In der Geschichte der Piratenpartei genoss kaum ein Antrag mehr mediale Aufmerksamkeit, als der Programmantrag 582 von Bochum: Der Zeitreisenantrag.
Nur das Bedingungslose Grundeinkommen, welches die Piraten auf dem Bundesparteitag in Offenbach auf ihre Agenda setzten, ist, was die Medienpräsenz angeht, bis heute in aller Munde und wird langsam aber sicher – auch bei anderen Parteien – salonfähig.
Nun geschah es also, das sich ein gar lust’ger Gesell namens Stephan Bliedung anmaßte, am zweiten Tag des Bundesparteitages der Piraten in Bochum, einen Geschäftsordnungsantrag zur Änderung der Tagesordnung zu stellen, um dem Zeitreisenantrag genau den Rahmen zu geben, den er verdiente.
Und was machten die Piraten, die sonst bei jedem GO-Antrag blitzartig die Hand an ihre Krummsäbel fahren lassen, um dem jeweiligen Antragsteller den Hals aufzuschneiden? Sie hoben Bliedung aufs Podium und ließen ihn gewähren!
Es folgte eine köstliche Debatte. Letztendlich behielt aber die AG Skeptische Piraten die Oberhand und der Antrag verfehlte die notwendige Zweidrittelmehrheit.
Zeitreisen, so wie man sie sich vorstellt, mit Vergangenheit ändern und so, sind unmöglich. Da sind sich die rational denkenden Piraten einig. Was aber wollten die Dichter Stephan Bliedung und Anatol Stefanowitsch mit ihrem Antrag sagen, als sie vorschlugen, dass sich die Piratenpartei “für eine intensive Erforschung von Zeitreisen” aussprechen solle und hiermit schon im Vorfeld des Bundesparteitages für reichlich Gesprächsstoff sorgten?
Ein Blick in die beigefügte Begründung erleichtert die Meinungsbildung:
“Anliegen sei es auch, das Amt eines Beauftragten zu schaffen, der in die Vergangenheit reisen kann, um dort die Anlässe für Shitstorms zu verhindern, bevor diese überhaupt entstünden und positive Berichterstattung anzustoßen, wo möglich.”*
Bliedung und Stefanowitsch haben also die Fettnäpchen aus jüngerer Vergangenheit durch bekannte, in der Öffentlichkeit stehende Piraten zum Anlass genommen, um diese – und uns alle – in Form eines von beissender Satire sprühenden Wahlprogrammantrages wachzurütteln und sich an die gesellschaftliche Verantwortung zu erinnern.
Bliedung war es auch, der den legendären Programmantrag 598, in wahrscheinlich nächtelanger Arbeit (Mondlicht macht kreativ) formulierte.
Die Piraten sollten sich doch, bitte schön, für eine “friedliche, nachhaltige und schonende Besiedlung des Mars” einsetzen.
Aber auch dieser Antrag fand seinen Weg ins Wahlprogramm der Piraten leider nicht. Obwohl Bliedung auch hier eindeutig jeglichen Zweifel an der Notwendigkeit dieses Projektes ausräumt:
“Der zunehmenden Ressourcenknappheit der Erde kann nur durch Erschließung neuer Lebensräume begegnet werden. Interstellare Raumfahrt ist derzeit noch nicht in der Lage nahegelegene Sonnensyteme zu erreichen. Der einzige erreichbare bewohnbare Planet ist der Mars…”
Bliedung untermauert seine Forderungen unter Berücksichtigung einer Kosten/Nutzen-Analyse sowie eines ausgefeilten Chancen/Risikomanagements, wie es das in der Politikgeschichte der Neuzeit noch nicht gegeben hat. Beispielsweise zeigt er dem aufmerksamen Antragsleser auf, wie dieses Projekt den neuen Berliner Flughafen retten und ganz Europa in eine finanzkrisenimmune Zukunft führen könne.
Er greift allerdings auch die Worte der unbestreitbar erfolgreichsten Bundeskanzlerin aller Zeiten auf und stellt den Mars als Besiedlungsfläche als alternativlos dar.
Das war es dann wohl auch, warum auch dieser Antrag die Zweidrittelmehrheit verfehlte. Denn die Piraten mögen es nicht, wenn jemand etwas völlig unbegründet als alternativlos darstellt, wo doch jeder weiß, dass es nichts einfacheres gäbe, als mit einer Zeitmaschine 15000 Jahre zurück in die Vergangenheit zur Pampa de Nazca zu reisen, sich dort mit den gerade gelandeten Außerirdischen zu treffen und sie nach dem Weg in eine neue Welt zu fragen.
*Anmerkung der Redaktion: Der Antragstext wurde zur besseren Lesbarkeit leicht gekürzt und angepasst.