (Die Linke)
Sie bringt es auf den Punkt: Verleger sagen „Google verdient Geld mit unseren Inhalten“ und wollen einen Teil abhaben. Google sagt „die Verlage sollen sich doch über die Onlinekunden freuen, die dank unserer Suchmaschine zu ihnen finden“. Während sich beide Seiten als Wohltäter des Gemeinwohls, der Demokratie und des Weltfriedens darstellen, streiten beide Seiten nur um fette Profite! Frau Sitte könnte das ignorieren, wenn es nicht die Regierung gäbe, die sich einseitig für den Springerverlag einsetz, der das Gesetz maßgeblich vorangetrieben hat. Den Sinn des Leistungsschutzrechts wird von ihr bezweifelt, weil es ja technische Möglichkeiten für Verlage gibt, sich „vor Suchmaschinen zu schützen“. Dazu sei das Gesetz schlampig formuliert, da nicht klar ist, wer begünstigt, und wer zu Zahlungen verpflichtet ist. Auch ist nicht klar was genau geschützt wird. Deswegen geht sie davon aus, dass die Abmahnanwälte sich schon heute die Hände reiben, da sie ein profitables Geschäft auf sich zukommen sehen. Sie zitiert aus einem Gutachten von Urheberechtsexperten, das von einer „Gefahr mit unabsehbaren negativen Folgen“ spricht. Ihr Rat an die Regierung lautet: „überwinden sie ihre Angst vor der Bildzeitung und ziehen sie dieses Leistungsschutzrecht zurück“
Tabea Rößner (Bündnis 90 / Die Grünen)
Der Gesetzentwurf ist für sie halbgar, halbherzing und halbfertig. Es sei keineswegs klar ob Links nun geschützt sein sollen oder nicht, was aber eine Katastrophe sei, da das Netz ja durch Kommunikation und den Austausch von Information lebt. Frau Merkel wird mit ihrem Ausspruch „das Leistungsschutzrecht sei die Antwort auf die modernen Kommunikationsanforderungen“ zitiert. Sie fürchtet, dass Suchmaschinen deutsche Zeitungen und Blogs nicht mehr listen werden, falls sie die Lizenzgebühren nicht zahlen wollen. Sie beschreibt folgendes Szenario: Google wird kaum auf das Angebot von Springer verzichten wollen. Springer wird also viel Geld verlangen können. Das Hintertupfinger Tageblatt hat von Google jedoch wenig oder gar nichts zu erwarten. Die Folge: die Großen profitieren, die Kleinen verlieren und am Ende lacht Springer. Als weiteren Gewinner sieht auch sie die Abmahnanwälte, die viel Geld verdienen werden. Wirklich mehr Geld nötig hätten jedoch die Journalisten. Aber gerade bei der Vergütung der Urheber selbst, bleibt der Gesetzentwurf vage. Das Gestz ist schlecht, es sollte nicht veranschiedet werden.
Thomas Silberhorn (CDU)
Für ihn sind Leistungsschutzrechte in der Rechtsordnung nicht fremd. Darsteller, Produzenten, Sendeanstalten, Tonträger und viele andere schützen ihre organisatorische und unternehmerische Leistung damit. Dazu soll zukünftig auch die verlegerische Leistung im Internet zählen. Er erwartet, dass Presseerzeugnisse und ihre Verwertung im Internet besser geschützt werden. Reine Verlinkungen sollen danach weiterhin entgeldfrei möglich sein, das Zitierrecht sieht er als nicht beeinträchtigt an, die private Nutzung bleibt danach möglich, die Suchfunktion einer Suchmaschine sieht er in keiner Weise berührt. Das Leistungsschutzrecht schützt demnach nur vor gewerblicher Nutzung durch Suchmaschinen, da nur Newsaggreagatoren zukünftig Lizenzen erwerben. Für die Texte, für Fotos und Grafiken soll weiterhin das Urheberschutzgesetz gelten. Blogger, Verbände, private Nutzer, auch gewerbliche Nutzer, solange sie nicht zu den Suchmaschinen gehören, werden für Silberhorn von dem Gesetz nicht berührt. Dazu käme: die Presseverleger können ihr Leistungsschutzrecht auch nicht gegen die Interessen der Urheber geltend machen. Als wichtigen Aspekt sieht er eine Vorbildfunktion: „das neue Leistungsschutzrecht genießt national wie international eine hohe Aufmerksamkeit. Das Gesetz kann schnell Nachahmer finden, wenn es in Deutschland funktioniert“. Dagegen kritisiert er jene, die für die „Freiheit im Internet Sturm laufen“. Sie sollen sich überlegen für wen sie in die Schlacht ziehen. Danach beendet das Leistungsschutzrecht die ausgespielte Marktmacht von Google, die ein Ungleichgewicht bedeutet, das nicht hingenommen werden kann.
Lars Klingbeil (SPD)
Er bemängelt eingangs die Härte, mit der darum gestritten wird, wie das digitale Zeitalter zu gestalten ist. Geschäftsmodelle und Machtordnungen sieht er neuerdings infrage gestellt. Er erkennt eine gesellschaftspolitische Dimension des Themas Urheberecht. Beim Breitbandausbau, der Netzneutralität, der Modernisierung des Datenschutzes gäbe es Defizite in Deutschland – schuld daran ist, laut Klingbeil, die Regierungskoalition. Die SPD wird das Leistungsschutzrecht nicht stattfinden lassen, da man große Risiken darin sieht und Innovationen behindert würden. Befürchtet wird auch eine Beschränkung der Kommunikations- und Informationsfreiheit. Die Regierung sollte auf ihre Jugendorganisationen und das Max-Planck-Institut hören, die das Gesetz als sinnlos bezeichneten. Qualitätsjournalismus schützt die SPD jedoch gerne. Das wird mit dem Leistungsschutzrecht nicht zu erreichen sein.
Jimmy Schulz (FDP)
Schulz zählt auf, dass die FDP ACTA verhinderte, die Vorratsdatenspeichung abschaffte und mit dem Scherbenhaufen aufräumte, den die SPD hinterlassen hat. Das alte Geschäftsmodell, Informationen auf Papier zu drucken um dieses dann zu verkaufen, erklärt er für tot und heute schon nicht mehr funktionierend. Schulz bringt seinen Vorschlag ins Spiel, die roots.txt als Standard verpflichtend zu machen. Denn das Verfahren würde für alle funktionieren, auch für Blogger.

Die Debatte barg wenig Überraschendes, wenn man davon absieht, dass Ansgar Heveling, der Anfang des Jahres der Internetgemeinde den Krieg erklärt hatte, einen Beitrag zu einem anderen Thema lieferte. Die Zuschauer mit Twitter spielten während der Debatte Bullshit-Bingo und bekamen die Felder schnell ausgefüllt. Die Aufzeichnung der Debatte wurde nach Auskunft von „Bundestag TV“ bis zum Morgen, also um 9 Uhr, 1600 mal aufgerufen. was ein guter Zugriffswert für einen Gesamt-Tagesordnungspunkt ist.
Der Entwurf wird nun an den Rechtsausschuss überwiesen. Dessen Sitzungen sind leider nicht öffentlich. Wir werden also in einigen Monaten erfahren, wie es mit dem Leistungsschutzrecht weiter gehen soll. Vielleicht auch etwas früher. Denn das neue Gesetz hat auch in Regierungskreisen einige Kritiker, so dass wahrscheinlich die eine oder andere Information nach draußen sickern wird.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.